Berlin. Der Virologe Martin Stürmer verteidigt Christian Drosten. Eine Pädagogin nimmt Lehrer in Schutz. So lief der Talk von Markus Lanz.

Seit rund zwei Monaten gelten in Deutschland wegen der Corona-Pandemie nun umfassende Kontaktbeschränkungen. Und das wird sich auch erstmal nicht ändern – Bund und Länder einigten sich gerade auf eine Verlängerung bis Ende Juni. Im Gespräch zwischen Markus Lanz und seinen Gästen wurde aber klar, dass sich eine „neue Normalität“ noch immer nicht eingestellt hat.

Das mag auch daran liegen, dass ein Teil der Gesellschaft es mit Fakten und Forschung nicht so eng sieht. Nach den bundesweiten Demonstrationen hat die Debatte über die wissenschaftlich richtige Vorgehensweise gegen die Ausbreitung des Coronavirus eine neue Wendung genommen: Seit Anfang der Woche liegen sich der Virologe Christian Drosten und die Boulevard-Zeitung „Bild“ in den Haaren.

„Markus Lanz“ – Das waren die Gäste:

  • Ralf Stegner, SPD-Fraktionsvorsitzende im Schleswig-Holsteinischen Landtag
  • Daniel Stelter, Ökonom
  • Dr. Martin Stürmer, Virologe
  • Maike Finnern, NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
  • Christoph Röckerath, ZDF-Südamerika-Korrespondent

„Bild“ vs. Christian Drosten: Streit zwischen um „tendenziöse Berichterstattung“

Am Montag postete Drosten bei Twitter die Mail-Anfrage eines „Bild“-Reporters und kommentierte, die Zeitung plane eine „tendenziöse Berichterstattung über unsere Vorpublikation zu Viruslasten und bemüht dabei Zitatfetzen von Wissenschaftlern ohne Zusammenhang“. Besonders auffällig an der Anfrage war die Fristsetzung für Drostens Rückantwort: eine Stunde. Lesen Sie hier: Streit zwischen „Bild“ und Drosten – das steckt dahinter

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Völlig abgesehen vom Inhalt dieser speziellen Kontroverse macht sich der Virologe Martin Stürmer Sorgen um die Wahrnehmung seiner Zunft: „Wir sind Wissenschaftler und wir machen einfach unseren Job. Wir sind nicht perfekt, denn wir produzieren gerade Daten auf einer Basis, die relativ dünn ist.“ Schließlich kenne man das Virus erst seit wenigen Monaten.

Virologe bei „Markus Lanz“: „Wir machen keine Politik“

„Für uns alle ist das eine bedenkliche Situation. Wir haben unsere Expertise, die wird gefragt und zurecht auch hinterfragt. Wir machen aber keine Politik und keine Verordnungen“, stellte Stürmer klar. Er beklagte, dass er und seine Kollegen häufig mit politischen Standpunkten verknüpft werden, obwohl ihr einzige Verantwortung die wissenschaftliche Erkenntnis sei.

Christian Drosten, der Leiter des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin, liegt im Clinch mit der „Bild“. Er wirft der Zeitung tendenziöse Berichterstattung vor.
Christian Drosten, der Leiter des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin, liegt im Clinch mit der „Bild“. Er wirft der Zeitung tendenziöse Berichterstattung vor. © dpa | Christophe Gateau

Die Berichterstattung des Boulevard-Blatts findet der Wissenschaftler „furchtbar“: „Da wurden Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und in einer Weise dargestellt, wie wissenschaftliche Diskussion nicht stattfinden darf“, sagte der Virologe. Für SPD-Politiker Ralf Stegner ist klar, weshalb Christian Drosten aktuell so angegangen wird: „Das passiert natürlich auch deswegen, weil diese wissenschaftliche Erkenntnis Leuten im Weg steht.“ Lesen Sie auch: Corona-Podcast – Drosten blickt mit Hoffnung auf den Sommer

