Berlin. Tausende Bären dienen als Lieferanten für einen medizinischen Wirkstoff. In einer grausamen Prozedur wird ihnen Gallensaft abgezapft.

Dem Kragenbär geht es schlecht. Seit Jahren führt ihn die Weltnaturschutzunion IUCN auf ihrer Roten Liste als „gefährdet“. Der Lebensraum des schwarzen Bären mit dem charakteristischen weißen Fleck auf der Brust in Süd- und Ostasien schrumpft, weil der Mensch seinen ausweitet. Doch gefährdet ist die Art noch aus einem anderen Grund: Die Tiere dienen als Lieferanten eines Wirkstoffs, dem in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) eine heilende Wirkung zugesprochen wird: Ursodesoxycholsäure, kurz UDCA.

Gewonnen wird dieser Stoff nach einer grausamen Prozedur aus dem Gallensaft der Tiere. Immer wieder gelangen Produkte mit Bärengalle auch nach Deutschland. Zwischen 2018 und 2021 stellte der deutsche Zoll achtmal solche Waren sicher: darunter Zäpfchen, Pulver, Salben. Laut Generalzolldirektion ist das aber wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs.

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24.000 Kragenbären leben legal und illegal auf Bärenfarmen

Der Handel mit Produkten aus Bärengalle ist laut dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen Cites verboten. Das Abkommen wurde am 3. März vor 50 Jahren verabschiedet, um bedrohte Tier- und Pflanzenarten vor unkontrolliertem Handel zu schützen. Doch trotz des Verbots und der seit Jahren geäußerten Kritik boomt das Geschäft mit den Galle-Produkten. Im Vorfeld der Olympischen Spiele im Jahr 2008 in Peking forderte sogar das EU-Parlament von China ein Ende der grausamen Praxis.

Verändert habe sich nicht viel, sagt Patrick Boncourt, Verhaltensbiologe und Fachreferent für Bären beim Deutschen Tierschutzbund. „Es ist nach wie vor ein Problem, und zwar ein massives.“ Es sei zwar schwierig an belastbare Informationen zu kommen, sagt Boncourt.

Aber Organisationen wie die Animals Asia Foundation oder World Animal Protection gehen davon aus, dass noch immer zwischen 10.000 und 24.000 Kragenbären legal und illegal auf Farmen in China, Vietnam, Myanmar, Laos und Südkorea in oft viel zu kleinen Käfigen gehalten werden, um ihnen Gallensaft abzuzapfen. Ein brutales Verfahren, bei dem den Bären über ein implantiertes Rohr die Flüssigkeit aus der Gallenblase gezogen wird. „Die Tiere sterben an Infektionen, viele entwickeln Leberkrebs und sind verhaltensgestört“, sagt Boncourt.

Bärengalle auch in Shampoo und Kosmetika enthalten

Entstanden sind die Farmen in den 70er-Jahren, um die Nachfrage nach Bärengalle trotz eines Wildereiverbots der Tiere bedienen zu können. Dabei kann die Ursodesoxycholsäure längst synthetisch im Labor hergestellt werden. Außerdem gebe es zahlreiche pflanzliche Alternativen zur Bärengalle, die auch in der medizinischen Referenzliteratur der TCM aufgeführt seien, schreibt die britische Tierschutzorganisation World Animal Protection in einem Bericht zur Bärengalle-Industrie.

Auf internationalen Bärenkonferenzen werde regelmäßig über das sogenannte bear farming gesprochen, sagt Patrick Boncourt. Hier würden Tier- und Artenschutz ausnahmsweise zusammenkommen: „Normalerweise kümmern sich Artenschützer nicht um Tiere, die in Gefangenschaft leben – sie wollen die Arten in der freien Wildbahn schützen. Aber bei den Gallebären hängt eins mit dem anderen zusammen.“

Denn für die Farmen werden zwar laut offiziellen Angaben keine Wildtiere gefangen, Aktivistinnen und Aktivisten haben daran jedoch ihre Zweifel. Und auch Verhaltensbiologe Boncourt sagt: „Angeblich sollen die Bären für die Farmen gezüchtet werden. Aber um sich zu vermehren, brauchen sie mehr als einen winzigen Gitterkäfig.“

Bärengalle: Medizinische Wirkung von UDCA nachgewiesen

Die Ursodesoxycholsäure spielt seit Jahrtausenden eine Rolle in der Traditionellen Chinesischen Medizin. Sie kommt hochkonzentriert in der Galle von Bären vor, besonders in der des Asiatischen Schwarzbären. Der Bär, lateinisch Ursus, ist namensgebend für die Ursodesoxycholsäure. „Richtig Fahrt aufgenommen hat die Verwendung von Bärengalle in den 1980er-Jahren“, sagt Boncourt. Sie wird in der TCM etwa empfohlen gegen Leberprobleme oder Augenleiden. Laut der Umweltstiftung WWF wird aber inzwischen so viel Zuchtgalle produziert, dass sie auch in Lifestyle-Produkten wie Shampoos oder Kosmetika enthalten ist.

Tatsächlich ist die medizinische Wirkung von UDCA nachgewiesen. Sie kommt, synthetisch hergestellt, auch in der modernen Medizin zum Einsatz, etwa zur Auflösung von Gallensteinen oder für die Therapie von Mukoviszidose und seltenen Lebererkrankungen. Forscherinnen und Forscher aus Großbritannien und Deutschland konnten außerdem in einer Ende 2022 im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichten Studie an menschlichen Organen zeigen, dass UDCA zur Vorbeugung von Covid-19 eingesetzt werden könnte.

Gallebären: Gefahr von Zoonosen durch schlechte Haltung

Dass trotz der Verfügbarkeit synthetischer Alternativen in Ländern wie China noch immer auf die Bärengalle zurückgegriffen wird, erklärt Patrick Boncourt mit einem Traditionsdenken. Das gelte etwa auch für die Nutzung von Tigerhoden oder Horn von Nashörnern. „Ich habe aber die Hoffnung, dass es in ein, zwei Generationen einfach keine Nachfrage mehr nach Bärengalle gibt“, sagt er. Die Tierschutzorganisation World Animal Protection schreibt in ihrem Report, viele Nutzer von Galleprodukten seien sich des Leids der Tiere nicht bewusst. Sie glaubten, große Pharmaunternehmen hätten bei der Herstellung von Galle-Medikamenten hohe Tierschutzstandards.

Und die Autoren des Berichts weisen auf noch etwas hin: Es gehe bei den Gallebären nicht allein um das Leid der Tiere. Die Haltung von Wildtieren auf engem Raum und unter schlechten Bedingungen berge das große Risiko für die Entstehung von Zoonosen. Covid-19 sei nur der jüngste in einer Reihe von Krankheitsausbrüchen, von denen angenommen wird, dass sie von Wildtieren ausgegangen sind.

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