Berlin. Söder will die Impfpflicht für Personal im Gesundheitswesen nicht umsetzen. Doch damit könnte er juristisch in Bedrängnis geraten.

Erst war es ein Alleingang Bayerns, jetzt schließen sich immer mehr CDU-geführte Bundesländer an: Sie wollen die bereits im Dezember beschlossene Impfpflicht für Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken erstmal nicht umsetzen. Als Begründung führte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) unter anderem an, dass die Umsetzung der Maßnahme zu einer Abwanderung des Personals und dadurch zu einer Überlastung des Gesundheitswesens führen könnte.

Doch die Teil-Impfpflicht ist in einem Gesetz auf Bundesebene festgelegt, Teil des Infektionsschutzgesetzes und eben nicht ein variabler Teil der Corona-Schutzverordnungen der Länder. Dass Söder nun „großzügige Übergangsregelungen“ schaffen möchte, die erst einmal zur Aussetzung der Regelung führen, dürfte daher auch juristisch nicht ganz wasserdicht sein.

Nicht-Umsetzung der Impfpflicht: Verstoß gegen Verfassungsgrundsatz?

Denn wenn die bayerische Landesregierung Anweisung an die Kommunen geben würde, Verstöße gegen die Impfpflicht ab Mitte März erst einmal nicht rechtlich zu verfolgen, könnte das gegen den Grundsatz der Bundestreue verstoßen.

Was steckt hinter dieser Verfassungsgrundlage? Der Grundsatz der Bundestreue legt fest, inwiefern der Bund Gesetze, die ordentlich beschlossen wurden und deutschlandweit gelten sollten, auch gegen den Willen der Landesregierungen durchsetzen kann. Verstößt ein Bundesland gegen sogenannte Bundespflichten, kennt das Grundgesetz dann das Mittel des Bundeszwangs.

Wortwörtlich heißt es dazu im Grundgesetz in Artikel 37:

  1. Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetze oder einem anderen Bundesgesetze obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten.
  2. Zur Durchführung des Bundeszwanges hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Weisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden.

Streit mit Söder: Wie könnte sich der Bund beim Thema Impfpflicht durchsetzen?

Zu den notwendigen Maßnahmen kann beispielsweise zählen, dass der Bund durchgreifende Anordnungen machen kann, also beispielsweise ohne Beachtung der Landesregierung auf die Kommunen einwirken kann. Wichtige Voraussetzung dafür ist aber – wie das Grundgesetz beschreibt – die Zustimmung der Länderkammer. Bislang kam der Bundeszwang in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht zum Einsatz.

Es ist derzeit fraglich, ob die bayerische Landesregierung und die Bundesregierung im Fall der Teil-Impfpflicht es tatsächlich darauf ankommen lassen würden und ob der Bund sie mit Zwang durchsetzen werden muss. Vorher dürfte der Streit wahrscheinlich eher politisch gelöst werden. Vor allem gilt es zu beachten, dass es sich bei Söders Vorpreschen und den Bundesländern, die seiner Ansage bisher gefolgt sind, erst einmal um vage öffentliche Aussagen handelt. Gesetzlich gibt es noch keine derartigen Verordnungen in den einzelnen Ländern, die die Umsetzung der Impfpflicht zum 15. März verzögern.

Streit um Impfpflicht: Buschmann greift Söder frontal an

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) machte aber trotzdem schon eine klare Ansage Richtung Bayern: „Im Rechtsstaat gelten Gesetze. Wenn sich die Regierenden selbst aussuchen, an welche Gesetze sie sich halten und an welche nicht, ist die Tyrannei nicht mehr fern“, twitterte Buschmann am Mittwochabend. Dazu stellte er einen Zeitungskommentar mit der Überschrift: „Söder gehört in politische Quarantäne.“

Die Reaktion aus der CSU folgte prompt: „Der Dilettantismus der Ampel-Parteien schadet der Demokratie. Es ist Aufgabe des Bundesjustizministers, die bestehenden Rechtsunsicherheiten zu klären, statt auf Twitter vom eigenen Versagen abzulenken“, sagte Generalsekretär Markus Blume in München.

Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) nimmt an einer Pressekonferenz teil.
Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) nimmt an einer Pressekonferenz teil. © dpa

Debatte in der Corona-Politik: Lauterbach setzt auf Einlenken von Söder

Unter Juristen ist der bayerische Verweis auf „Rechtsunsicherheiten“ allerdings keineswegs eine Begründung für die Nicht-Umsetzung: So erklärte auch der Präsident des Bundessozialgerichts (BSG) , dass er diese für unzulässig hält: Wenn ein Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet worden sei, „kann man nicht einfach sagen, ich setze das aus“, betonte Präsident Schlegel am Dienstag auf der Jahrespressekonferenz des obersten Sozialgerichts in Kassel.

Für eventuelle Korrekturen könne der Gesetzgeber nur ein neues Gesetz beschließen oder zumindest mit einer eigenen Regelung erst einmal das Inkrafttreten terminlich hinauszögern. Das Infektionsschutzgesetz sei aber eindeutig und Personalengpässe spielten nach der gesetzlichen Regelung keine Rolle.

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach setzt im Streit um die Impfpflicht für Pflege- und Klinikpersonal auf ein Einlenken Söders. „Es ist eigentlich eine schwierige Aufgabe, wenn man einen Ministerpräsidenten davon überzeugen muss, das Gesetz anzuwenden, was er selbst beschlossen hat“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch am Rande eines EU-Treffens in Lyon. „Aber ich glaube, dass Herr Söder das noch einmal überdenken wird und dass wir dann zusammenkommen.“

Der Bund muss den Ländern bei der Umsetzung helfen

Mehrfach hatte Lauterbach auch versprochen, die "Umsetzungsmöglichkeiten zu erleichtern". Der Bund könne Hilfestellung bieten. Der Hinweis ist juristisch nicht unwichtig. Denn: Wenn die Umsetzung dazu führt, dass sich die Pflegesituation in Bayern deutlich verschlechtere, widerspreche das Gesetz den Interessen des Bundeslandes, gibt Volker Boehme-Neßler, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg, zu bedenken. "In diesem Fall verletzt der Bund seine Pflicht zur Bundestreue. Der Bund kann nicht pauschal Gesetze durchsetzen, die wichtige Strukturen im Gesundheitswesen der Länder beschädigen", sagte er der "Welt".

Eine andere Stoßrichtung hat die Kritik des Staatsrechtlers und früheren CDU-Ministers Rupert Scholz. Er hält schon die rechtlichen Grundlagen der Impfpflicht für Pflege und Gesundheitsberufe für noch nicht ausreichend geklärt. Es sei versäumt worden, Abgrenzungen der Kompetenzen zwiwchen Bund und Ländern „mit der nötigen rechtlichen Klarheit vorzunehmen“, sagte Scholz unserer Redaktion. Er äußerte Zweifel, ob ein Beschäftigungsverbot für Ungeimpfte im Gesundheitswesen rechtmäßig ist: „Das ist eine sehr heikle Frage“. Er sei der Auffassung, dass ohne eine allgemeine Impfpflicht keine Sanktionen verhängt werden könnten. „Ein Beschäftigungsverbot ist aber eine Sanktion“.

Das Gesetz, das bereits im Dezember von Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde, legt fest, dass Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken bis zum 15. März Nachweise als Geimpfte oder Genesene vorlegen müssen. Ausnahmen gibt es nur bei der Vorlage eines Attests, das nachweist, dass sie nicht geimpft werden können.

Dieser Artikel ist zuerst auf morgenpost.de erschienen.