Berlin. Fünf EU-Staaten haben wegen des Coronavirus eine landesweite Ausgangssperre verhängt. Angela Merkel appelliert an die Bundesbürger.

Normalerweise ist Angela Merkel nur an Silvester mit ihrer Neujahrsansprache im Fernsehen zu sehen. Doch die Corona-Krise ändert auch das. Am Mittwochabend, 19.20 Uhr, wird die Kanzlerin sich mit einer dramatischen Rede an die Nation wenden.

Es ist eine Ansprache, die es von der langjährigen Regierungschefin Merkel so noch nie zuvor gegeben hat, ein ungewohnt persönlicher, emotionaler Appell: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt“, sagt die Regierungschefin.

Merkel appelliert an die Deutschen, das gesellschaftliche Leben komplett herunterzufahren, um das Risiko der gegenseitigen Ansteckung zu minimieren. Sie wird persönlich: „Das sind nicht einfach abstrakte Zahlen in einer Statistik, sondern das ist ein Vater oder Großvater, eine Mutter oder Großmutter, eine Partnerin oder ein Partner, es sind Menschen. Und wir sind eine Gemeinschaft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt.“

Noch verkündet Merkel für Deutschland keine Ausgangssperre. Aber sie macht deutlich, dass sich das ändern kann: „Wir werden als Regierung stets neu prüfen, was sich wieder korrigieren lässt, aber auch: was womöglich noch nötig ist.“

Lesen Sie die ganze Rede der Kanzlerin: Coronavirus: Merkels dramatischer Appell an Deutschland

Coronavirus: Merkel will Ausgehverbot Bürgern wohl ersparen

Merkel will ihren Landsleuten das Verbot, sich frei zu bewegen, gerne ersparen. Sollten sich aber zu wenige daran halten, die Krankenhäuser aufgrund vieler schwerer Erkrankungen in eine Notlage geraten, dann wird dieser Schritt auch in Deutschland kommen.

Die Ostdeutsche betont: „Für jemandem wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer erkämpftes Recht waren, sind solche Einschränkungen nur in der absoluten Notwendigkeit zu rechtfertigen“, sagt sie. Und fährt fort: Diese sollten in einer Demokratie nie leichtfertig und nur temporär beschlossen werden – „aber sie sind im Moment unverzichtbar, um Leben zu retten“. Kommt die Ausgangssperre in Deutschland? Ministerpräsidenten warnen Deutsche.

Merkel agiert meist nüchtern, in der Flüchtlingskrise 2015 wurde ein öffentliches Wort der Erklärung für ihre Entscheidungen schmerzlich vermisst. Diesmal ist das anders. Die Begründung für diese Ansprache sei, „dass wir unser Handeln möglichst gut begründen und kommunizieren, damit es nachvollziehbar wird“. Merkel dankt den Ärzten, Pfleger und Krankenschwestern. „Passen Sie gut auf sich und auf Ihre Liebsten auf. Ich danke Ihnen“, mit diesen Worten beendet die 65 Jahre alte Physikerin ihre Ansprache. Ob eine weitere zur Ausgangssperre folgen wird? Die nächsten Tage werden es zeigen.

Ein Überblick über Fragen rund um das Thema:

Wie agieren andere EU-Länder?

Die Belgier sollen 19 Tage lang zu Hause bleiben. Am Mittwoch begann eine Ausgangssperre für die fast 11,5 Millionen Einwohner. Alle Unternehmen müssen – wo immer möglich – Telearbeit einführen, sonst drohen hohe Bußgelder. Spaziergänge und Sport an der frischen Luft sind nicht nur erlaubt, sondern sogar angeraten, sagte Ministerpräsidentin Sophie Wilmès. Die Bürger dürfen jedoch maximal mit einer Begleitperson auf die Straße gehen und müssen mindestens 1,5 Meter Abstand zu anderen Menschen halten.

