Crailsheim/Nürnberg. Experten sind von einer Henkersfigur begeistert. Das Gemälde auf einem Altar in Crailsheim könnte das Werk von Albrecht Dürer sein.

Die meisten werden mit Albrecht Dürer das berühmte Aquarell mit dem Titel „Der Feldhase“ verbinden. Das Gemälde, das Experten nun auf einem Altar in der baden-württembergischen Stadt Crailsheim entdeckt haben, ist hingegen weniger kuschelig. Es könnte aber ebenfalls ein Werk des Meisters sein.

Eines der Tafelbilder auf dem Flügelaltar in der Crailsheimer Johanneskirche zeigt einen Henker mit dem Haupt von Johannes in der Hand. Der Nürnberger Meister Albrecht Dürer könnte es in jungen Jahren gemalt haben, meinen mehrere Experten. Die Vermutung steht schon länger im Raum. Nicht nur für die Stadt in Baden-Württemberg wäre das eine Sensation.

Gemälde von Albrecht Dürer? Forscher sind begeistert

„Es wäre ein Riesenschritt für die Dürer-Forschung“, sagt Matthias Weniger vom Bayerischen Nationalmuseum in München. Denn das würde ein neues Licht auf die Lehrjahre Dürers beim Nürnberger Maler Michael Wolgemut werfen. Aus dessen Werkstatt stammt nach Überzeugung der Fachleute der um 1490 entstandene Hochaltar, der das Leben von Johannes des Täufers und die Passion Christi darstellt.

Der Gesichtsausdruck, die muskulöse Statur, die elegante Beinstellung, wie sie auf dem Gemälde zu sehen ist, all das sei unverkennbar Dürer, meint der Kunsthistoriker Manuel Teget-Welz von der Universität Erlangen. „Es gibt etliche Gemeinsamkeiten zu anderen Werken, was seine persönliche Handschrift erkennen lässt.“

Das mögliche Dürer-Gemälde ist nur zu erkennen, wenn der Altar geschlossen ist.
Das mögliche Dürer-Gemälde ist nur zu erkennen, wenn der Altar geschlossen ist. © dpa | Stadtarchiv Crailsheim

Mögliches Dürer-Gemälde die meiste Zeit verborgen

Auch Weniger teilt diese Annahme. Die malerische Qualität spreche dafür. „Ich bin ziemlich überzeugt, aber absolute Gewissheit ist auf dem Gebiet schwierig“, so der Experte. Die Tafel unterscheide sich seiner Meinung nach grundsätzlich von den anderen auf dem Altar: „Sie ist wirklich ganz großartig“.

Doch im Kirchen-Alltag bleibt die möglicherweise meisterhafte Tafel meist unbemerkt. Der mehrere Meter hohe Flügelaltar steht die meiste Zeit aufgeklappt im Chor der evangelischen Johanneskirche, so dass hauptsächlich seine Festtagsseite zu sehen ist. Früher war diese nur zu besonderen Anlässen zu sehen. Das mögliche Dürer-Gemälde befindet sich aber auf der Alltagsseite, ist also nur im zugeklappten Zustand zu sehen.

„Er wird alle sieben Jahre für die Dauer der Passionszeit geschlossen“, sagt Dekanin Friederike Wagner. „Das ist tatsächlich sehr aufwendig.“ Mehrere Menschen müssten mit anpacken, um die Flügel des mehr als 500 Jahre alten Kunstwerks bewegen zu können. Dass das mögliche Dürer-Gemälde einem größeren Publikum bislang nicht bekannt war, ist also nicht überraschend.

Schon vor knapp 100 Jahren kam die Vermutung auf

Allerdings: Die Vermutung, dass Albrecht Dürer das Tafel-Bild gemalt haben könnte, ist nicht neu, sagt die Kulturhistorikerin Helga Steiger von der Stadt Crailsheim. 1928 zum 400. Todestag von Albrecht Dürer sei der Altaraufsatz mit Hinblick auf diese Frage sogar abgebaut und für eine Ausstellung ins Germanische Nationalmuseum nach Nürnberg transportiert worden.

Wieder aufgekommen sei die Diskussion 2016, als die Stadt eine Fachtagung zu dem Altar veranstaltete. Zu dieser kamen auch die beiden Experten Weniger und Teget-Welz. Weniger machte Detail-Fotos von dem möglichen Dürer-Gemälde, Teget-Welz verglich diese später mit anderen Dürer-Werken.

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Ähnlichkeit zu Porträt von Dürers Mutter

Dabei stellte Teget-Welz eine verblüffende Ähnlichkeit zu einem anderen Dürer-Werk fest: Der Gesichtsausdruck des Henkers gleicht dem Porträt, das Dürer von seiner Mutter malte.

Auch die Maltechnik spreche dafür, dass es Dürer gewesen sei, der die Henkersszene teilweise schuf, meint Weniger. Andere Belege haben die beiden Experten allerdings nicht. Schriftstücke, die Düres Beteiligung an dem Altar zweifelsfrei beweisen könnten, wurden bisher nicht entdeckt.

Die Methode, Werke bestimmten Künstlern mit Hilfe von Stilkritik zuzuschreiben, sei natürlich immer subjektiv, gibt der Dürer-Experte Thomas Schauerte, einst Leiter des Albrecht-Dürer-Hauses in Nürnberg und heute Direktor der städtischen Museen in Aschaffenburg, zu bedenken. In diesem Fall sei jedoch nicht nur die frappierende Ähnlichkeit mit anderen Werken überzeugend. „Das andere ist, dass auch die kulturhistorischen Daten passen.“

Infrarot-Untersuchung könnte Aufschluss geben

Eine Untersuchung mit Infrarot könnte helfen, die Theorie zu untermauern. Die technische Ausrüstung dafür besitzt das Institut für Kunsttechnik und Konservierung am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Konkrete Pläne, den Altar zu untersuchen, gebe es noch nicht, sagt Museumsexperte Benno Baumbauer. „Ich könnte mir aber vorstellen, dass wir das langfristig angehen.“

Doch auch diese Methode wird nach Einschätzung von Baumbauer nicht zu 100 Prozent klären können, ob Dürer tatsächlich an dem Altar beteiligt war. „Man muss da zwangsweise vorsichtig sein“, sagt er. „Das wird sicherlich noch für Diskussionen in der Wissenschaft sorgen“.

Und für weitere Forschung, meint Schauerte. Es wäre sinnvoll, jetzt auch andere Werke aus der Wolgemut-Werkstatt nach künstlerischen Spuren von Dürer zu untersuchen. „Ein Anfangsverdacht ist auf jeden Fall da.“ (dpa/fv)