Berlin. Die Autorin trifft Schauspielerin Nina Hoss bei der Vertonung ihres neuen Romans „Zur See“. Ein Gespräch über Worte, Wünsche und Meer.

Die Bestseller-Autorin Dörte Hansen und die Schauspielerin Nina Hoss haben gerade die Aufnahmen für die Hörfassung des neuen Hansen-Romans „Zur See“ abgeschlossen. Im kleinen Berliner Ton-Studio, nicht weit vom Potsdamer Platz entfernt, spielt der Regisseur die Anfangspassage wieder und wieder ab. Der gut gedämpfte Raum ist erfüllt von Hoss’ weicher Stimme. Nichts anderes ist zu hören.

In Dörte Hansens Roman dreht sich alles um die Sanders, die seit 300 Jahren auf einer Nordseeinsel leben. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie mit großartiger Wucht. (Das Buch, Penguin Verlag, und das Hörbuch, Hörverlag / Random House Audio, erscheinen zeitgleich am 28. September.) Die Schauspielerin Nina Hoss ist die Wunschinterpretin der zurückhaltenden Schriftstellerin gewesen. Die Bücher „Mittagsstunde“ oder „Altes Land“ hatte noch Hannelore Hoger gelesen. Ein Wechsel, der Fans der Autorin und von Hoger auffallen wird, denn Hoss liest leicht und nah zugleich. Wie sich diese neue Zusammenarbeit für die beiden Ausnahmekünstlerinnen, Hansen wie Hoss, anfühlt, erzählen sie im Studio – nur Minuten nach der Aufnahme.

Frau Hansen, wie hat Ihnen Nina Hoss als Interpretin Ihres neuen Romans gefallen?

Dörte Hansen: Ich war sehr aufgeregt. Es war ein sehr bewegender Moment für mich. Ihre Stimme ist mir fast ein wenig vertraut. Denn ich schreibe immer nach Gehör, ich spreche alle Sätze laut aus. Erst wenn diese klingen, einen Ton haben, schreibe ich sie auf. Wie Nina Hoss liest, ist also, wie ich die Sätze beim Schreiben gehört habe, aber selbst nicht hätte klingen lassen können. Ihre Interpretation gleicht sehr dem Ideal, welches ich von meiner Geschichte im Kopf habe.

Wie sind Sie auf Nina Hoss aufmerksam geworden?

Dörte Hansen: Ich hatte sie schon einmal in einer anderen Produktion gehört. Und der fragende, reflektierende Ton, den meine Bücher haben, das ist der Ton mit dem Du liest.

Frau Hoss, wie war es umgekehrt für Sie? Schließlich ist Dörte Hansen eine der erfolgreichsten deutschen Schriftstellerinnen.

Nina Hoss: Ich hatte noch nie die Situation, dass die Autorin, gleich nachdem ich den Text frisch eingesprochen habe, meine Interpretation anhört. Das ist sehr aufregend. Ich musste mir den Text durchaus erarbeiten, weil er ein bisschen sperrig ist, so wie die Menschen, die beschrieben werden. Ich habe versucht, für die einzelnen Familienmitglieder einen eigenen Ton zu finden, damit die Hörer wissen, um wen es gerade geht. Der eine ist schneller, der andere zupackend, die andere langsam. Aber das hat mir wirklich große Freude bereitet – und das ist nicht immer so.

Im Studio: Autorin Dörte Hansen und Schauspielerin Nina Hoss sprechen über die Aufnahme des Hörbuchs „Zur See“.
Im Studio: Autorin Dörte Hansen und Schauspielerin Nina Hoss sprechen über die Aufnahme des Hörbuchs „Zur See“. © Ronka Oberhammer | Ronka Oberhammer

Was gefällt Ihnen am Buch?

Nina Hoss: Ich finde Dörte Hansen trifft den Typ „Mensch an der Küste“ besonders gut. Die Familie meiner Mutter kommt auch von der Küste, daher ist mir dieser Menschenschlag vertraut. Hansens Blick ist zugleich liebevoll und enttarnend. Die Geschichte ist wie ein Sog, ein Strom, wie das Meer, das einen mitnimmt und man ist ganz erstaunt, wohin es einen führt.

Frau Hansen, die Geschichte spielt auf einer Nordseeinsel, warum?

Dörte Hansen: Ich wollte Mythen hinterfragen. Inseln sind Sehnsuchtsorte und ich untersuche, warum zieht es uns immer wieder dorthin? Obwohl Meer und Inseln sehr lebensfeindliche Orte sind, verbinden wir mit beidem viel Positives. Seele, Haut und Atemwege werden geheilt, wir kommen zu uns, leben mit der Natur. Wir stellen uns Inseln wie ein Sanatorium, wie ein gelobtes Land vor. Dabei gehen wir einem Mythos auf dem Leim. Die Familie Sander in meinem Roman stammt von einer alten Walfänger-Dynastie ab, was haben die noch von alten Seemännern und Seemannsfrauen in sich?

Frau Hoss, was verbinden Sie mit dem Bild der Insel?

