Rom/Berlin. Kein Land in Europa ist von der Verbreitung des Coronavirus so hart getroffen wie Italien. Was passiert, wenn das Land pleite geht?

  • Die Ausweitung der Coronavirus-Krise macht Italien zur Sperrzone, die Polizei kontrolliert die Ausgangssperre hart
  • In Krankenhäusern spielen sich dramatische Szenen ab, Ärzte fordern für sich und Patienten besseren Schutz
  • Die Zahl der Infizierten in Italien ist am Dienstag auf rund 31.000 Menschen gestiegen, mehr als 2.500 Menschen starben
  • Die Regierung stellt ein Milliarden-Hilfspaket zur Verfügung, die Fluggesellschaft Alitalia soll verstaatlicht werden
  • Lesen Sie hier, warum Experten Italien bereits am Rande einer Finanzkrise sehen

Italien kontrolliert die Ausgangssperre streng: Mehr als 838.000 Menschen sind bisher überprüft worden, teilte das Innenministerium am Dienstag in Rom mit. Mehr als 35.500 wurden angezeigt. In Italien gilt seit einer Woche eine Ausgangssperre.

Italien ist eine einzige Sperrzone, ein Land im Ausnahmezustand. Alle Geschäfte im Land sind geschlossen. Nur Supermärkte, Tankstellen und Apotheken bleiben geöffnet. Die Menschen dürfen nur auf die Straße, um zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Arzt zu gehen. Luft schnappen im Park: Fehlanzeige.

Jeder muss auf einem Formular den Grund für seinen Ausgang erklären, zum Beispiel wenn er ins Büro muss. Allerdings umgehen einige Menschen auch die Sperre, indem sie Gassigehen mit Hunden unnötig ausdehnen oder vermehrt Einkaufen und Joggen gehen. Italien ist nach China das am schlimmsten von der Covid-19-Lungenkrankheit betroffene Land. Mehr als 2100 Menschen sind bereits gestorben, die meisten davon in der Lombardei.

Auch in Deutschland fragen sich viele: Verhängt Deutschland bald eine Ausgangssperre?

Coronavirus in Italien: Szenen wie in einem Kriegsfilm

Es sind Szenen, die an einen Kriegsfilm erinnern. Krankenschwestern schlafen an ihrem Schreibtisch ein, in der umgerüsteten Krankenhauswäscherei liegen Patienten auf Feldbetten. Wie im Hospital in Cremona in der Lombardei sieht es an vielen Orten Italiens aus. In den Intensivstationen der Kliniken werden nur Menschen mit starken Symptomen von Covid-19 behandelt. Der Grund: Mangel an Kapazitäten.

Angesichts dramatischen Lage fordert die italienische Ärzte-Gewerkschaft, zum Schutz der Patienten alle Ärzte auf das Virus zu testen. Bislang sind in Italien zwei Ärzte an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorben, hunderte weitere haben sich mit dem Coronavirus infiziert.

Die Zahl der Infizierten ist bis Mittwoch auf rund 31.000 Menschen gestiegen, mehr als 2.500 Menschen starben. Lesen Sie hier: Alle aktuellen Nachrichten und Zahlen in unserem Coronavirus-Newsticker.

Die Wirtschaft leidet: Unternehmen können nicht mehr richtig beliefert werden. Der Industrieverband Confindustria veröffentlichte kürzlich die düsteren Ergebnisse einer Befragung von 4000 Unternehmen. 65 Prozent klagten bereits über Umsatzrückgänge durch das neuartige Coronavirus. Am härtesten trifft es die Gastronomie und die Hotels, gefolgt von der Transport- und Logistikbranche. Die italienischen Handelskammern rechnen mit einem wirtschaftlichen Schaden von 37 Milliarden Euro, sollte der Notstand bis Juni anhalten. Coronavirus in Italien: 500 Tote an einem Tag.

