Erfurt. Die Gesundheitsämter könnten vielerorts Infektionsketten aufgrund der rasant steigenden Zahl von Neuinfektionen nicht mehr nachvollziehen.

Die Gesundheitsämter in Thüringen arbeiten in der Corona-Pandemie immer mehr an der Belastungsgrenze und darüber hinaus. Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN haben alle Ämter ihr Personal aufgestockt und Mitarbeiter aus anderen Abteilungen des Landratsamtes oder der Stadtverwaltungen abgezogen, um die aktuell steigende Zahl an Neuinfektionen bewältigen zu können. In zehn von 22 Ämtern, etwa in Erfurt, Jena, Sonneberg und im Eichsfeld, unterstützt die Bundeswehr.

Im Landkreis Hildburghausen, einem Corona-Hotspot im Freistaat, kümmern sich derzeit insgesamt 40 Mitarbeiter um Kontaktverfolgung, Tests und Anfragen seitens der Bevölkerung. Wie ein Sprecher MDR THÜRINGEN sagte, ist die Anzahl der Mitarbeiter seit dem Frühjahr verdreifacht worden. Dennoch stehe der Öffentliche Gesundheitsdienst vor dem Kollaps.

Die Gesundheitsämter könnten vielerorts Infektionsketten aufgrund der rasant steigenden Zahl von Neuinfektionen nicht mehr nachvollziehen. Das Infektionsgeschehen verteile sich mittlerweile diffus über die Landkreise hinweg. So sind zum Beispiel im Greizer Gesundheitsamt allein 23 Mitarbeiter sieben Tage die Woche mit versetzten Arbeitszeiten für die Kontaktnachverfolgung zuständig.

In der Bevölkerung schwinde außerdem die Akzeptanz für die derzeit geltenden Verordnungen. Wie ein Sprecher aus dem Landratsamt Gotha mitteilte, werden Mitarbeiter deswegen zunehmend angefeindet und beleidigt.

Nennenswerte Hilfe vom Land gebe es keine, so der Vorwurf der Thüringer Gesundheitsämter. Weder die versprochene finanzielle, technische noch personelle Unterstützung seitens des Bundes und des Landes seien in den Gesundheitsämtern vor Ort angekommen, teilte eine Sprecherin des Landratsamtes Sonneberg mit. Stattdessen würden unklare und sich ständig ändernde Rechtsverordnungen mit vielen Ausnahmen und kurzfristigen Änderungen für eine Vielzahl von telefonischen Nachfragen sorgen. Diese müssten ebenfalls von den Ämtern bewältigt werden. Aus dem Gesundheitsamt in Altenburg heißt es, dass die Mitarbeiter zunehmend erschöpft und auch frustriert von dem unklaren Agieren der Landesregierung seien. Andere wichtige Arbeiten der Gesundheitsämter würden derzeit auf der Strecke bleiben.

Das Thüringer Gesundheitsministerium weist diese Darstellung zurück. Erst vor gut einer Woche hatte Gesundheitsministerin Heike Werner (Die Linke) verkündet, eine Million Euro für zusätzliches Personal den Gesundheitsämtern zur Verfügung zu stellen. Mit diesem Geld, das ab Dezember fließen soll, könnten externe Anbieter von Telefondienstleistungen zur Kontaktverfolgung eingekauft werden. Aktuell werde geklärt, inwieweit die Landesregierung noch Personal zur Verfügung stellen kann, zudem sei ein Aufruf an Studenten geplant.

Durch regelmäßige Videokonferenzen und Konferenzen sei man über die Situation in den Gesundheitsämtern gut informiert, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Hilfe vom Land erfolge häufig aber nur indirekt, etwa beim Weiterleiten von Anträgen oder der fachlichen Beratung. Da die Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie massive Eingriffe in das Alltagsleben der Menschen seien und Grundrechte einschränkten, müssten sie permanent überprüft und angepasst werden. Keine Maßnahme dürfe länger als notwendig dauern.