Berlin/Brüssel. Die Sorge vor einer gefährlichen Corona-Variante ist groß. Sie könnte sich durch Reisende aus China verbreiten. Was Experten raten.

Im Januar vor drei Jahren steckte sich der deutsche Patient Nummer eins bei einer chinesischen Kollegin mit dem neuen Coronavirus an. Was folgte, ist bekannt. Jetzt ist die Sorge groß, dass sich die Geschichte wiederholt: „Es darf nicht sein, dass noch einmal dasselbe passiert wie zu Beginn der Pandemie“, warnt Johannes Nießen, Vorsitzender der deutschen Amtsärzte. Wie schützen wir uns vor gefährlichen Virus-Varianten?

Reisende aus China: Was passiert an den Grenzen?

Die Europäische Union ist alarmiert: Die fortlaufende Beobachtung der Covid-Krise in China wird intensiviert, die Risiko-Bewertung fortlaufend überprüft, erklärte die EU-Gesundheitsbehörde ECDC am Dienstag. Doch mit der Festlegung auf eine allgemeine Corona-Testpflicht für Reisende aus China, wie sie etwa auch die USA und Japan beschlossen haben, tut sich die EU weiter schwer.

Wichtige EU-Länder – Frankreich, Italien, Spanien – haben die Testpflicht auf eigene Faust eingeführt, drängen aber auf eine europaweite Regelung. Experten der 27 EU-Staaten diskutierten am Dienstag erneut über schärfere Maßnahmen und verständigten sich auf ein koordiniertes Vorgehen – eine Mehrheit, aber nicht alle plädierten für Corona-Tests vor der Abreise aus China. Am Mittwoch könnte bei einer Beratung der Mitgliedstaaten im Krisen-Stab IPCR eine Entscheidung fallen.

China warnte aber am Dienstag vorsorglich vor der Einführung der Corona-Testpflicht und drohte EU-Ländern, die sie schon eingeführt haben, mit Gegenmaßnahmen. Aber auch Experten der EU-Gesundheitsbehörde ECDC bremsen nach wie vor bei Grenzkontrollen: Die in China zirkulierenden Corona-Varianten seien bereits in Europa verbreitet.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will erreichen, dass mögliche Corona-Varianten rechtzeitig entdeckt werden.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will erreichen, dass mögliche Corona-Varianten rechtzeitig entdeckt werden. © dpa | Jörg Carstensen

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist bislang ebenfalls gegen eine Testpflicht an der Grenze, setzt sich aber im Verbund mit anderen europäischen Staaten für ein System zum „Varianten-Monitoring“ an Flughäfen ein, um beim Auftreten besorgniserregender neuer Varianten des Coronavirus sofort reagieren zu können.

Auch EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides riet in einem Schreiben zu sanfteren Maßnahmen – etwa die intensivere Sequenzierung oder die Untersuchung von Abwasserproben auf Virenbelastung. Belgien und Österreich haben bereits angekündigt, das Abwasser von Flugzeugen aus der Volksrepublik auf neue Covid-19-Varianten zu testen. Zur Strategie der EU-Kommission gehört aber auch eine erneute Hilfsofferte an China: Kyriakides bot Peking die kostenlose Lieferung von angepassten Corona-Impfstoffen an – die chinesische Regierung winkte indes wie in früheren Fällen umgehend ab.

Schutz vor Virusvarianten: Was fordern Experten?

Die deutschen Amtsärzte verlangen eine europaweit einheitliche Testpflicht für alle Einreisenden aus China: Angesichts der explosionsartigen Virus-Ausbreitung in China müsse man damit rechnen, dass das Virus mutiere, sagte Johannes Nießen, Vorsitzender des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), dieser Redaktion. Deswegen müsse man vorbereitet sein: „Wir brauchen jetzt ein europaweit einheitliches Schutzkonzept“, so der Mediziner.

„Jeder Reisende aus China sollte bei der Einreise in die EU per Schnelltest getestet werden.“ Die Regel müsse für Geschäftsreisende, Touristen und andere Besucher gelten. Bei einem positiven Testergebnis müsse anschließend ein PCR-Test folgen und die Probe sequenziert werden. Wer sich infiziert habe, solle in jedem Fall in Isolation gehen müssen, so der Amtsärzte-Chef.

