Berlin. Salmonellen, Schimmel, Verunreinigungen: Die Zahl der Produktwarnungen nimmt Jahr für Jahr zu. Warum das nicht unbedingt schlecht ist.

Mineralölrückstände in Chips, aber auch Salmonellen in Süßem, Chemie in Grillpfannen – regelmäßig müssen Hersteller Produkte wegen Gesundheitsgefahren zurückrufen. Die Zahl der Warnungen nimmt stetig zu. Das zeigen die jährlichen Statistiken des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL).

Demnach wurden allein vergangenes Jahr 311 Warnmeldungen veröffentlicht, im Schnitt knapp sechs pro Woche – „so viel wie nie zuvor“, sagt Georg Schreiber, der die Abteilung Lebensmittelsicherheit des BVL leitet. 2021 waren es 282, im Jahr 2020 noch 273.

Selten sorgen die Rückrufe allerdings für so viel Aufregung wie jener vor knapp einem Jahr: 2022 musste der italienische Süßwarenhersteller Ferrero kurz vor Ostern zahlreiche Schoko-Produkte der Marke „Kinder“ wegen Verunreinigungen mit Salmonellen zurückrufen, nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern. Kinder kamen ins Krankenhaus. Das Ausmaß war besonders.

Rückrufe: Nicht nur Lebensmittel betroffen

Andere Fälle werden weniger bekannt, meist sind nur einzelne Chargen betroffen. Die Folgen können für Einzelne dennoch gravierend sein, sie können sich verletzen oder erkranken. Das häufigste Problem: Salmonellen, aber auch Campylobacter, E. coli, Schimmelpilze und andere mikrobiologische Verunreinigungen. Aber auch zu hohe Belastungen mit Schadstoffen wie Pflanzenschutzmitteln oder Glas- oder Metallsplitter in Produkten kommen oft vor.

Das BVL oder die Behörden der Länder veröffentlichen die Warnmeldungen auf der Internetseite lebensmittelwarnung.de seit 2011. Seit 2019 ist das nicht mehr allein auf Lebensmittel beschränkt, darüber hinaus werden auch Kosmetika oder Bedarfsgegenstände wie Haushaltswaren, Modeschmuck oder Spielzeug gelistet, wenn bei der Produktion etwas gefährlich schiefgelaufen ist.

Kürzlich stand dort zum Beispiel auch: „L’Epicure Raw Cl Quadratische Grillpfanne 26 cm“, die zwischen Februar 2022 und Dezember 2022 in TK Maxx Filialen verkauft worden sei, könne wegen eines „Sicherheitsproblems“ zur „Freisetzung schädlicher Chemikalien“ führen. Am häufigsten aber müssen nach wie vor Lebensmittel aus den Supermarktregalen weichen.

Rückrufzahlen steigen: stärkere Kontrollen und härtere Grenzwerte

„Dass sich die Vorfälle häufen, bedeutet aber nicht automatisch, dass schlampiger gearbeitet, die Lebensmittelqualität schlechter wird“, sagt Sabine Holzäpfel, zuständig für Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Im Gegenteil zeige sich: „Das Warnsystem funktioniert.“ Analyseverfahren seien verfeinert worden. Kontrollsysteme schlügen schneller, also auch schon bei geringeren Verunreinigungen an. Zulässige Grenzwerte seien auch herabgesetzt worden. Das führe alles zu mehr Meldungen.

BVL-Mann Schreiber sieht das ähnlich. Die Behörde erklärt zudem: „Öffentliche Rückrufe werden inzwischen als Bestandteil eines verantwortungsvollen Managements gesehen, mit dem auch Vertrauenswürdigkeit demonstriert wird.“ Die Hersteller nehmen die Fehler aus der Produktion demnach auch aus eigenem Interesse ernster. Das eigene Image steht auf dem Spiel, kommen sie ihren Pflichten nicht nach, fliegen aber auf. Holzäpfel sagt: „Sie riskieren in den sozialen Medien einen Shitstorm.“

Verunreinigungen von Lebensmitteln entstehen oft in der Produktion. Im Bild zu sehen: das Werk des Süßwarenherstellers Ferrero im französischen Villers-Ecalles (Seine-Maritime).
Verunreinigungen von Lebensmitteln entstehen oft in der Produktion. Im Bild zu sehen: das Werk des Süßwarenherstellers Ferrero im französischen Villers-Ecalles (Seine-Maritime). © picture alliance / Lp/Olivier Arandel/MAXPPP/dpa | Lp/Olivier Arandel

Gesundheitsgefahr: Laien können Warnungen oft nicht verstehen

Unternehmen müssen sich nicht nur an die zuständigen lokalen Behörden wenden, wenn sie feststellen, dass von einem Produkt eine Gesundheitsgefahr ausgeht. Sondern sie müssen auch die Verbraucher informieren, steht die Ware schon in den Regalen. Manche entwerfen zum Beispiel Aushänge für Supermärkte und Discounter. Nur: Strikt geregelt ist nicht, wie die Verbraucher schnell informiert werden müssen.

Als ein hessischer Gemüsehändler im vergangenen Jahr keimbelastete geschnittene Gurken für Salate in Krankenhäuser geliefert habe, sei zum Beispiel tagelang offengeblieben, wohin die Ware genau gegangen ist, kritisiert Holzäpfel. Zudem könnten Laien die Warnungen oft nicht verstehen: „Die konkrete Gesundheitsgefahr wird vielfach gar nicht benannt.“

Andreas Winkler – er spricht für die Verbraucherorganisation Foodwatch – moniert darüber hinaus: „Warum gibt es zum Beispiel keine App, mit der sich interessierte Verbraucher jede Meldung, die auf lebensmittelwarnung.de eingeht, direkt auf ihr Handy schicken lassen können? Es gibt nicht einmal einen elektronischen Newsletter, den sich jede und jeder abonnieren kann.“ So würden Konsumenten zu spät oder auch gar nicht von Warnungen erfahren.

Warnportal will Verbraucher bald besser informieren

Das solle sich bald ändern, erklärt eine Sprecherin des Bundesernährungsministeriums: „Nach der im Koalitionsvertrag vereinbarten verbraucherfreundlichen Überarbeitung des Portals Lebensmittelwarnung wird dieses in naher Zukunft auch über einen Newsletter sowie eine App verfügen. Da das BVL die Website im Auftrag der für die amtliche Lebensmittelüberwachung zuständigen Länder betreibt, bedarf es hierzu noch der Unterzeichnung einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern, die gerade abgestimmt wird.“

Wie schnell das geht: offen. Indes resümiert Holzäpfel: „Werden mehr Verunreinigungen aufgedeckt, macht das den Einkauf sicherer – vorausgesetzt, die Information kommt bei den Bürgern an.“