In Paris überprüfte die Polizei vermehrt Ausgangsformulare, vor allem in der Nähe der Sehenswürdigkeiten. Vor dem Eiffelturm wurden Jogger, Passanten und Autofahrer kontrolliert. Die landesweite Ausgangssperre war Dienstagmittag in Kraft getreten. Wer gegen die Ausgangssperre verstößt, muss ein Bußgeld von 135 Euro zahlen.

Bei schweren Verstößen gebe es eine Geldstrafe von 375 Euro. Frankreich hatte alle Restaurants, Läden und Bars geschlossen. Auch die knapp 47 Millionen Bewohner Spaniens müssen möglichst zu Hause bleiben. Im Rahmen eines Alarmzustands wurden die meisten Läden geschlossen und der öffentliche Nah- und Fernverkehr um rund 50 Prozent reduziert. Nach Italien ist Spanien das von der Krise am stärksten betroffene Land Europas.

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Definition: Auf welcher Basis könnten Ausgangssperren verhängt werden?

„Ausgangssperren könnte man auf Paragraf 28 im Infektionsschutzgesetz stützen“, sagt der Staatsrechtler Stephan Brixen von der Universität Bayreuth dazu. „Da das Robert Koch-Institut die Gefährdungslage mittlerweile als hoch einschätzt, wäre das begründbar.“ Wer verbindlichen Anordnungen zuwiderhandelt, müsste laut Infektionsschutzgesetz mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe rechnen. Diese Regelung umfasst aber eher vorübergehende als längerfristige Ausgangssperren. Ob Strafandrohungen auch bei langfristigen Ausgangssperren greifen würden, bezweifelt der Staatsrechtler: „Das Gesetz ist da nicht eindeutig genug.“

Wie bereitet sich die Regierung auf eine Verschärfung der Lage vor?

Das Corona-Krisenkabinett tagt von nun an immer dienstags und donnerstags. Neben Merkel gehören ihm Vizekanzler Olaf Scholz (SPD/Finanzen), Heiko Maas (SPD/Außen, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU/Verteidigung), Jens Spahn (CDU/Gesundheit) und Horst Seehofer (CSU/Innen) an. Aus Regierungskreisen heißt es, man werde flexibel auf jede neue Lage reagieren.

Derzeit prüft die Regierung, welche Gesetze unbedingt noch vor Ostern beschlossen werden sollen. In der nächsten Woche tagt vorerst zum letzten Mal vor Ostern der Bundestag. Das wäre theoretisch eine Gelegenheit, um mögliche Notgesetze durchzusetzen.

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Was sagen die Bundesländer?

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil möchte eine so drastische Einschränkung der Bewegungsfreiheit verhindern. „Wir sollten Ausgangssperren zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Deutschland vermeiden“, sagte der SPD-Politiker unserer Redaktion. Bund und Länder könnten jedoch nicht hinnehmen, wenn Corona-Partys gefeiert würden, Menschen dicht an dicht in Straßencafés säßen und die Sonne genössen, während ältere und schwache Menschen in Kliniken um ihr Leben kämpften.

In Niedersachsen werde die Polizei von Donnerstag an verstärkt Restaurants und Cafés kontrollieren, und für die Einhaltung von Sicherheitsabständen sorgen. „Wir meinen es sehr ernst, und das wird auch deutlich werden. Wer das Virus auf die leichte Schulter nimmt und die gut begründeten Vorgaben nicht umsetzt, muss damit rechnen, dass seine Gastronomie vorübergehend geschlossen wird.“

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) machte deutlich, dass eine Ausgangssperre theoretisch schnell entschieden werden könnte. „Aber ich hoffe sehr, das wir diese Situation vermeiden können durch verantwortungsbewusstes Handeln.“ Ähnlich äußerte sich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).

Auch in Bayern kontrolliert die Polizei verstärkt, dass nur Geschäfte öffnen, die für die Grundversorgung notwendig sind. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warnte in München vor Strafen bei Verstößen: „Zuwiderhandlungen gegen die Allgemeinverfügung sind keine Lappalie und stellen eine rechtswidrige Tat dar.“

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(dpa/bef)