Martin Stürmer verteidigt Drostens Corona-Studie: „Aussage ist absolut richtig“

Die Forscher um Drosten hatten aufgrund der anscheinend hohen Viruslast bei Kindern und Jugendlichen vor einer uneingeschränkten Öffnung von Schulen und Kindergärten gewarnt. Das hört selbstverständlich niemand gern, der so schnell wie möglich zur Normalität zurückkehren will. Stürmer stimmte diesem Ergebnis des Vorab-Papiers allerdings voll zu: „Die Aussage, die er da getroffen hat, ist immer noch absolut richtig. Wenn, dann kann man über die Nuancen streiten.“ Lesen Sie hier: Corona-Regeln: Das gilt jetzt für Kitas, Hotels und Co.

Dass die schrittweisen Schulöffnungen derzeit sowieso keine angedeutete Normalität für Schülerinnen und Schüler schaffen, konnte Maike Finnern zu berichten. Die NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft erzählte, wie durch die Corona-Krise erst recht deutlich wird, dass es in Deutschland immer noch keine gleichen Bildungschancen für alle gibt.

„Markus Lanz“: Pädagogin berichtet vom Schulalltag in der Corona-Krise

„Viele Schüler bearbeiten ihre Aufgaben jetzt nur vom Smartphone aus, weil sie kein anderes Gerät zur Verfügung haben“, berichtete die Bildungsgewerkschafterin. Von einigen Schülern höre man auch gar nichts mehr, seit sie nicht mehr physisch am Unterricht teilnehmen könnten.

„Insofern halte ich es für richtig, alle Kinder regelmäßig in irgendeiner Form in die Schule zu kriegen, um diesen Kontakt wiederherzustellen“, sagte Finnern. Dafür nimmt man auch enorme Planungsarbeit auf sich: Von Gehwegen, die abgeklebt werden müssen, bis hin zu Dreifach-Unterricht, weil die Klassen zu groß und die Räume zu klein für eine Halbierung der Kurse sind. Auch interessant: Christian Drosten warnt – Studie aus Italien ist alarmierend

Bildungsgewerkschafterin bei Lanz: Strukturen für digitalen Unterricht fehlen

Kein Verständnis hat die Pädagogin für Lehrer-Bashing – die allermeisten Kollegen gäben sich große Mühe beim digitalen Unterrichten. Das Umsetzungsproblem liegt laut Finnern an einer anderen Stelle: „Es ist nicht so, dass die Lehrer das nicht wollen oder sich nicht anstrengen. Die Strukturen sind einfach überhaupt nicht da.“ Lesen Sie auch: „Hart aber fair“: Frank Plasberg attackiert die Lehrer

In Nordrhein-Westfalen sei zum Beispiel eine Lehr- und Vernetzungsplattform für die Schulen erst kürzlich an den Start gegangen, mit reichlich Verspätung. „Leider haben die meisten Schulen keine Vollversion, sodass die Schüler da keinen vollen Zugriff haben“, beklagte die ehemalige Konrektorin.

Ökonom zur Digitalisierung in der Corona-Krise: „Wir sind rückständig“

Solche Probleme sind in Deutschland ja kein Einzelfall, wie der Ökonom Daniel Stelter anmerkte: „Wir sind rückständig und müssen einfach dringend in die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung investieren. Finnland hat beispielsweise 2010 die elektronische Patientenakte eingeführt, und wir diskutieren immer noch darüber.“

Das ist alles nichts Neues – doch die Corona-Krise forciert weiter den Druck auf den Staat, digitalen Wandel zu ermöglichen. Wer weiß, wenn tatsächlich umfassend und sinnvoll in die Digitalisierung der Verwaltung und Schulen investiert werden würde, könnte vielleicht auch jeder Lehrer eine Schul-E-Mail-Adresse bekommen, wie Maike Finnern es sich wünscht.

So wurde die Corona-Krise bisher bei „Markus Lanz“ diskutiert: