Berlin. Amazon hat mit dem Kindle Scribe seinen ersten E-Reader mit Stifteingabe veröffentlicht. So schlägt er sich beim Lesen und Schreiben.

Neben Smartphones, Tablets und Smartwatches zählen sie jedes Jahr zu den beliebten Weihnachtsgeschenken für Technik-Fans: E-Book-Reader. Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft hat Amazon daher sein neues Spitzenmodell unter den E-Reader-Geräten auf den Markt geworfen: Den Kindle Scribe. Das Besondere: Es ist das erste Kindle-Lesegerät, das über eine Stifteingabe verfügt. Käufer können neben dem Lesen von E-Books wie auf Papier mit dem Neuling nun auch handschriftlich Notizen auf den Bildschirm kritzeln, Dokumente mit Anmerkungen versehen oder den Kindle Scribe als Notizbuch verwenden.

Allerdings kommt der neue Kindle Scribe deutlich größer und schwerer daher als alle bisherigen Kindle-Modelle – und liegt fast so wuchtig wie ein Tablet in der Hand. Zudem ist das neue E-Reader-Flaggschiff mit Preisen ab 370 Euro fast dreimal so teuer im Vergleich zu Standardmodellen wie dem Kindle Paperwhite (ab 130 Euro). Wie liest und schreibt es sich auf Amazons Kindle Scribe, und für wen eignet sich der Mix aus E-Book-Lesegerät und digitalem Notizbuch mit Stifteingabe? Das verrät der Test nach einer Woche in der Praxis.

Amazon Kindle Scribe: E-Reader mit Stifteingabe im Praxistest

Wer sich für einen E-Book-Reader entscheidet, möchte in aller Regel seine Büchersammlung auch unterwegs immer dabei haben, auf einem leicht zu verstauenden und leicht in der Hand liegenden Lesegerät. Das erfüllt der Kindle Scribe nur bedingt – was seinem Einsatzzweck geschuldet ist. Der Neuling soll die Vorteile von E-Readern, mit Papierhaptik langer Akkulaufzeit, und die eines digitalen Notizbuchs in Einklang bringen. Das spürt man beim Lesen und Schreiben auf dem Sofa, im Bett oder am Schreibtisch.

Der Kindle Scribe wiegt ohne Schutzhülle 433 Gramm und ist mit Abmessungen von 229 x 196 x 5,8 Millimeter kein handliches Gerät mehr. Der E-Ink-Bildschirm misst 10,2 Zoll in der Diagonalen (rund 26 Zentimeter). Die Rückseite ist, wie bei Kindles Luxusmodell Oasis, aus glattem Metall. Beim Testgerät, das vom Hersteller kostenlos für die Testdauer zur Verfügung gestellt wurde, ist es die einzig verfügbare Farbe „Anthrazit“, was einem dunklen Silbergrau ähnelt. Der Reader wirkt wertig und tadellos verarbeitet.

Mit dem Eingabestift (hier das Premium-Modell) des Amazon Kindle Scribe lassen sich Notizen auf den E-Ink-Bildschirm kritzeln.
Mit dem Eingabestift (hier das Premium-Modell) des Amazon Kindle Scribe lassen sich Notizen auf den E-Ink-Bildschirm kritzeln. © ZRB | Maik Henschke

Wuchtig wie ein Tablet, mehr Inhalte auf dem Bildschirm

Nachteil: Der Kindle Scribe fühlt sich in der Hand so wuchtig wie ein iPad oder anderer Tablet-PC an. Wer sein Lesegerät nicht auf den Tisch legt, sondern gern in der Hand hält, muss nach einer Gewissen Zeit die Hand wechseln, beidhändig greifen oder das Gerät an der Unterseite abstützen. Die glatte Metallrückseite fühlt sich leicht rutschig und stets kühl an den Fingern an.

Vorteil des großen Formats: Inhalte lassen sich dank des großzügigen Bildschirms besser erkennen. Schriftgröße und Schriftarten lassen sich wie gewohnt nach eigenem Geschmack und Sehkraft blitzschnell einstellen. Bei gleicher Schriftgröße passt nun deutlich mehr Text auf eine Seite als bei Paperwhite und Co., ein Umblättern ist seltener nötig.