Coronavirus in Italien: Staat gibt viel Geld aus, das er gar nicht hat

Die Regierung hat bereits reagiert: Sie stellt der Wirtschaft ein Hilfspaket von bis zu 25 Milliarden Euro bereit. Damit sollen Garantien für Banken finanziert werden. Diese sollen Kreditrückzahlungen von Firmen und Familien aussetzen. Die bislang nur für Festangestellte größerer Betriebe vorgesehene Arbeitslosenhilfe soll auch auf kleine Unternehmen und Selbstständige ausgeweitet werden. Zudem will die Regierung dafür sorgen, dass Kinder im Alter von bis zu zwölf Jahren während der unterrichtsfreien Zeit betreut werden können.

Außerdem will italienische Regierung die Fluggesellschaft Alitalia verstaatlichen, deren wirtschaftliche Schwierigkeiten durch die Corona-Krise massiv verstärkt wurden. Die Regierung werde eine „neue Gesellschaft“ gründen, die „vollständig vom Wirtschafts- und Finanzministerium oder von einer Gesellschaft, die sich mehrheitlich in öffentlichem Besitz befindet“ kontrolliert werde, erklärte die Regierung.

Der Staat hatte dem Traditionsunternehmen in jüngerer Zeit Überbrückungskredite von zusammen 1,3 Milliarden Euro gewährt. Zuletzt gab Rom im Dezember 2019 einen Kredit in Höhe von 400 Millionen Euro. Mit dem Geld sollte Alitalia Liquidität erhalten. Als neuer Insolvenzverwalter wurde der Anwalt Giuseppe Leogrande eingesetzt. Parallel wurde ein Käufer gesucht. In dieser Woche sollte dafür eine wichtige Etappe genommen werden. Alitalia gilt mit rund 10.000 Arbeitsplätzen als nationales Symbol.

Dies alles kostet viel Geld, das Italien eigentlich nicht hat. Der Staat steht mit mehr als 2,3 Billionen Euro in der Kreide. Das entspricht rund 137 Prozent der Wirtschaftsleistung – erlaubt sind laut Euro-Stabilitätskriterium nur 60 Prozent. „Die Regierung hat angesichts dieses Defizits de facto keinerlei Handlungsspielraum. Wenn es zu einer erheblichen Rezession in Italien kommt, wird der Schuldenberg weiter anwachsen“, sagt Lüder Gerken, Vorsitzender des Centrums für Europäische Politik (cep) in Freiburg, unserer Redaktion.

Italiens Sparkassen und Volksbanken sind ein massiver Risikofaktor

Der besonders von der Corona-Epidemie betroffene Norden Italiens zwischen Mailand und Bologna steuert 40 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Wenn die Produktivität dort um 30 Prozent sinken sollte, bedeute das einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um zwei Prozent, prognostiziert Francesco Giavazzi von der renommierten Mailänder Universität Bocconi. Bereits im letzten Quartal 2019 schrumpfte Italiens Wirtschaft um 0,3 Prozent.

Ein massiver Risikofaktor sind die Banken. Zwar haben sich die großen Institute Unicredit und Intesa Sanpaolo seit der Finanzkrise saniert. Sie verzeichneten 2019 Gewinne von jeweils knapp fünf Milliarden Euro. Bei kleineren Häusern – vor allem Sparkassen und Volksbanken – sieht die Lage allerdings weniger rosig aus.

Immerhin: Insgesamt schmolzen die italienischen Banken ihre faulen Kredite von 340 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf 165 Milliarden Euro (Stand: Juli 2019) ab, berichtet die Ratingagentur Standard & Poor’s. Das heißt, eine beträchtliche Altlast bleibt – und das Ausmaß der neuen Belastungen kennt noch keiner.

Das betrifft auch Institute nördlich der Alpen. So halten deutsche Banken mehr als 70 Milliarden Euro in Italien. Hinzu kommen Versicherungen, die zum großen Teil italienische Staatsanleihen gekauft haben. „Ein Ausfallrisiko entsteht jedoch erst dann, wenn der italienische Staat vor der Insolvenz steht“, unterstreicht Lüder Gerken vom cep.

