Washington, D.C. Ein schwarzer Tag für Facebook: Whistleblowerin Frances Haugen sagte vor dem US-Kongress aus - und erhöhte den Druck auf den Konzern.

Facebook kommt wie vom Regen in die Traufe. Keine 48 Stunden, nachdem sie in einem sensationellen Fernsehinterview das soziale Netzwerk wegen der gezielten Manipulation seiner Nutzer, insbesondere Kinder, gegeißelt hatte, sagte die Whistleblowerin Frances Haugen vor dem für Verbraucherschutz zuständigen Ausschuss des US-Senats aus. Und legte nach.

Das Unternehmen sei "eine Gefahr für die nationale Sicherheit", zog die ehemalige Facebook-Managerin vom Leder. Praktisch über Nacht ist die 37-Jährige in den USA zu einem Star aufgestiegen. Fernsehsender bitten sie um Live-Interviews, seit Tagen beherrscht Frances Haugen auch in anderen Medien die Schlagzeilen.

Facebook-Whistleblowerin Haugen befasste sich mit Algorithmen

Auf dem Kapitolshügel in Washington stand sie aber nun Stunden lang den Senatoren zu den internen Abläufen bei Facebook Rede und Antwort, und was sie sagte, war haarsträubend.

Zwei Jahre lang hatte Haugen als Produktmanagerin bei Facebook gearbeitet. Täglich befasste sie sich mit jenen Algorithmen, die bestimmen, welche Inhalte Nutzer sehen, neben Nachrichten und Werbung auch Posts und Kommentare von anderen "Facebook-Freunden".

Ausländische Regierungen nutzen Facebook zur Kontrolle

Ungläubig reagierten die Parlamentarier, als die Whistleblowerin berichtete, wie einige Staaten die Plattform zu politischen Zwecken missbrauchen.

So benutze die chinesische Regierung Facebook, um die von Peking unterdrückten Uiguren ausfindig zu machen und deren Aktivitäten zu verfolgen. Auch habe sie sehen können, wie das iranische Regime Facebook nutzt, um Kritikern und anderen Gegnern nachzuspionieren. "Die Tatsache, dass die Abteilung für Geheimdienstfragen und Terrorbekämpfung personell ständig unterbesetzt ist, ist eine große Gefahr für unsere nationale Sicherheit" sagte Haugen.

Haugen: Instagram löst Magersucht und Depressionen aus

Während des Interviews mit dem Nachrichtensender CBS hatte Haugen erzählt, wie der Geschäftsleitung aufgrund interner Dokumente durchaus bewusst sei, dass die zu Facebook gehörende App Instagram bei jungen Menschen, insbesondere Mädchen, Magersucht und Depressionen auslösen kann.

Anstatt auf Instagrams Werbeeinnahmen zu verzichten, habe man diese hauseigenen Studien unter den Teppich gekehrt und sogar nachgelegt: Mit einem Instagram für Kinder, die noch nicht das 13. Lebensjahr vollendet haben. Erst, als eine Serie im "Wall Street Journal" enthüllte, dass das Unternehmen sehr wohl wisse, welchen Schaden die Fotovergleiche auch bei Kindern anrichten können, wurde der Dienst eingestellt.

Whistleblowerin: Facebook spaltet die Gesellschaft

Breiten Raum widmete Haugen auch jenen Manipulationen, die ihrer Auffassung nach Gesellschaften spalten und selbst zu Gewalt führen. So führte Facebook vor drei Jahren einen sogenannten "Meaningful Social Interaction" Algorithmus ein. Demnach richten sich jene Nachrichten, Kommentare und andere Inhalte, die Nutzer nach dem Einloggen sehen, nach jenen, die auch ihre "Freunde" posten oder kommentieren.

Destruktiv sei das, so die ehemalige Facebook-Managerin, weil Menschen in der Regel Nachrichten zu negativen Ereignissen oder kontroversen Themen posten, beispielsweise Kriminalität, Massenschießereien sowie Kindesentführungen oder den Debatten über einzelne Politiker, Abtreibung oder Waffenkontrolle.

"Hass und Zorn machen süchtig, und es geht darum, genau das zu erreichen" sagte sie. Für Haugen bestehe jedenfalls kein Zweifel, "dass dieser Algorithmus Menschen spaltet und Gewalt nach sich ziehen kann".

Frances Haugen: Facebook geht es nur ums Geld

Alles das interessiere aber die Konzernleitung und vor allem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg kaum. Dem Top-Management gehe es nur um eines: Um Geld, jene 51 Dollar pro Quartal, die das Unternehmen durch Werbeeinnahmen an jedem seiner 2,9 Milliarden Nutzer verdient.

Haugen erklärte, allein Mark Zuckerberg könne an der Unternehmenskultur etwas ändern, denn als Besitzer von 55 Prozent des stimmberechtigten Kapitals sei kein anderer Titan der Tech-Industrie mächtiger als er.

Zuckerberg weist Anschuldigungen zurück

Zuckerberg, der beim großen Facebook-Blackout kürzlich Milliarden Dollar verloren hatte, wies Haugens Vorwürfe zurück. In einem Facebook-Post schrieb er: "Das Argument, dass wir absichtlich Inhalte fördern, um Menschen für Geld wütend zu machen, ist zutiefst unlogisch." Außerdem kenne er keinen Tech-Konzern, der Produkte herstelle, die Menschen wütend oder depressiv machten: "Wir verdienen Geld mit Anzeigen und die Werbekunden sagen uns immer wieder, dass sie ihre Anzeigen nicht neben schädlichen oder wuterregenden Inhalten sehen wollen"

Haugens nüchtern vorgetragener Auftritt zog die Senatoren in seinen Bann, und an Reaktionen fehlte es nicht. "Sie, Frau Haugen, sind die treibende Kraft, wofür für Ihnen danken, und nun ist es Zeit zu Handeln!" sagte die Demokratin und ehemalige Präsidentschaftskandidaten Amy Klobuchar.

Facebook-Mitarbeiter wollen Haugen online diskreditieren

Senator Ed Markey ließ kein gutes Haar an Facebook: Der Kongress werde die Überwachung und Regulierung verschärfen. "Ich habe eine Botschaft für Herrn Zuckerberg: Es kann nicht mehr angehen, dass Sie in unser Privatleben eindringen und unsere Kinder ausbeuten" schimpft Markey.

Während des gesamten Senatsauftritts twitterten leitende Facebook-Manager und versuchten, Haugens Aussagen zu diskreditieren. Gewirkt haben dürfte das kaum, und der Imageschaden für den Social Media Riesen könnte unermesslich sein.