Der Kindle Scribe ist für Rechts- wie Linkshänder geeignet. Der Bildschirmrahmen ist auf einer Seite breiter – was zwar das Anfassen erleichtert aber inzwischen leicht unmodern anmutet. Beim Handwechsel lässt sich das Gerät einfach drehen, der Inhalt rotiert automatisch mit. Auf Wunsch lässt sich der Reader auch im Querformat halten. Zum Umblättern genügt ein Fingertipp auf den rechten (vor) oder linken Seitenbereich (zurück) oder eine Wischgeste. Der Bildschirm reagiert erfreulich dabei flott. Auf Umblätter-Tasten hat Amazon verzichtet. Bis auf die Ein-Aus-Taste an der Seite kommt der Scribe komplett ohne Buttons aus. Bedienen lässt sich alles mit dem Finger, mit der Bildschirmtastatur oder – die wichtigste Neuerung – mit dem Eingabestift, der magnetisch am Rand heftet und nicht aufgeladen werden muss.

Amazon Kindle Scribe – Stärken

  • Wertige Verarbeitung
  • Sehr gute Lesbarkeit
  • Helligkeit und Farbtemperatur fein regelbar
  • Schnelle Reaktion beim Umblättern
  • Akkulaufzeit für mehrere Wochen
  • Flüssige Handschrift-Eingabe

Amazon Kindle Scribe – Schwächen

  • Liegt schwer in der Hand
  • Metall-Rückseite etwas rutschig
  • Breiter Bildschirmrand
  • Aufpreis für Eingabestift
  • Zwang zum Amazon-Ökosystem

Amazon Kindle Scribe: Kann die Stifteingabe überzeugen?

Die wichtigste Erkenntnis: Das Schreiben, Kritzeln, Markieren und Anmerkungen hinterlassen macht mit dem Eingabestift auf dem Kindle Scribe viel Spaß. Die Stifteingabe klappt flott und ohne sichtbare Verzögerung. Obendrein kommt es dem angenehmen Schreiben auf Papier sehr nah. Zwar erlauben auch einige iPads oder Android-Tablets einen Eingabestift, doch die Stiftspitze auf deren Glasoberfläche fühlt sich immer noch deutlich anders an – sofern man keine Bildschirmfolie mit Papierhaptik aufklebt.

Wichtig vor dem Kauf: Amazon liefert den Kindle Scribe mit zwei Stiftvarianten aus: Der günstigsten Ausführung für rund 370 Euro liegt der Standard-Stift bei. Im Praxistest kam der sogenannte „Premium-Eingabestift“ zum Einsatz, der immerhin 30 Euro Aufpreis kostet. Dieser besitzt eine praktische Funktionstaste zum Umschalten zwischen den Stift-Modi sowie am oberen Ende eine Radiergummi-Funktion zum Löschen handgeschriebener Inhalte. Wer viel mit dem Eingabestift arbeiten möchte, sollte die Variante mit Premium-Stift (ab rund 400 Euro) ernsthaft in Erwägung ziehen.

Auf dem Bildschirm schwebt je nach Wunsch links oder rechts vom Text ein kleines, ausklappbares Stift-Menü: Dort kann man per Tipper in den Notizen-Modus wechseln. An der gewünschten Stelle im Buch öffnet sich ein Fenster, in dem sich nun nach Herzenslust Notizen oder Anmerkungen machen darf: Handschriftlich oder auf Wunsch per Bildschirmtastatur. Fünf Strichstärken stehen zur Wahl, von „Fein“ bis „Sehr dick“. Sämtliche Notizen im Buch lassen sich anschließend übersichtlich anzeigen und auch als PDF-Datei per Mail verschicken.

Der Amazon Kindle Scribe von hinten: Größe und Metall-Rückseite erinnern an das iPad.
Der Amazon Kindle Scribe von hinten: Größe und Metall-Rückseite erinnern an das iPad. © ZRB | Maik Henschke

Im Grunde wirkt es so, als würde man als Leser Klebezettelchen im Buch verteilen und beschriften. In gekauften E-Books lassen sich jedoch in den Text hinein handschriftlich keine Notizen machen, das gilt auch für Zeitschriften oder Comics im E-Reader-Format. Dafür lassen sich wie gewohnt Wörter, Zeilen oder ganze Absätze markieren und dann mit Notizen anreichern.

Noch wichtiger ist der Eingabestift für den zweiten Einsatzbereich des Kindle Scribe: Den als digitales Notizbuch. Denn zusätzlich zum reinen Lesegerät bringt der Amazon-Reader eine Reihe an Notizblock-Vorlagen mit. Damit lassen sich etwa auf liniertem oder kariertem Untergrund handschriftlich Texte schreiben, Skizzen anfertigen, Projekte planen oder Tagebuch führen. Mithilfe der Ordnerfunktion verliert man dabei nie den Überblick. Außerdem kann man dank der Funktion „An Kindle senden“ sowohl PDF-Dokumente als auch Word- oder Bilddateien an den Kindle Scribe senden und anschließend mit Handschrift-Notizen bearbeiten, wie man es vom Tablet kennt.

