Potsdam. Offener und mutiger werden? An der Persönlichkeit lässt sich arbeiten. Doch nicht immer ist es notwendig, erklärt eine Psychologin.

Gewissenhafter, aufgeschlossener und zielstrebiger: Viele Menschen möchten gerade zum Start in das neue Jahr etwas an der eigenen Persönlichkeit verändern – zu vermeintlich besseren Menschen werden. Was unseren Charakter ausmacht und warum ein radikaler Wechsel alter Gewohnheiten nicht immer zum Ziel führt, dafür aber auch gemeinhin schlechte Eigenschaften ihre positiven Seiten haben, erklärt die Professorin für Persönlichkeitspsychologie Eva Asselmann im Gespräch mit unserer Redaktion.

Frau Asselmann, was macht unsere Persönlichkeit aus?

Eva Asselmann: Das sind ziemlich viele Dinge, aber zu einem großen Teil kann man die individuellen Unterschiede zwischen Menschen mit den sogenannten Big Five (siehe unten) beschreiben. Das sind die fünf großen übergeordneten Persönlichkeitsmerkmale: Offenheit für neue Erfahrungen, Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus.

Prinzipiell spielen für unsere Persönlichkeitsentwicklung zwei große Faktoren eine entscheidende Rolle, nämlich unsere Gene und die Umwelt, in der wir leben. Man kann dabei aber nicht genau beziffern, wie viel Einfluss Gene und Umwelt jeweils auf unsere Persönlichkeit haben, da beide miteinander agieren. Als grober Richtwert gilt aber, dass etwa ein Drittel genetisch bedingt ist. Man spricht immer erst dann von einem Persönlichkeitsmerkmal, wenn eine Eigenschaft über die Zeit hinweg stabil ist und in verschiedenen Situationen auftritt.

Bedeutet das, unsere Persönlichkeit ist irgendwann ausgereift?

Asselmann: Nein, wir wissen schon seit einigen Jahren ziemlich sicher, dass sich die Persönlichkeit ein Leben lang entwickelt. Gerade früher ist man häufig davon ausgegangen, dass die Persönlichkeit in Kindheit und Jugend entsteht und man irgendwann fertig ist. Ähnlich also wie das Körperwachstum, das dann abgeschlossen ist. Mittlerweile weiß man, dass dem nicht so ist und dass man sich über das gesamte Leben hinweg immer weiter verändert.

Das geht teilweise auch auf umweltbedingte Erfahrungen zurück, die wir in bestimmten Zeitfenstern unseres Lebens machen. Erst gehen wir in die Schule, dann studieren wir und schließlich kommt die Rente. Das sind ganz typische Erfahrungen, die wir in unterschiedlichen Altersbereichen machen und wodurch sich unsere Persönlichkeit immer wieder weiterentwickeln kann.

Klingt, als brauche es einschneidende Erlebnisse, um die Persönlichkeit zu ändern. Stimmt das?

Asselmann: Bei einschneidenden Erlebnissen geht man davon aus, dass sie in der Regel zu neuen Rollen und Rollenanforderungen führen. Wenn man in das Berufsleben einsteigt, ist man danach nicht mehr Schülerin oder Studentin, sondern Arbeitnehmerin. Damit wird man mit ganz konkreten Erwartungen und Haltungen konfrontiert.

Wenn man versucht diesen Anforderungen gerecht zu werden, passt man sein Verhalten natürlich an. Halten diese neuen Anforderungen und die damit verbundene Verhaltensänderung über einen längeren Zeitraum an – so die Idee dahinter –, kann das eine dauerhafte Veränderung der Persönlichkeit anstoßen.

Gibt es gute und schlechte Persönlichkeitseigenschaften?

Asselmann: Viele Menschen halten höhere Ausprägungen in den Big Five für erstrebenswert. Häufig übersehen wir aber die positiven Aspekte, die mit geringeren Ausprägungen im jeweiligen Merkmal einhergehen. Introvertierte können sich zum Beispiel lange Zeit am Stück vertieft mit einer Sache befassen und gut mit sich allein sein. Auch Vielfalt ist etwas sehr Hilfreiches und enorm Wichtiges.

Stellen Sie sich vor, wir wären alle gleich. Zum Beispiel alle Überflieger mit hohen Ausprägungen in den Big Five. Dann hätten wir ein echtes Problem, weil wir dann für ganz viele Aufgaben und Jobs nicht mehr die passenden Personen hätten.

