Dresden. Weil er in Chemnitz einem Mann tödliche Verletzungen beigebracht hat, ist ein Syrer jetzt zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden.

Die Bürgermeisterin von Chemnitz, Barbara Ludwig (SPD), hat sich zu dem Urteil im Prozess um die tödliche Messerattacke in ihrer Stadt geäußert. Die Entscheidung des Gerichts sei zu akzeptieren. „Es gibt ein Urteil und das haben wir alle zu respektieren - ich auch. Wir leben in einem Rechtsstaat.“

In ihrem Statement erinnerte die Oberbürgermeisterin an die Situation vor einem Jahr mit zahlreichen Demonstrationen und fremdenfeindlichen Übergriffen. „Chemnitz war viele Wochen eine Mischung aus Traurigkeit und Angst, aber auch aus Aufstehen und Mut“, sagte Ludwig. Nun sei es Aufgabe zu zeigen, dass die Stadt vielfältig und offen sei. Es gebe viele engagierte Chemnitzer.

Chemnitzer Messerangriff: Syrer verurteilt – Entscheidung noch nicht rechtskräftig

Es war eines der folgenreichsten Verbrechen der jüngeren Geschichte Sachsens: Der 35-jährige Deutsche Daniel H. wird am 26. August 2018 in Chemnitz erstochen – von einem Syrer und mutmaßlich von einem Iraker. Es kommt zu Aufmärschen von Neonazis, rechter Gewalt und zur Zerreißprobe für die große Koalition. An diesem Donnerstag wurde nun das Urteil gegen einen der Täter gesprochen.

Der 24 Jahre alte Syrer Alaa S. muss neun Jahre und sechs Monate in Haft. Das Landgericht Chemnitz sprach den Mann am Donnerstag nach 19 Verhandlungstagen in Dresden wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung schuldig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann vor dem Bundesgerichtshof angefochten werden.

Tödlicher Messerstich in Chemnitz: Iraker auf der Flucht

Er wurde nicht nur beschuldigt, gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker Daniel H. getötet zu haben, die beiden sollen noch einen weiteren Mann mit einem Messerstich schwer verletzt haben. Der mutmaßliche Mittäter ist weltweit zur Fahndung ausgeschrieben.

Die Staatsanwaltschaft hatte vor dem Landgericht Chemnitz für den angeklagten Syrer eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gefordert. Die drei Vertreter der Nebenklage gingen am Donnerstag in ihren Plädoyers über diesen Antrag hinaus und forderten eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren.

Die Verteidigung hatte kurz vor dem Urteil auf Freispruch plädiert. In seinem letzten Wort vor Gericht sprach sich der Angeklagte am Donnerstag für ein faires Urteil aus. „Ich kann nur hoffen, dass hier die Wahrheit ans Licht gebracht wird und ein gerechtes Urteil gesprochen wird“, ließ der Syrer durch einen Dolmetscher übersetzen.

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    Angeklagter beteuerte in ZDF-Interview seine Unschuld

    Vor Gericht hatte der Angeklagte zu den Tatvorwürfen geschwiegen. Unmittelbar vor dem erwarteten letzten Verhandlungstag hat er jedoch in einem Interview mit dem ZDF seine Unschuld beteuert. Nach Angaben des Landgerichts haben die dortigen Aussagen keinen Einfluss auf die Urteilsfindung der Kammer.

    Dafür seien laut Strafprozessordnung allein die im Laufe der Verhandlung gewonnen Erkenntnisse entscheidend. „Als Mittel für die Gewinnung der Überzeugung darf vom Gericht alles verwertet werden, was zum Gegenstand der Hauptverhandlung – vom Aufruf zur Sache bis zu den Schlussvorträgen und dem letzten Wort des Angeklagten – gemacht worden ist“, teilte eine Sprecherin schriftlich mit.

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      Rassistische Übergriffe in Chemnitz nach Messerangriff

      Weit mehr als das Verbrechen warfen die Folgen national wie international ein Schlaglicht auf Chemnitz. Bilder von rechten Demonstrationen, Aufmärschen von Neonazis und Fußball-Hooligans, von Übergriffen sowie dem Zeigen des Hitlergrußes in zahlreichen Fällen gingen um die Welt.

      Ein jüdisches und drei andere Restaurants mit ausländischer Küche wurden überfallen. Später flog die rechtsextreme Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ auf. Der Prozess gegen die acht mutmaßlichen Mitglieder beginnt am 23. September.

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        Der Fall hatte auch eine politische Dimension. Der Streit um die Frage, ob es „Hetzjagden“ in Chemnitz gegeben habe, wurde zur Zerreißprobe für die große Koalition aus Union und SPD – und führte letztlich dazu, dass der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde.

        Am Sonntag könnte die Stimmung in Chemnitz wieder hochkochen: Die vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Bewegung Pro Chemnitz hat dann zu einer Kundgebung aufgerufen.

        (dpa/cho/ba)