Berlin. Ist die Corona-Pandemie vorbei? Nein. Das Virus ist endemisch geworden. Zwei Experten erklären, was das für Folgen haben wird.

„Wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-CoV-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei“, sagte Christian Drosten in einem Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ und löste damit eine Diskussion aus – zwischen den Vorsichtigen und denen, die wollen, dass endlich wieder alles so ist wie vor der Pandemie. Wie ist Drostens Aussage einzuordnen? Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Was bedeutet „endemisch“?

In der Wissenschaft spricht man von „endemisch“, wenn der akute Ausbruch einer Erkrankung vorbei ist und sich ein oft wellenförmiges Gleichgewicht eingestellt hat. „Eine Endemie bedeutet einfach, dass ein Erreger irgendwo heimisch ist“, erklärt Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) dieser Redaktion.

„Endemie bedeutet, wir haben den Zustand des ‘Neuen Normals’ erreicht.“ Corona sei damit eine weitere Erkrankung, der wir von nun ab ausgesetzt seien und mit der wir uns in aller Voraussicht nun regelmäßig anstecken, so Elling.

Wie wird eine Pandemie zur Endemie?

Das passiert, wenn immer mehr Menschen Kontakt zum Virus hatten – durch Impfung oder Infektion. Sie entwickeln einen Immunschutz. „Inzwischen hatten die allermeisten ein oder sogar mehrmals Covid“, sagt Elling. „Gerade 2022 haben wir durch mehrere sehr große Infektionswellen eine solide Immunität in der Bevölkerung aufgebaut.“ Hinzu kommt eine mittlerweile recht hohe Impfquote in der Gesellschaft.

Steht fest, dass wir uns nun in der Phase der Endemie befinden?

Den Wechsel von Pandemie zu Endemie konkret zu definieren ist kaum möglich. „Es handelt sich dabei um einen fließenden Übergang“, erklärt Dirk Brockmann gegenüber dieser Redaktion. Er ist Physiker an der HU Berlin und Projektleiter für die Modellierung von Infektionskrankheiten am Robert Koch-Institut.

Es sei aber natürlich sinnvoll, an irgendeiner Stelle von der Begrifflichkeit „Pandemie“ zu „Endemie“ zu wechseln, meint Brockmann. Der Zeitpunkt innerhalb der Grauzone sei von Drosten nachvollziehbar gewählt.

„Was aus infektionsdynamischer Sicht eindeutig dafür spricht, ist, dass das Zusammenspiel zwischen dem gesellschaftlichen Verhalten und der Ausbreitung des Coronavirus insgesamt träger geworden ist“, sagt der Modellierer mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Ist mit dem Übergang zur Endemie auch die Zeit der Coronawellen vorbei?

Nein. Corona wird uns weiter erhalten bleiben. „Endemisch heißt ja nicht weg“, betont Brockmann. Neue Wellen ergeben sich immer dann, „wenn die Immunschutzumgebung des Virus und die Abnahme der Immunität in der Bevölkerung dies wieder zulassen“, erklärt Elling.

Die Häufigkeit hängt davon ab, wie lange unser Immunschutz wirkt. Das wiederum hängt laut Elling von zwei Faktoren ab: Zum einen davon, wie sehr sich das Virus verändert, zum anderen davon, wie schnell unsere Antikörper abnehmen. Der entscheidende Unterschied zur Pandemie sei die Höhe der Ausschläge der Infektionswellen, so Brockmann. „Die extrem hohen Ausschläge wie zu Beginn der Pandemie gibt es bei uns nicht mehr.“

Bedeutet das Erreichen der Endemie damit Entwarnung?

Nur in Teilen: „Der Begriff Endemie sagt nichts über die Krankheitsschwere aus“, betont Elling. Auch Karies und Schnupfen seien endemisch, genau wie HIV und Malaria in Afrika endemisch seien. „Nun beobachten wir aber keinen Ausbruch in dem Sinne mehr, sondern endemische Wellen, die die verloren gegangene Immunität wieder auffüllen“, so Elling.

Er warnt jedoch: „Man darf das Ende der Pandemie nicht mit dem Ende der hohen Infektionswellen verwechseln.“ Das sei der Fehler, der im Kopf vieler Menschen passiere. „Das Ende der Pandemie ist eher eine akademische Definitionssache, weniger eine Frage des Erlebens.“

Sind Impfungen gegen Sars-Cov-2 weiterhin notwendig?

Wie auch bei der Grippe sprechen sich Experten dafür aus. Auch Elling gibt zu Bedenken, dass die individuelle Immunität sehr stark von der Bevölkerungsimmunität abweichen kann. „Wer lange nicht mehr infiziert war oder nur eine schlechte Immunantwort ausbildet, sollte diese Immunität weiterhin durch Impfung auffrischen“, rät Elling.

Eine Endemie mache das Coronavirus nicht harmlos, Endemie sei eben nur das „neue Normal“. Auch Brockmann betont: „Endemisch bedeutet nicht ungefährlich.“

Was bedeutet die Aussage Drostens mit Blick auf die Corona-Maßnahmen?

Corona-Modellierer Brockmann meint: „Ein Aufheben der Maßnahmen würde die Gesamtsituation zwar logischerweise nicht verbessern, ich vermute jedoch, dass die Ausschläge, die dadurch entstehen würden, recht gering ausfallen würden.“ Eine Garantie dafür gebe es jedoch nicht.

Elling betont: „Christian Drosten hat mit seiner Aussage natürlich komplett recht, es geht hier aber nur um eine Diskussion der Begrifflichkeit, an die nicht zu viele Erwartungshaltungen geknüpft werden sollten.“ Eine neuerliche Eskalation, etwa durch neue Varianten, sei jederzeit möglich, so der Wissenschaftler.

Was heißt der Wechsel zur Endemie für den Alltag?

Corona ist zur Normalität geworden. Aus Sicht Ellings ist das „ nicht so prickelnd, denn es bedeutet viel besser als jetzt wird der Zustand vielleicht gar nicht mehr“. Auch Brockmann betont, es dürfe sich keine Gleichgültigkeit breit machen. „Wir müssen wachsam sein, sollten weiter testen und eine Coronainfektion nicht auf die leichte Schulter nehmen.“

Das gelte auch für die Corona-Maßnahmen und die individuelle Verantwortung beim Tragen von Masken und der häuslichen Isolation bei Infektion. „Jetzt haben wir das drei Jahre geschafft“, meint er. Nun könne man auch noch ein bisschen beobachten, „und zwar nicht nur in die Richtung, wo das passiert, was wir gerne sehen wollen“.