Gerade in größeren Gruppen oder in Gesellschaften ist es unheimlich wichtig, dass Menschen unterschiedlich sind. Einfach weil wir viele gesellschaftliche Nischen haben, in die jeweils andere Persönlichkeiten hineinpassen. Das schaffen wir nur durch Vielfalt und die wiederum macht unseren Alltag erst bunt, abwechslungsreich und interessant.

Vielfalt unterschiedlicher Persönlichkeiten ist für die Gesellschaft enorm wichtig.
Vielfalt unterschiedlicher Persönlichkeiten ist für die Gesellschaft enorm wichtig. © Shutterstock | pathdoc

Warum aber wollen dennoch viele gerne etwas an sich und ihrer Persönlichkeit ändern?

Asselmann: Wir Menschen streben danach, weiterzukommen und uns weiterzuentwickeln. Das ist eine grundlegende menschliche Eigenschaft. Die meisten möchten höhere Werte in den Big Five, weil sie sich davon versprechen, gewisse Ziele, die sie für sehr erstrebenswert halten, besser zu erreichen.

Viele denken, wenn sie gewissenhafter wären, wären sie auch besser in der Schule, im Studium oder bei der Arbeit. Oder wenn sie verträglicher wären, dann kämen sie in der Beziehung besser mit der Partnerin aus. Sie glauben, dass sie dann liebenswerter oder glücklicher wären, ohne aber wirklich darüber nachzudenken, warum sie gerne so wären und ob das vermeintliche Ziel wirklich der Schlüssel zum eigenen Lebensglück ist.

Wie kann man alte Gewohnheiten und Eigenschaften aufgeben?

Asselmann: Ich rate dazu, sich nicht gleich um hundertachtzig Grad drehen zu wollen, sondern sich erstmal zu fragen: Welche Stärken bringe ich eigentlich schon mit? Welche vermeintlichen Schwächen habe ich? Und welche Stärken liegen vielleicht auch in diesen Schwächen? Ganz oft gibt es positive Aspekte an vermeintlich schlechten Eigenarten, die wir vorschnell übersehen.

Wenn man sich trotzdem ändern möchte, hilft es, an ganz konkreten Problemen im Alltag anzusetzen und seine Ziele so detailliert wie möglich zu formulieren. Anstatt also zu sagen „Ich werde ab sofort gewissenhafter“, legt man besser fest, wann man künftig die Wohnung putzen und aufräumen will.

Von der Gewohnheitsforschung weiß man, dass es mindestens sechs bis acht Wochen dauert, bis sich neue Gewohnheiten eingeschliffen haben und dass wir danach mit hoher Wahrscheinlichkeit lange bei der Stange bleiben.

Persönlichkeit: Das macht die sogenannten „Big Five“ aus

Offene Menschen sind laut Persönlichkeitspsychologin Eva Asselman aufgeschlossen für Neues und gerade auch für Intellektuelles. Diese Menschen begeistern sich für Musik und Kunst, für Literatur, für Museen, fremde Sprachen und Länder. Sie probieren gerne exotisches Essen aus und sind neugierig und aufgeweckt. Extravertierte sind gesellig, gehen aus sich heraus, sie sprechen viel und sind gerne unter Leuten.

Gewissenhaftigkeit beschreibt Menschen, die ordentlich, fleißig, aufgeräumt, zuverlässig sind. Verträgliche Personen wiederum legen einen großen Wert auf ein harmonisches Miteinander. Sie sind in der Regel zuvorkommend, respektvoll, freundlich und ihnen ist es ganz besonders wichtig, mit anderen Menschen gut auszukommen.

Wenn man emotional stabil ist, ist man laut Asselmann robust und stressresistent, auch wenn es im Leben turbulenter wird. Wenn etwa Schicksalsschläge eintreten, bleibt man ruhig und lässt sich nicht so leicht aus der Bahn bringen. Diese Personen sind also weniger anfällig für negative Gefühle wie Stress, Angst oder Niedergeschlagenheit.

Psychologin und Professorin für Persönlichkeitspsychologie Eva Asselmann
Psychologin und Professorin für Persönlichkeitspsychologie Eva Asselmann © Jens Gyarmaty

Zur Person

Prof. Dr. Eva Asselmann (33) ist Psychologin und Professorin für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der Health and Medical University (HMU) in Potsdam. Sie forscht zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung, Gesundheitsförderung und Prävention.

Als Coach und Trainerin berät sie Einzelpersonen und größere Organisationen. Ihr aktuelles Buch “Woran wir wachsen“ ist im August 2022 erschienen und beleuchtet die neuesten Erkenntnisse der Persönlichkeitspsychologie.