Berlin. Die Testlabore und Gesundheitsämter sind überfordert. Ärztevertreter wollen Patienten nun in vom Staat bezahlten Zimmern isolieren.

Es ist ein neuer Rekordwert, wieder einmal: Am Freitag meldete das Robert-Koch-Institut mehr als 21.500 Neuinfektionen innerhalb eines Tages. Für Gesundheitsämter und Testlabore heißt das: Tausende neue Kontaktketten mit zahllosen neuen Kontaktpersonen.

Viele von ihnen würden sich gerne testen lassen – doch die Labore sind überlastet. Viele von ihnen müssten jetzt auch eigentlich für 14 Tage in Quarantäne – doch in den meisten Wohnungen funktioniert das nicht. Was hilft gegen den drohenden Kollaps des Systems? Einige Lösungen liegen schon auf dem Tisch.

Was hilft gegen die Überlastung der Labore?

Anruf bei Michael Müller, Labormediziner in Berlin. „Die Labore sind an ihrer Grenze, wir bekommen deutlich mehr Tests, als wir aktuell schaffen können“, sagt Müller. Viele Labore hätten schon Mitarbeiter aus anderen Bereichen zur Unterstützung hinzugezogen, doch die Kapazitäten ließen sich nicht beliebig ausweiten.

Um PCR-Tests zu analysieren, brauche man ein molekularbiologisches Labor mit speziellen Schutzstandards für Sicherheit und Hygiene und medizinisch-technische Laboratoriumsassistenten. Hinzu kommen wöchentlich wechselnde Lieferengpässe beim Labormaterial: Ärzte berichten von Engpässen bei Abstrichtupfern und Pipettenspitzen.

„Man darf nicht vergessen: Weltweit werden jeden Tag Millionen PCR-Tests gemacht.“ Müller ist Vorstandsvorsitzender des Interessenverbands der akkreditierten medizinischen Labore in Deutschland, er vertritt bundesweit mehr als 200 Labore.

Um die Labore zu entlasten, setzt Müller auf die neuen Testvorgaben des RKI: Die Tests sollen auf diejenigen konzentriert werden, bei denen die Testung aus medizinischer Sicht vordringlich ist, etwa weil sie typische Symptome für eine Covid-19-Erkrankung haben.

Testen dient damit nicht mehr vordringlich der Erfassung aller Fälle, im Vordergrund stehen die Verhinderung schwerer Fälle und weiterer Ausbrüche. „Wenn wir uns alle an diese RKI-Empfehlungen halten, reichen die bestehenden Kapazitäten von bis zu 1,4 Millionen PCR-Tests pro Woche auch wieder aus“, hofft Müller.

Ärztegewerkschaft fordert sämtliche Kapazitäten zu nutzen

Susanne Johna hat noch eine andere Idee: „Die Kapazitäten sind aktuell zu gering, um alle zu testen, die getestet werden sollten“, warnt die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Um die Labore zu entlasten, sollten jetzt sämtliche vorhandenen Kapazitäten genutzt werden: „Auch die veterinärmedizinischen Labore müssen eingebunden werden; sie können genauso wie die humanmedizinischen Labore Testmaterial auswerten und infizierte Proben erkennen.“

Nötig seien jetzt zügigere Abläufe bei den Corona-Tests: „Viele Infizierte warten tagelang auf ihr Testergebnis. Derart lange Wartezeiten gefährden die Akzeptanz der Corona-Regeln.“

Entlastung versprechen zudem die neuen Antigen-Schnelltests, die millionenfach zum Einsatz kommen sollen. Wichtig zu wissen: Wer den Test einen Tag nach einer Risiko-Begegnung mache, liege zu früh, um zu erfahren, ob er sich angesteckt hat, so Labormediziner Müller. Der Grund dafür ist die Inkubationszeit. „Das negative Ergebnis ist wie bei der PCR-Untersuchung immer nur eine Momentaufnahme.“

Dennoch kann ein solcher Schnelltest sinnvoll sein: Ein positiver Antigen-Test weise meist darauf hin, ob jemand akut infektiös ist, also viele Viren in sich trägt und damit aktuell andere gefährden kann. Der Test sollte allerdings nur von medizinisch geschultem Personal durchgeführt werden, mahnt Müller.

„Wer sich entgegen der Empfehlung selbst testen will, muss sich fragen, ob er es schaffen würde, die Probe richtig zu nehmen.“ Viele bekämen dabei Tränen in die Augen. „Der Abstrich kann unangenehm sein.“ Lesen Sie hier: R-Wert unter 1,0 – kommt nun die Trendwende?

Was hilft beim Einhalten der häuslichen Quarantäne?

Jeder, der ein positives Testergebnis hat, muss sich für zehn Tage in Quarantäne begeben. Das tun auch viele, doch hilft das den Mitbewohnern häufig nicht, wie Experten beobachten. „Die Zahl derjenigen, die sich zu Hause bei infizierten Familienmitgliedern oder Mitbewohnern anstecken, steigt rapide“, sagt Ärztevertreterin Johna.

Das liege auch daran, dass es für viele Infizierte schwer ist, sich zu isolieren. „Wenn man zu viert auf 80 Quadratmetern wohnt, ist es oft kaum möglich, sich wirklich abzusondern.“ Klar: Viele Paare haben nur ein gemeinsames Bett. Selbst in großen Wohnungen gibt es in der Regel nur ein Badezimmer. „Beengte Wohnverhältnisse gefährden den Erfolg der Quarantäne.“

Neue Quarantäne-Regeln für Reisende

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    Vorschlag: Menschen mit leichten Symptomen sollen in Hotels

    Der Marburger Bund fordert deswegen nun schnelle Lösungen: „Um die Infektionen im häuslichen Umfeld zu reduzieren, sollten positiv Getestete das Angebot bekommen, die zehntägige Quarantäne in einem Hotelzimmer zu verbringen.“ Das Angebot sollte freiwillig sein und nur für Menschen gelten, die gar keine oder nur schwache Symptome haben, so Johna.

    Ihr Argument: Eine solche Regelung hätte nicht nur den Vorteil, die Infektion von Familienmitgliedern zu verhindern, sondern käme nebenbei auch Hotels und Pensionen zu Gute, die in der Krise kaum Einnahmen haben. Die Kosten für die Unterbringung müsse der Staat übernehmen.

    Um Bewohner von Seniorenheimen im Fall eines Ausbruchs in ihrer Einrichtung besser zu schützen, schlagen die Ärztevertreter zudem vor, leerstehende Reha-Zentren zu nutzen. Hintergrund: Die steigende Zahl von schwer erkrankten Covid-19-Patienten werde dazu, führen, dass die Kliniken bundesweit bis Ende November ihre planbaren Eingriffe auf unter 50 Prozent zurückfahren müssten, so Johna. Viele Reha-Einrichtungen würden so frei.

    „Warum nutzen wir diese leerstehenden Einrichtungen nicht zur Entlastung von Senioren- oder Pflegeheimen, wenn dort Infektionsfälle auftreten?“, fragt Johna. Bewohner, die negativ getestet wurden, könnten auf freiwilliger Basis vorübergehend umziehen.