Berlin. Was heißt es heutzutage, ein Mann zu sein? Inwiefern profitieren Männer vom Feminismus? Das haben uns zwei Männerexperten verraten.

Der Feminismus spielt nicht nur in Deutschland eine immer größere Rolle im gesellschaftlichen Diskurs. Frauen versuchen sich im Zuge der weiblichen Revolution nicht erst seit gestern, sondern schon seit über 50 Jahren immer mehr Gehör – vor allem in nach wie vor männerdominierten Bereichen – zu verschaffen und neu zu erfinden.

So etwa in den Führungsetagen internationaler Unternehmen oder bei männlich geprägten Berufen wie Kfz-Mechatroniker, Informatiker oder Feuerwehrmann. Auch in Sachen Geld und Vermögen ziehen Frauen in vielen Branchen nach wie vor den Kürzeren. Dabei wird gerne mal mit der „Feminismus-Keule“ ausgeholt und dem anderen Geschlecht verbal der Missstand der vergangenen 5000 Jahre um die Ohren gehauen.

Feminismus bringt gesellschaftlichen Veränderungsprozess ins Rollen

„In letzter Zeit sind so viele radikale Positionen entstanden. Da fliegen viel Hass, Ideologie und Unerbittlichkeit hin und her“, ist Tobias Haberls Einschätzung zur aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung. Er ist Autor beim Magazin der Süddeutschen Zeitung und hat aus seinen Beobachtungen der vergangenen Jahre ein Buch gemacht. Lesen Sie auch: Katzen statt Kinder? Warum Frauen keine Mütter werden wollen

„Der gekränkte Mann – Die Verteidigung eines Auslaufmodells“ ist, wie der Titel bereits verrät, ein Geständnis an die Frauenwelt. Obwohl es auch Töne der Verteidigung anschlage, sei es aber nicht als antifeministisches Buch zu lesen. „Da steckt viel Einsicht und Reue drin“, sagt Haberl. „An einigen Stellen hebe ich aber auch den Finger und sage ‚Da geht's zu weit, da wird's unverhältnismäßig oder sogar kontraproduktiv, wenn wir eine ausbalancierte Gesellschaft wollen.‘“

In der aktuellen Debatte dürfe es nicht darum gehen, bei jedem Mann Fehlersuche zu betreiben und ihn an den Pranger zu stellen. Vielmehr sollten Männer – vom jungen bis zum alten weißen – in den gesellschaftlichen Veränderungsprozess ohne Bevormundung integriert werden.

Emanzipation der Frau bringt für Männer Vorteile

„Wir müssen den Männern immer wieder klar machen, dass sie von der Emanzipation der Frau profitieren, anstatt sie ständig zu diffamieren“, findet Haberl. Denn: „Es ist unsere Aufgabe ein bisschen Platz zu machen und uns zu verändern, aber nicht umkrempeln zu lassen wie ein altes Hemd.“

Doch wie sollte der Mann von heute sein? Laut dem Berater Björn Süfke gehe es weniger um die Frage, was den Mann ausmachen sollte, sondern vielmehr darum, inwieweit sich Männlichkeitsbilder verändert haben. Auch interessant: Online-Therapie: Können Apps gegen Depressionen helfen?

Denn das seit Jahrhunderten vorherrschende traditionelle Männerbild vom starken Geschlecht, dass die Familie versorgt, Autos repariert und sich im Haushalt nur um Handwerkliches kümmert, sei durch den Feminismus ins Wanken geraten. Und das sei zu befürworten: „Dem Feminismus verdanken wir Männer alles“, meint Süfke. „Er hat den Männern die Türen dafür geöffnet, ihre emotionale, weiche Seite zu erkennen und nach außen zu zeigen“, ergänzt Haberl.

Doch genauso wie Frauen, die seit 50 Jahren versuchen, immer mehr Chefsessel zu Chefinnensessel zu machen, ihre haushaltlichen und fürsorglichen „Pflichten“ mit ihren Partnern gerecht zu teilen und Fuß in bislang männerdominierten Branchen zu fassen, sieht sich auch der Mann des 21. Jahrhunderts mit einer Doppelanforderung konfrontiert.

Feminismus: Männer brauchen Zeit zum Umdenken

„Auf der einen Seite wird noch das traditionelle Männlichkeitsbild von ihm verlangt: Der Mann muss stark sein und darf nirgendwo versagen. Nicht im Büro, nicht an der Werkbank und nicht im Bett“, erklärt der Bielefelder Männerexperte. „Auf der anderen Seite erwarten wir aber auch die Erfüllung moderner Erwartungen vom Mann, nämlich, dass er emotional aufgeschlossener wird.“

Männertherapeut Björn Süfke
Männertherapeut Björn Süfke © Björn Süfke

Es brauche deshalb einen Mix aus Empathie und Konfrontation, um die Männer aus ihrem verinnerlichten Rollenkorsett zu holen und ihnen klar zu machen: Es ist okay, Gefühle zu zeigen und auch mal zu versagen.

„Statt einer ‚Licence to kill‘ wie bei James Bond, bräuchte es eine ‚Licence to fail‘“, findet Björn Süfke. „Wir können dadurch ganz viel gewinnen. Vor allem werden wir freier, wenn wir verstehen, dass wir nicht mehr 80 Stunden in der Woche arbeiten müssen, um als Ernährer zu fungieren“, pflichtet Tobias Haberl bei. Aktueller Artikel: Ist Gott kein Mann? Junge Katholiken fordern neuen Name

Dafür müsste aber nicht jeder Mann zum Therapeuten rennen. Es würde schon reichen, sich selbst zu reflektieren. Das dürfe man auch vom „alten, weißen Mann“ fordern – aber empathisch, souverän und auch mit einem Blick darauf, was Männer selber vom Rollenwandel haben. „Wir müssen Geduld haben. Denn 5000 Jahre Patriarchat können leider nicht mit 50 Jahren Feminismus wett gemacht werden“, sagt Haberl.

Tobias Haberl, „Der gekränkte Mann. Verteidigung eines Auslaufmodells“, Piper Verlag, 22 Euro

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.