Berlin. Immer mehr junge Menschen infizieren sich mit dem Coronavirus, Tendenz steigend. Viele blicken auch mit Argwohn darauf – zurecht?

Es ist die Rückkehr eines fast schon vergessenen Lebensgefühls: Treffen mit Freunden im Park, Tage am See, Abende in Biergärten – der Sommer und die niedrigen Corona-Inzidenzen machen es möglich. Vor allem Teenager und junge Erwachsene, die eineinhalb Jahre mit drastisch reduzierten Kontakten hinter sich haben und in der Pandemie auf wichtige Meilensteine auf dem Weg zum Erwachsenwerden verzichten mussten, haben darauf gewartet.

Doch mit der steigenden Zahl der Kontakte wächst nun erneut auch die Zahl der Infektionen – und nirgends verbreitet sich die hoch ansteckende Delta-Variante so schnell wie unter jungen Menschen. In Berlin etwa schnellte die Inzidenz gerade bei den 15- bis 34-Jährigen auf 64,6 empor. Lesen Sie auch: Geimpft und trotzdem Superspreader: Warum das möglich ist

Corona-Inzidenz in jüngeren Altersgruppen steigt stark

Auch bundesweit waren die Inzidenzen in der vergangenen Woche bei den Jungen stark gestiegen. In der Altersgruppe zwischen 15 und 29 Jahren verzeichnete das Robert-Koch-Institut (RKI) die meisten Neuansteckungen. Die Sieben-Tage-Inzidenzen lag bei den 25- bis 29-Jährigen mehr als doppelt so hoch wie im Schnitt der Bevölkerung, bei den 15- bis 24-Jährigen sogar fast dreimal so hoch. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich an dieser Tendenz rasch etwas ändert.

Das Virus trifft in diesem Sommer auf junge Menschen, die nach eineinhalb Jahren mit großen Einschränkungen und Monaten des Lockdowns hungrig sind nach Gesellschaft, Erlebnissen und Kontakten. Es ist eine Generation, die versucht, verlorene Lebensfreude nachzuholen. Doch während sich die Älteren in der Gesellschaft inzwischen wieder treffen können im Wissen, dass ihnen die Impfung ein hinreichendes Maß an Sicherheit gibt, fehlt den meisten jungen Menschen derzeit dieser Schutz.

Nur wenige junge Menschen sind bereits geimpft

Laut RKI haben unter den 12- bis 17-Jährigen nach jüngstem Stand gerade einmal 8,9 Prozent beide Corona-Impfungen erhalten, 19,4 Prozent die erste Dosis. Zum Vergleich: Im Bevölkerungsschnitt haben in Deutschland bereits 50,9 Prozent den vollen Covid-19-Impfschutz. Bei den über 60-Jährigen ist es mit 78,6 Prozent sogar die übergroße Mehrheit. 18- bis 59-Jährige sind in der RKI-Statistik als eine Gruppe ausgewiesen. Wahrscheinlich ist aber, dass auch hier junge Erwachsene bislang weniger Impfungen erhalten haben als ältere.

Es ist derzeit eine gefährliche Mischung: Eine hoch ansteckende Corona-Mutation trifft auf eine Altersgruppe mit vielen Kontakten und einem bislang sehr lückenhaften Impfschutz. Mit steigenden Inzidenzwerten richten sich vermehrt auch argwöhnische Blicke auf die Jugend. Nehmen junge Menschen die Pandemie ernst genug?

Zu sorglos in der Pandemie? Das sagen Vertreter zu den Vorwürfen

Dario Schramm, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, ist davon überzeugt. „Ich erlebe eine wirklich disziplinierte Generation. Wir sind keine Party-Generation, die trotz Corona die Sau rauslässt. Es stört mich, dass das öfter so dargestellt wird“, sagt Schramm im Gespräch mit unserer Redaktion. Wenn man schaue, wie viel Verzicht die Jungen geleistet haben, dann sei es nicht fair, dieser Gruppe „jetzt einen Negativ-Stempel aufzudrücken“, sagt Schramm.

Die Jungen hätten ihr Leben in sechzehn Monaten Pandemie auf ein Minimum zurückgefahren, „die meisten waren sehr vorsichtig und sind es bis heute“. Ihnen jetzt vorzuhalten, sie hielten sich nicht an die Regeln, sei nicht in Ordnung.

Zudem sieht Schramm die Jüngeren im Nachteil bei den Impfungen. „Wir haben eine hohe Impfbereitschaft bei jungen Menschen. Aber die Angebote reichen noch nicht aus.“ Die bisherige Impfkampagne sieht er durchaus kritisch. Angesichts steigender Inzidenzen müsse es das Ziel sein, aktiv auf die Jugendlichen zuzugehen. „An Orten, an denen sich vor allem Jüngere aufhalten, müsste es verstärkt entsprechende Impfangebote geben.“

Solidarität im Lockdown: „Studierende haben komplett ihr Leben umgestellt“

Den Vorwurf der Sorglosigkeit weist auch Paul Klär vom Freien Zusammenschluss der Student*innenschaften (ZFS) zurück. Klär ist im Vorstand der Dachorganisation deutscher Studierendenvertretungen, die rund 850.000 Studierende vertritt. Die Solidarität mit älteren Bevölkerungsgruppen sei immer da gewesen, erklärt Klär. „Studierende haben komplett ihr Leben umgestellt“, sagt Klär. Viele hätten nach drei Semestern Online-Lehre ihre Uni noch nie von innen gesehen, „von Sorglosigkeit kann man da wirklich nicht reden.“

Auch Auszubildende leiden seit vielen Monaten unter den Corona-Beschränkungen. Viele junge Leute, die eine Berufsausbildung begonnen haben, hat die Pandemie ausgebremst, in einigen Branchen wurde der Betrieb oft komplett eingestellt. Jetzt können die meisten zwar an ihren Arbeitsplatz zurück – tragen dort nun aber das Risiko einer Ansteckung. Nur eine Minderheit ist geimpft.

Der Bundesjugendsekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Jan Krüger, sieht die Betriebe in der Pflicht, die Jungen in der Pandemie zu unterstützen. „Es würde jetzt sicher helfen, wenn die Arbeitgeber schnelle und unbürokratische Lösungen bereitstellen, um auch jungen Menschen eine Impfung zu ermöglichen“, sagt Krüger.