Nina Hoss: Auch eine Sehnsucht, die sich nicht einlöst. Denn eine Insel gleicht einem Druckraum, Menschen, die dort nicht geboren sind, müssen sich permanent an diesem Lebensraum abarbeiten. Zudem ein Ort, von dem man nicht so schnell wegkommt. Wenn es stürmt, fährt die Fähre nicht – und man hängt fest. Viele Inselbewohner wollen vielleicht weg, aber können die Insel nicht loslassen. Dörte Hansens Text stellt diesen Konflikt dar, deshalb gefällt mir das Buch so gut. Ich wurde mitgerissen beim Lesen wie von einer Welle. Dabei ist der Ton nicht sentimental, eher lakonisch.

Der Norddeutsche ist ja auch nicht bekannt fürs Verschwatzte.

Dörte Hansen: Na ja, aber ist das nicht auch ein Mythos? Der Seemann in meinem Buch steht an Deck des Schiffes, blickt aufs Meer, schweigend. Aber wie er wirklich ist, das wissen wir nicht. Die Idee des wortkargen Norddeutschen ist nur ein Image, das wir immer fort erzählen.

Der Ton des Buches passt sich diesen norddeutschen Sprachklischees schon an. Kurze Sätze, die einem in ihrer Wahrheit in Erinnerung bleiben. Teilweise schockieren.

Dörte Hansen: Das ist eben meine Sprache. Ob das nun „nordisch by nature“ ist, weiß ich nicht. Ich rede ja auch gern.

Nina Hoss: Es kommen in deinem Buch Sätze vor, die knapp sind und die man lange Zeit entdecken kann. Das hat schon etwas mit dem Norden zu tun. Auch die Landschaft ist kalt, es zieht, die Figuren frieren. Und halten das mit Stolz aus. Sie haben die Haltung, wenn die große Welle kommt, überlebe ich das.

Dörte Hansen: Findest du das Buch eigentlich deprimierend?

Nina Hoss: Nein, gar nicht. Ich habe mich am Ende gefragt: Was will ich eigentlich vom Leben? Welche Entscheidungen habe ich getroffen oder werde ich noch treffen? Ich bin nicht auf der Insel hängengeblieben, sondern der Text hat mich weitergetragen zu den großen Lebensfragen. Das Buch ist eher melancholisch als deprimierend. Das liebe ich.

Die Familie Sander im Buch lebt das Gegenteil von einem idyllischen Leben, sie wirken auf mich ein wenig desillusioniert. Warum?

Dörte Hansen: Der ruppige Umgang untereinander zeigt die Probleme, die die Figuren mit ihrer Rolle haben. Wie beispielsweise die Mutter, die nicht mehr warten möchte. Denn wenn man zu lange auf den Partner wartet und zu lange aufs Meer starrt, wird man krank. Stirbt an der Wartekrankheit. Nina, wie siehst du das?

Nina Hoss: Das ist eher das karge Inselleben generell. Die Figuren haben jedoch eine große Würde.

Gesellschaftlich gesehen haben viele von uns in den zweieinhalb Jahren Pandemie ein Inselleben geführt. Spielte das eine Rolle bei der Wahl Ihres Sujets?

Dörte Hansen: Ich habe mir während der Pandemie eher Sorgen gemacht um die wirtschaftlichen Folgen des eingebrochenen Insel-Tourismus, darunter haben die Inselleute sehr gelitten. Mir ging es um die Frage, was bedroht eine Insel mehr, der Klimawandel, der steigende Meeresspiegel oder die Touristen, die die Inselbewohner kulturell aushöhlen, sie verdrängen und zwingen an den Rand der Insel zu ziehen.

Nina Hoss: Tatsächlich kann man sich als Tourist ein Haus oder eine Wohnung auf einer Insel kaufen, aber mit dem Leben der Menschen dort hat das nichts zu tun, trägt auch nichts zur Gemeinschaft bei. Darum geht es auch im Buch, finde ich.

Dörte Hansen ist fasziniert vom Meer.
Dörte Hansen ist fasziniert vom Meer. © Ronka Oberhammer | Ronka Oberhammer

Was bedroht die Insel denn jetzt mehr? Der Tourismus oder der Klimawandel?

Dörte Hansen: Ja, das ist die Frage, man kann das so und so beantworten. Versinkt die Insel letztendlich, stellt sich die Frage: Was war durch den Tourismus und den Ausverkauf der Immobilien eigentlich noch da?

Sie selbst sind von Hamburg wieder zurück nach Husum an die schleswig-holsteinische Küste gezogen. Hatten Sie auch Sehnsucht nach dem Meer?

Dörte Hansen: Ja, wahrscheinlich schon. Ich fahre sogar in meinem Urlaub auf die Faröer Inseln. Obwohl es dort an 200 Tagen im Jahr regnet.

Und Sie Frau Hoss, zieht es Sie ans Meer?

Nina Hoss: Ich bin zwar in Stuttgart aufgewachsen, bin aber als Kind tatsächlich oft in Husum und Büsum gewesen. Heute noch zieht es mich eher in den Norden ans Meer als in den Süden.