Europa schottet sich in Coronakrise immer weiter ab

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    Experten sehen Italien an der Schwelle einer Finanzkrise

    Die ersten Experten warnen bereits vor einem Bankenkollaps. „Italien steht an der Schwelle einer Finanzkrise“, betont Ashoka Mody, früherer Vizedirektor beim Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Politik müsse eine „Brandmauer“ um Italien ziehen, um die Märkte zu beruhigen. Die Angst der Investoren könne dazu führen, „dass Italien seine Staatsanleihen am Markt nicht mehr loswird oder nur zu hohen Zinsen“, erklärt die ehemalige Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro.

    Die Risikoaufschläge für italienische Bonds steigen jedenfalls wieder. Das heißt: Der Staat muss mehr Geld hinlegen, um an dringend benötigtes frisches Kapital zu kommen. Die Schuldenspirale dreht sich weiter.

    Coronavirus in Italien: Bei Zugfahrten werden viele Passagiere beim Ein- und Aussteigen überprüft. Auch Geräte zum Messen der Körpertemperatur kommen zum Einsatz. Erhöhte Temperatur ist eines der Symptome einer Infizierung mit dem Coronavirus.
    Coronavirus in Italien: Bei Zugfahrten werden viele Passagiere beim Ein- und Aussteigen überprüft. Auch Geräte zum Messen der Körpertemperatur kommen zum Einsatz. Erhöhte Temperatur ist eines der Symptome einer Infizierung mit dem Coronavirus. © Getty Images | Marco Di Lauro

    EU hat angesichts der Corona-Krise viel Nachsicht mit Italien

    Sollte Italien der Zugang zu den Finanzmärkten versperrt werden, steht als letztes Bollwerk der Europäische Rettungsmechanismus (ESM). ESM-Chef Klaus Regling hat bereits signalisiert, dass sein Rettungsschirm Italien zwei Jahre lang mit Geld versorgen könnte.

    In Brüssel ist die Sorge wegen Italien groß – die Nachsicht angesichts der Corona-Krise aber auch. Seit vielen Monaten gilt Italien wieder als Sorgenkind der Eurozone. 2019 ist die Regierung in Rom nur mit Mühe einem Defizitverfahren der EU entgangen, indem Haushaltspläne deutlich höherer Kreditaufnahme in letzter Minute korrigiert wurden.

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    Die Finanzmärkte hatten im Vorjahr wegen der hohen Verschuldung und der Schwäche des Bankensektors plötzlich wieder höhere Zinsen für italienische Staatsanleihen verlangt. Und nun soll eine drastisch höhere Kreditaufnahme für Rom gebilligt werden? Brüsseler Beamten runzeln die Stirn, einerseits. „Das wirft uns um Jahre zurück, die Risiken für die Eurozone werden nicht kleiner“, sagt ein EU-Diplomat. Andererseits will in der augenblicklichen Lage niemand Öl ins Feuer gießen.

    Dass die Regierung in Italien angesichts der Krise wieder mehr Schulden aufnehmen darf, um das Gesundheitswesen und die arg gebeutelte Wirtschaft zu unterstützen, hat die Kommission bereits im Grundsatz abgesegnet – auch wenn damit die Vorgaben des Euro-Stabilitätspakts gerissen werden. In dem Vertragswerk gibt es eine Klausel, die Ausnahmen bei außergewöhnlichen Krisenlagen vorsieht. Dass sie im italienischen Fall Anwendung findet, hat EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni – selbst einst italienischer Regierungschef – zugesichert.

    Je größer die Krise, desto wahrscheinlicher eine europäische Lösung

    Die EU-Finanzminister werden an diesem Montag über ein Krisenpaket beraten. Neben Italien fordert vor allem Frankreich bereits ein umfassendes Konjunkturprogramm der EU. Dafür sollen Gelder der Europäischen Investitionsbank mobilisiert werden. In Italien hofft man auf den ganz großen Schulterschluss. „Je mehr der Schock ganz Europa erfasst, desto wahrscheinlicher wird eine europäische Lösung mit bis zu einer Billion Euro in den beiden kommenden Jahren“, sagt der Mailänder Wirtschaftswissenschaftler Francesco Daveri.

    (FMG/dpa/AFP)