Berlin. Beziehungskrise – und jetzt? Ein Coach erklärt, wann ein Paar daran wachsen kann und welche drei Fragen Sie sich nun stellen sollten.

"Früher hat man die Dinge repariert, statt sie wegzuwerfen" – ein Satz, der sich nicht nur auf kaputte Milchkannen und verbogene Fahrradreifen bezieht, sondern auch auf Beziehungen. 2021 wurden 142.800 Ehen geschieden. Zum Vergleich: 1980 waren es 96.222 und vierzig Jahre früher, 1960, sogar nur 48.873. Haben die Generationen vor uns mehr von der Liebe verstanden?

Nicht unbedingt. Bei vielen Beziehungen handelte es sich um Zweckbündnisse. Die Paare waren finanziell abhängiger voneinander und Scheidungen gesellschaftlich verpönt. Dennoch: Über die Jahre hat sich die Art, wie wir Beziehungen führen, verändert. Dominik Borde ist Beziehungscoach aus Wien. In seiner Arbeit hilft er Paaren dabei, ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln, um so glückliche Beziehungen führen zu können.

Er sagt: "Dank Tinder erscheint es vielen Menschen so, als gäbe es da draußen unendlich viele passende Kandidaten für sie." Also gehen sie, sobald es schwierig wird, in dem Glauben, schnellstmöglich einen besseren Ersatz zu finden – ihre eigenen Baustellen nehmen sie jedoch mit. Dabei kann es für eine Beziehung sehr bereichernd sein, schwierige Zeiten gemeinsam durchzustehen.

Beziehungen: Warum Paare in der Krise landen

Vielen Paaren fehlt es laut dem Coach an Kommunikationsstrategien. "Die meisten Menschen sind entweder unglücklich Single oder unglücklich in einer Beziehung. Das liegt an den Mustern, die sie in ihren Herkunftsfamilien gelernt haben", erklärt er.

Der Wiener Beziehungscoach Dominik Borde
Der Wiener Beziehungscoach Dominik Borde © SozialDynamik

Wer als Kind nicht gelernt habe, über seine Gefühle zu sprechen und so langfristig Intimität zu schaffen, werde auch in einer Beziehung Probleme damit haben. Wer miteinander in die Tiefe gehen wolle, müsse sich gegenseitig kennenlernen und über Themen sprechen, über die man vielleicht noch nie gesprochen hat. Das falle schwer, wenn man es nicht gelernt hat.

"Das Komplexeste überhaupt ist, gemeinsam mit einem anderen Menschen zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Nichts ist schwieriger, aber auch nichts ist wertvoller", so der Experte.

Beziehungskrise: Schlechte Zeiten bereichern das Paar

Am Anfang jeder Beziehung steht die Verliebtheitsphase. In dieser Zeit sind Paare so voller Oxytocin, dass sie einander 24 Stunden am Tag in die Augen schauen könnten und damit absolut zufrieden wären. Sie finden den anderen großartig, verstehen sich blind und glauben, das perfekte Gegenüber gefunden zu haben. Wenn die ersten Hormone verflogen sind, kommt jedoch der Punkt, an dem sie erkennen: Der andere ist in manchen Bereichen völlig anders als ich.

Es folgen erste Konflikte und Auseinandersetzungen. Aber laut Dominik Borde ist es ein Irrglaube zu denken, dass eine Beziehung immer gut laufen muss. Nicht umsonst heißt es: in guten wie in schlechten Zeiten. Für den Experten sind es gerade die schlechten Zeiten, die eine Beziehung bereichern.

"Wir sollten das Anderssein unseres Partners nicht als Widerstand begreifen, sondern als Chance, gemeinsam zu wachsen", sagt er. "Beziehungen verbessern sich nicht, wenn beide entspannt am Strand sitzen, sich das Geld auf der hohen Kante türmt, die Kinder spielen und wir Mojitos schlürfen – sondern im Sturm."

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    Das größte Problem sei, dass die Menschen denken, sie sollten keine Probleme haben. "Wer eine Beziehung führt, um es leichter im Leben zu haben, sollte sich keine anschaffen", sagt er. Wer eine Beziehung eingeht, muss entscheiden: Mit diesem Menschen möchte ich Probleme haben – und sie lösen. "Und dann sind Probleme nicht der Stein, der dich begräbt, sondern die Stufe, auf die du steigen kannst."

    Verletzungen seien in Beziehungen unvermeidbar. Wie wir damit umgehen, was wir daraus machen, das bestimmt, ob es auf Dauer klappt oder bei einer kurzfristigen Liaison bleibt. Doch selbstverständlich gibt es auch gute Gründe, sich als Paar zu trennen.

    "Wenn wir nicht mehr wollen, kann der nötige Entwicklungsschritt auch eine Trennung bedeuten", sagt Borde. "Dann heißt es, aus begangenen Fehlern zu lernen und loszulassen, statt unnötig zu leiden." Wenn Paare jedoch gewillt sind, Krisenzeiten gemeinsam durchzustehen, kann das für ihre Beziehung viele Vorteile haben. Sie haben eine tiefere Bindung geschaffen, sich besser kennengelernt und gelernt, Probleme gemeinsam als Paar zu meistern. Sie gehen also stärker aus der Situation raus als sie reingegangen sind.

    Beziehungskrise überwinden: Diese drei Fragen sollten Sie sich stellen

    Die wirklich schwierigen Themen in einer Beziehung kommen erst im Alter, weiß Borde. Wenn ein Partner zum Beispiel krank wird. "Wie soll das funktionieren, wenn Paare es nicht einmal schaffen, die erste Hürde zu meistern?" Deshalb sei es wichtig, dass Paare sich gegenseitig stärken, unterstützen und an ihren Baustellen arbeiten.

    Der Experte empfiehlt, sich selbst diese drei Fragen zu stellen: Was sind meine limitierenden Muster? Wie kann ich besser kommunizieren? Wie kann ich den anderen gut verstehen? Dann seien die Vorteile, die ein Paar aus einer Krise ziehen kann, mannigfaltig. "Wir wachsen an unseren Widerständen – nicht an unseren Erleichterungen", sagt er und liefert gleich ein passendes Beispiel mit: "Wenn du ins Fitnesscenter gehst, beschwerst du dich auch nicht über die Hanteln, die da rumliegen, sondern siehst sie als Möglichkeit zu wachsen."

    Genauso sei es in einer Partnerschaft: Ein Partner zeigt auf, wo Entwicklungspotenzial besteht, die eigenen Schwächen liegen und es Möglichkeiten gibt, etwas dazuzulernen. Paare, die das verstanden haben und sich über Schwierigkeiten hinaus weiterentwickelt haben, sind letztendlich besser miteinander verbunden, können besser kommunizieren und sind in die Tiefe gegangen.

    Im besten Fall entsteht so nicht nur eine harmonische Beziehung, sondern auch eine lebenslange Freundschaft.