Lesen auf dem Kindle Scribe: Gewohnt gut ohne neue Maßstäbe

Die Bildschirmqualität beim Lesen von E-Books auf dem Scribe ist auf gewohnt hohem Kindle-Niveau – aber auch nicht besser. Wer einen neueren Kindle Paperwhite oder Oasis zuhause hat, muss für ein besseres Leseerlebnis nicht umsteigen. Die hohe Auflösung von 300 PPI bieten alle anderen Kindle-Modelle ebenfalls. Das reicht für ein wunderbar angenehmes Leseerlebnis wie auf Papier allerdings auch völlig aus.

Der Scribe bietet mit 35 LED-Leuchten im Hintergrund gut doppelt so viele wie die Paperwhite-Modelle, was aber vor allem am größeren Bildschirm liegt. Helligkeit und Farbtemperatur lassen sich über je 24 Stufen nach Wunsch fein einstellen. Der Bildschirm ist plan verbaut. Schade: Anders als der Paperwhite oder Oasis ist der Scribe nicht offiziell nach IPX8 gegen langes Eintauchen in Süßwasser geschützt.

Die Akkulaufzeit hinterlässt im recht kurzen Praxistest einen hervorragenden Eindruck. Nach einer Woche täglicher Nutzung von je 30 bis 60 Minuten sind noch mehr als 40 Prozent Akkuladung übrig. Laut Amazon soll der Akku bis zu zwölf Wochen durchhalten, wenn man pro Tag nur eine halbe Stunde liest, dabei den Bildschirm auf eine mittlere Helligkeit einstellt und das Wlan abschaltet. Beim Schreiben soll die Ausdauer demnach bei gleichen Bedingungen auf drei Wochen sinken.

Wie alle Kindle-Modelle ist der Scribe über Wlan angebunden an Amazons hauseigenen Kindle-Shop mit Millionen E-Books zur Auswahl. Auch Hörbücher von Amazons Audible lassen sich herunterladen und über Bluetooth-Kopfhörer anhören. Die Anbindung an die E-Book-Leihbüchereien der öffentlichen Bibliotheken ist nicht möglich.

Der Kindle Scribe mit Stift ist das neue Spitzenmodell unter den E-Reader-Geräten von Amazon.
Der Kindle Scribe mit Stift ist das neue Spitzenmodell unter den E-Reader-Geräten von Amazon. © PR | Amazon

Kindle Scribe: Modelle und Preise

Der Kindle Scribe ist in drei Speichergrößen mit 16 Gigabyte (GB), 32 GB und erstmals auch 64 GB erhältlich. Bei den teuren Modellen mit 32 und 64 GB (bis zu 450 Euro) ist der Premium-Stift inbegriffen. Die günstigste Variante mit Standard-Stift kostet knapp 370 Euro.

Damit kostet ein Scribe mit etwas mehr Speicher nahezu so viel wie ein Mittelklasse-Tablet, das deutlich mehr Funktionen mitbringt, aber beim reinen Lesen etwas im Nachteil ist.

Fazit: Für wen eignet sich der Aufpreis für den Kindle Scribe?

Mit dem Kindle Scribe bietet Amazon ab sofort erstmals einen E-Book-Reader mit Eingabestift aus eigenem Hause. Beim Schreiben auf E-Ink-Bildschirm tritt der Hersteller damit in Konkurrenz Herstellern wie Remarkable – und zu Tablets von Android und Apple in ähnlicher Preisklasse, die zwar kein Papiergefühl aber deutlich mehr Funktionen mitbringen. Lohnen könnte sich der üppige Aufpreis zum Kindle Paperwhite vor allem für Studierende, Lektoren und jene, die beruflich viel mit Textdokumenten zu tun haben.

Wer in der Hauptsache ein angenehmes Lesevergnügen sucht, viel auf Reisen liest und den Stift allenfalls als nette Dreingabe sieht, ist mit dem deutlich günstigeren Paperwhite oder dem Luxusmodell Oasis besser bedient, die auch weniger wuchtig in der Hand liegen. Es bleibt abzuwarten, wie viele Kindle mit Stift dieses Jahr unter den Weihnachtsbäumen landen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.