Berlin. Corona-Experten warnen: Drosten, Brinkmann, Ciesek und weitere Mediziner sind wegen der Lage in den Krankenhäusern alarmiert.

  • Die Corona-Zahlen steigen stark an in Deutschland, die Intensivstationen füllen sich, Krankenhäuser gelangen allmählich an ihre Kapazitätsgrenze
  • Zwar soll nun ein einheitlicher Lockdown in Deutschland kommen - doch bis es dazu kommt, werden noch einige Tage vergehen
  • Wissenschaftler wie Christian Drosten warnen bereits und fordern härtere Maßnahmen

Die dritte Welle der Corona-Pandemie nimmt besorgniserregende Dimensionen an. Währenddessen gibt es vonseiten der Politik statt konkreten Beschlüssen zur Eindämmung aktuell vor allem eines: Uneinigkeit.

Der Corona-Gipfel, der für Montag vorgesehen war, wurde ersatzlos abgesagt. Hintergrund der Absage sind Differenzen zwischen den Ländern: Man sei sich uneinig, was konkret bei dem Treffen beschlossen werden soll. Wie Vize-Regierungssprecherin Demmer bereits am Mittwoch sagte, will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) allerdings einen "kurzen einheitlichen Lockdown" umsetzen. Dafür soll das Infektionsschutzgesetz geändert werden. Aktualisierung vom 14. April 2020: Drosten kritisiert neue Corona-Notbremse und Lockdown-Regeln.

Es soll diese Woche den Bundestag passieren, muss dann aber noch vom Bundesrat bestätigt werden. Bis es also zu einem bundesweiten einheitlichen Lockdown kommt, wird noch Zeit vergehen. Die Frage: Wie viel Zeit kann man sich eigentlich erlauben?

"Wir müssen diese dritte Welle miteinander brechen und Kontakte reduzieren. Vor allem im privaten Bereich, in den Schulen, auf Arbeit, wo es eben geht", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Demnach appellierte er an die Länder, "dort, wo eine Inzidenz von über 100 ist, die vereinbarte Notbremse konsequent umzusetzen, um die Zahlen runter zu bringen". Experten und Mediziner bewerten den aktuellen Zustand in Deutschland als fatal - und schlagen Alarm.

Forscher: Draußen so gut wie keine Infektionsgefahr

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    Virologe Drosten: "Dies ist ein Notruf"

    Charité-Mediziner Christian Drosten plädiert für harte Maßnahmen. "Wir werden um einen ernsthaften Lockdown nicht herumkommen", sagte er im "Spiegel"-Interview. Nicht zuletzt wegen der sich stark verbreitenden britischen Corona-Mutante müsse man dringend etwas tun. "Dass gegen diese aggressivere Variante ein Teil-Lockdown mit abgestuftem Maßnahmenkatalog nicht durchgreift, haben wir in Paris und London gesehen" - um in Deutschland eine derartige Entwicklung abzuwenden, sei "jetzt aber politisches Handeln und auch die Unterstützung möglichst vieler Menschen notwendig."

    Am Donnerstag warnte Drosten angesichts der aktuellen Infektionszahlen zusätzlich vor einer steigenden Auslastung der Intensivbetten: Er teilte einen Twitter-Beitrag von Christian Karagiannidis, dem wissenschaftlicher Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Dieser verdeutlichte anhand von Grafiken, wie die Prognosen des Divi mit den tatsächlichen Belegungen der Intensivbetten übereinstimmen.

    Dazu schrieb Karagiannidis: "Liebe Entscheidungsträger, wie hoch sollen die Zahlen denn noch steigen bevor Ihr reagieren wollt? Wir verpassen jede Ausfahrt zur Senkung der Zahlen. [...] Bitte handelt endlich!" Drosten unterstrich die Bitte mit den Worten: "Dies ist ein Notruf."

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    Karagiannidis: Zahl der freien Intensivbetten teilweise nur noch im einstelligen Bereich

    In einem weiteren Twitter-Beitrag veranschaulichte Karagiannidis, dass die Zahl der freien Intensivbetten in manchen Städten nur noch einstellig ist. "Städte wie Bonn oder Bremen oder Köln haben kaum noch freie Betten für den nächsten Herzinfarkt, Verkehrsunfall oder Covid-Patienten! Und einen instabilen Patienten kann man nicht einfach dorthin verlegen wo gerade Platz ist. Ein freies Bett in Ostwestfalen hilft da nicht", schrieb der Mediziner.

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    Mit der bildlichen Darstellung der Infektionsdynamik forderte Karagiannidis einen sofortigen Lockdown. "Es braucht jetzt dringend einen harten Lockdown für zwei Wochen, verpflichtende Tests an Schulen zweimal in der Woche und deutlich mehr Tempo bei den Impfungen in den Zentren und Arztpraxen", sagte er außerdem der "Rheinischen Post".

    Laut dem Divi-Intensivregister wurden Anfang der Woche 4.144 Menschen intensivmedizinisch behandelt. Davon wurde mehr als die Hälfte der Intensivpatienten mechanisch beatmet. Divi-Präsident Gernot Marx erwartet im Rahmen der dritten Welle bis zu 6.800 Patienten - bei mehr als 5.000 Covid-19-Patienten werde es kritisch.

    Brinkmann: Politiker hätten eher auf Warnungen reagieren müssen

    "Ich werde wahnsinnig" - auch Virologin Melanie Brinkmann vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum kritisierte, dass die Politik keine Maßnahmen zur Eindämmung der britischen Mutante B.1.1.7 auf den Weg gebracht hat, als es die Möglichkeit noch gab. Der Wissenschaftlerin zufolge sei das Kranken- und Pflegepersonal schon im letzten Jahr an seine Grenzen gestoßen.

    Gegenüber "Spiegel" betonte sie ebenfalls: Sie ist wütend, dass nicht eher auf die Warnungen der Wissenschaft reagiert wurde. Ihre besorgniserregende Prognose: Wenn alles so weiterlaufe wie bisher, "wird jeder in seinem ganz direkten Umfeld Menschen kennen, die im Krankenhaus waren, gestorben sind, unter Langzeitschäden leiden."

    Demnach forderte auch Brinkmann im "Spiegel"-Interview einen harten Lockdown: "Innerhalb von vier Wochen kriegen wir die Zahlen massiv runter, wenn die Menschen kaum Kontakte haben. Je stärker alle auf die Bremse treten, desto kürzer währt der Lockdown."

    Sandra Ciesek: "Vier Wochen Lockdown reichen nicht"

    Auch Virologin Sandra Ciesek bewertete die aktuelle Lage. In der neuen Folge des NDR Info Podcasts "Coronavirus-Update" sprach sie sich ebenfalls für einen harten Lockdown aus. In Anbetracht der Berechnung des Robert Koch-Instituts zu der Frage, wie sich Kontaktbeschränkungen bei gleichzeitigem Impf-Fortschritt auf die Krankenhaus-Belastung auswirken würde, forderte Ciesek allerdings noch härtere Maßnahmen.

    "Die Berechnungen zeigen deutlich: Vier Wochen Lockdown, bei dem die Kontakte um bis zu 50 Prozent zurückgefahren werden, reichen nicht, um dieses Infektionsgeschehen groß zu verändern - weder bei den Todesfällen noch bei den mit Covid-19-Patienten belegten Intensivbetten." Ciesek geht davon aus, "dass wahrscheinlich vor Juni kein wahnsinniger Effekt durch die Impfungen zu sehen sein wird" - erst dann könne man die Kontaktbeschränkungen in Deutschland aufheben. "Ich denke, viele überschätzen den Effekt der Impfung", so die Medizinerin.