Die Amtsärzte sprachen sich zudem ausdrücklich gegen weitere Lockerungen der deutschen Corona-Regeln aus: Bevor nicht klar sei, wie sich das Virus in den kommenden Wochen in China entwickele, sollten in Deutschland alle bestehenden Maßnahmen beibehalten werden. „Wir müssen verhindern, dass sich eine eventuell gefährliche Variante ungebremst durch Reisende aus China in Deutschland verbreitet“, so Nießen. „Die bundesweiten Schutzmaßnahmen wie die Maskenpflicht in Zügen sollten deswegen bis Ostern bestehen bleiben.“

Neue Mutationen: Wie wird sich das Virus entwickeln?

Laut Schätzungen haben sich allein in den ersten drei Dezemberwochen knapp 250 Millionen Menschen in China mit dem Virus angesteckt. Der Genetiker und Corona-Experte Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erwartet eine Entwicklung in zwei Schritten: „Ich erwarte zunächst noch keine neuen Varianten aus China.“ Die chinesische Bevölkerung sei nur sehr schlecht gegen Sars-CoV-2 immunisiert, „damit wird das Virus im aktuellen Ausbruch zunächst kaum auf Immunflucht selektiert werden, sondern vor allem auf Infektiosität“.

Bedeutet: Weil viele Menschen in China durch die immer wiederkehrenden Lockdowns bislang noch keinen oder kaum Kontakt zum Virus hatten und außerdem die Impfquote niedrig ist, steht der Erreger derzeit noch nicht unter dem Druck, sich so zu verändern, dass er dem Immunsystem entkommt.

Ein heillos überfülltes Krankenhaus in Shanghai.
Ein heillos überfülltes Krankenhaus in Shanghai. © AFP | HECTOR RETAMAL

Das könnte sich jedoch ändern, vermutet Elling: „Auf der Rückseite der Welle sollten dann auch in China Varianten einen Vorteil haben, die der dann dort herrschenden Immunität gegen die aktuellen Varianten entkommen. Diese hätten dann wahrscheinlich auch bei uns wieder einen Vorteil.“ Und Elling sieht eine weitere Gefahr: „Die Covid-19-Welle in China findet dort statt, wo es nachweislich mehrere nahe verwandte Viren gibt.“ Dann sei zum Beispiel eine Eintragung von Sars-CoV-2 in Fledermauskolonien und eine darauffolgende Rekombination mit anderen Viren möglich.

Er betont jedoch: „Wir sollten aber nicht vergessen, dass außerhalb von China im gleichen Zeitraum vermutlich ähnlich viele oder mehr Menschen an Covid-19 erkranken werden.“ Neue Varianten könnten also auch ganz woanders entstehen. Jüngstes Beispiel: Die neue Omikron-Subvariante XBB.1.5.

XBB.1.5 – Wie gefährlich ist die neue Omikron-Variante?

Eigentlich waren es die sprunghaft steigenden Corona-Zahlen in China, die die Diskussion um neue Virusvarianten jüngst wieder angefacht haben. Doch es ist ein anderes Land, aus dem gerade Nachrichten einer neuen Corona-Variante kommen, die auch global eine Rolle spielen könnte: In den USA breitet sich derzeit XBB.1.5 rasant aus. Die Variante ist verwandt mit dem Omikron-Subtyp BA.2.

Hintergrund: Neue Corona-Variante XBB.1.5 breitet sich in den USA aus

Die US-Gesundheitsbehörde CDC schätzt, dass in der Woche vor dem Jahreswechsel hinter 40,5 Prozent der Corona-Neuinfektionen XBB.1.5 stecken könnte. Möglicherweise sei die Variante leichter übertragbar als andere. Man wisse aber nicht, ob sie mit einem schwereren Krankheitsverlauf einhergehe, so die Behörde auf Twitter.

Der renommierte US-Mediziner Eric Topol schrieb ebenfalls auf dem Kurznachrichtendienst: „Ein so schnelles Wachstum einer Variante haben wir seit Omikron BA.1 vor einem Jahr nicht mehr erlebt.“ In Deutschland taucht die Variante im jüngsten Corona-Wochenbericht des RKI noch nicht auf – dieser stammt jedoch vom 22. Dezember.

„Wir beobachten XBB.1.5 seit Mitte November und ihre Häufigkeit hat sich ungefähr jede Woche verdoppelt“, erklärte Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel. Ihm seien keine Hinweise bekannt, dass XBB.1.5 zu schwereren Krankheitsverläufen führe. Gesundheitsminister Lauterbach schrieb zu den US-Zahlen auf Twitter: „Das muss man beobachten.“

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