Berlin. Erziehung: Von vergessenen Brotdosen, der alten Kirschlikör-Flasche hinter der Kommode und der lieben Yoga-Übung unserer Kolumnistin.

Hand aufs Herz, liebe Mütter und Väter. Seid ihr schon mal ausgerastet gegenüber euren Kindern? Mal so richtig geschrien? So dass ihr dachtet: Oh je, war wohl ein wenig heftig?

Aggressive Eltern – das war neulich Thema beim 18. Geburtstag unseres Teenies. Der Gatte und ich wurden ins Kino geschickt. Als wir wiederkamen, saß da eine fröhliche Runde mit großen Gläsern voll klebrigen, bunten Getränken am Esstisch. Die Stimmung war super – sie lästerten über ihre Eltern. Am lautesten waren die Studententochter und der Studentensohn. Lesen Sie auch: Die Schule ist der neue Sehnsuchtsort der Teenager

Erzählten einfach, dass ich früher Kleiderschränke aufgerissen hätte, um den Klamottenklumpen rauszuziehen, den ich als sorgsam gebügeltes Wäschepaket zuvor im Zimmer abgelegt hatte. Der Tisch brach in brüllendes Gelächter aus. Ich wurde rot. Versuchte, mich zu verteidigen. Doch es war längst eine Lawine losgetreten.

Die Kids überboten sich mit Geschichten über das das Aggressionspotenzial ihrer Eltern. Ich lernte: Ich bin schlimm, aber andere sind schlimmer. Sie ziehen Schubladen heraus, kippen Papierkörbe um, werfen Spielzeug aus dem Fenster. Holen ihre Kinder nachts um zwölf aus dem Bett, weil sie in der Küche noch Käsebrotreste finden. Schreien: "Räum. Das. Auf. So. Ein. Schweinestall."

Eltern: Der Günther hatte noch nie Krach mit seiner Frau und seinem Sohn

Auf die Teenie-Geburtstagsparty folgte ein Sonntagsbrunch mit vielen Eltern. Es ging um Partnerschaft. Da sagte doch ein gewisser Günther, er habe sich noch nie mit seiner Frau Beate (er blickte sie dabei an) gestritten. Wirklich, noch nie. In 25 Jahren. Ich sah auf die Tischplatte. Ich sah meinen Gatten an. Und meine beste Freundin. Dann platzten wir heraus. Günther blickte irritiert und legte nach. Mit seinen Kindern habe es auch noch keinen richtigen Krach gegeben. „Hä?“, sagte ich. „Wie geht denn das?“ Günther holte aus.

FUNKE-Kolumnistin Birgitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft.
FUNKE-Kolumnistin Birgitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Als der Jonathan mal in sein Auto gekotzt habe, nachts um drei, als Belohnung sozusagen dafür, dass der liebe Papa seinen Nachtschlaf ruiniert habe, um den 16-jährigen Jungen mit seinen noch unförmigen Gliedern von irgendeiner Party abzuholen, da habe er geschwiegen und ihm am nächsten Morgen ganz ruhig erklärt, dass Alkohol, wenn er sinnlos in Limo gekippt wird, nichts mit Genuss zu tun habe. Er solle lieber mal ein gutes Glas Wein trinken. Der Jonathan, der habe nur genickt und sei in sein Zimmer gegangen.

Nun war es Sylvie, die sich nicht mehr halten konnte. „Klar“, rief sie, „der musste sich wieder hinlegen.“ Und dann erzählte sie von ihrer Entrümpelungsaktion, während ihr Sohn auf Schulfreizeit war. In seinem Zimmer habe sie eine angebrochene Kirschlikör-Flasche und eine Wodkaflasche vom Geburtstag im letzten Jahr gefunden, viele zerkaute Kaugummis in Stanniol hinter der Kommode, Brotdosen, aus denen der Schimmel kroch. Danach habe es richtig Zoff gegeben.

Privatsphäre? Doch nicht, wenn ein toter Frosch an der Wand klebt

Günther, Jonathans Vater, warf ein, das könne Sylvie doch nicht machen, einfach das Zimmer entrümpeln. Der Junge habe doch eine Privatsphäre. Ha, sagte Sylvie, Privatsphäre. Die habe Grenzen. Schließlich habe neben dem Kaugummi ein ausgetrockneter Frosch an der Wand geklebt. Souterrain eben, unaufgeräumt und schmutzig. Ihre Aktion sei reiner Selbstschutz gewesen. Lesen Sie auch: Warum ich diesen Herbst Sehnsucht nach Einsamkeit habe

Ich sagte, ich gehe nicht mehr in das Teenie-Zimmer rein. Wenn ich in der Wohnung etwas finde, das in dieses Zimmer gehört, Fitnessklamotten, Wimperntusche, Haarspangen, Socken, Bücher, dann lege ich es vor der Zimmertür ab.

Müll im Kinderzimmer: Bitte keine angebissenen Äpfel im Papierkorb

„Hey, ihr Klimafreaks“, sagte ich tags drauf zu meinen Kindern, die mich unter ihresgleichen einfach verpetzt hatten, „ihr woken Kämpfer für Gerechtigkeit, die ihr Diskriminierung und Spießigkeit wittert, wenn mich der Müllberg anwidert, der neben dem Flaschencontainer vor unserer Wohnung die Ratten anzieht.

Wo bleibt euer Sinn für die Umwelt, wenn ihr es noch nicht mal schafft, die Apfelkitsche vom Kinderzimmer zur Küche zu tragen, statt ihn im Papierkorb zwischen vollgerotzten Tempos, alten FFP-2-Masken und kaputten Iphone-Kabeln verrotten zu lassen?“

Mama, reg dich nicht so auf, höre ich. Okay, ich atme durch, rufe mir Günthers Gesicht vor Augen. Lege mich auf die Yoga-Matte, falle in Shavasana, die Totenstellung. Und tatsächlich: Das Teenie-Kind räumt auf. Einfach so. Mal sehen, wie oft das noch funktioniert.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.