Berlin. Christian Drosten warnt vor horrenden Opferzahlen in Deutschland. Er fordert sofortige Maßnahmen – die bisherigen reichten nicht aus.

  • Nach Ansicht von Christian Drosten steht Deutschland ein harter Corona-Winter bevor
  • Er rechnet mit Zehntausenden Toten - sollte die vierte Welle nicht gebrochen
  • Neue Einschränkungen wie Kontaktbeschränkungen wären erforderlich

Die Corona-Situation in Deutschland eskaliert zunehmend. Im NDR-Podcast "Coronavirus-Update" warnt der Virologe Christian Drosten eindringlich vor einer weiteren Verschärfung der Lage im heraufziehenden Winter. Er fordert die Politik auf, jetzt zu handeln. Deutschland befinde sich in einer "Notfallsituation".

Drosten zieht eine bittere Bilanz: "Wir sind schlimmer dran als vor einem Jahr." Trotz Impfungen, trotz altbekannter Verhaltensregeln. Die Delta-Variante habe "die Karten neu gemischt" und auch die Geimpften würden zu der Virusausbreitung beitragen, sagt Drosten, der die Virologie an der Berliner Charité leitet. Durch die neuen 2G-Regeln in vielen Bundesländern sowie der ebenfalls weit verbreiteten 3G-Regel dürften sich geimpfte und genesene Personen frei in der Gesellschaft bewegen. Sie übertrügen allerdings das Virus, sodass es schließlich auch bei Ungeimpften ankomme. "Die fallen dann als neue schwere Fälle auf", sagt Drosten.

Dass er wenig Verständnis hat für Menschen, die sich noch immer nicht haben impfen lassen, lässt er ebenfalls durchblicken. "Wir haben 15 Millionen Leute, die sich hätten impfen lassen können, die aber nicht geimpft sind." Darunter seien viele mit einem "hohen Risikoprofil", weil sie entweder Grunderkrankungen hätten oder alt seien.

Der Virologe Christian Drosten gilt seit Beginn der Pandemie als zuverlässiger Corona-Experte.
Der Virologe Christian Drosten gilt seit Beginn der Pandemie als zuverlässiger Corona-Experte.

Drosten: Kurzfristige Maßnahmen müssen her – Shutdown möglich

Die Intensivstationen laufen derzeit wieder voll, Medizinerinnen und Pflegepersonal arbeiten in vielen Krankenhäusern an der Belastungsgrenze. Deshalb müsse es jetzt um kurzfristige Maßnahmen gehen, "die wir eigentlich hofften, hinter uns zu haben", sagt Drosten. Kontakte müssten wieder beschränkt werden. "Wenn die Leute ihr Verhalten ändern und die Bedrohung ernster nehmen, hat das einen Effekt." Klare Kommunikation sei hier sehr wichtig: "Man muss klar machen, dass es sehr ernst ist."

Er erwartet einen sehr anstrengenden Winter "mit neuen, sagen wir ruhig: Shutdown-Maßnahmen". Maßnahmen wie 3G oder selbst 2G reichten vermutlich nicht aus, um angesichts der Delta-Variante die Zahl der Infektionen genug zu senken. Weiterlesen: Corona-Medikamente – Lauterbach und Drosten teilen Schockfoto

Drosten warnt vor 100.000 weiteren Corona-Toten

Auf Deutschland könnten bis zu 100.000 weitere Todesfälle zukommen, würden keine härten Maßnahmen ergriffen, warnt Drosten mit Blick auf die Erfahrungen aus England. Dort ist die Impfquote ähnlich hoch wie hierzulande, allerdings sterben mehr Menschen. Drosten sagte dazu auch: "Das ist eine konservative Schätzung." Das heißt: Es könnten auch deutlich mehr Tote werden.

Drosten fordert Impfungen neu zu denken

Eine mittelfristige Strategie, bis wesentlich mehr Menschen in der Bevölkerung geimpft sind, ist laut Drosten die Booster-Impfung. "Wir müssen beginnen, eine vollständige Impfung als eine Impfung mit drei Dosen zu betrachten", so Drosten. Dabei sollten ältere Menschen die dritte Impfung so schnell wie möglich erhalten, auch wenn ihre zweite Impfung erst vier Monate her sei. "Es geht um die Welle und nicht um das Datum im Impfpass", so Drosten.

Maßnahmen wie kostenlose Corona-Tests, 1G-Modelle oder PCR-Schnelltests würden vermutlich nicht ausreichen, um die Zahl der Infektionen schnell genug zu senken.

Für die Auffrischungsimpfung gegen Corona sind die Hausärztinnen und Hausärzte zuständig.
Für die Auffrischungsimpfung gegen Corona sind die Hausärztinnen und Hausärzte zuständig. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Kostenlose Tests seien allerdings keine geeignete Notbremse, so der Virologe, besonders, weil sich Geimpfte im aktuellen 3G-Modell nicht testen lassen müssen. Auch ein 1G-Modell oder PCR-Schnelltests seien keine Lösung.

Beides sei logistisch nicht zu bewerkstelligen. "Ich finde es problematisch, dass solche Dinge als Patentlösungen vorgeschlagen werden, wobei sie logistisch nicht funktionieren", so Drosten. (fmg/ mit dpa)