Berlin. Gegen eine Ansteckung mit der Omikron-Variante schützt die Impfung kaum noch. Fachleute sprechen von “Immunflucht“. Was das bedeutet.

Die Corona-Fallzahlen steigen. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich jeder, fast jeder angesteckt hat. Die Omikron-Variante trickst die Antikörper aus, die durch eine Infektion oder Impfung entstanden sind.

Fachleute sprechen von einer "Immunflucht". Die ist bei den Mutationen BA.4 und BA.5 besonders stark ausgeprägt – kein Wunder, dass beide Varianten sich rasant ausbreiten. Das Infektionsgeschehen wird laut Robert Koch-Institut (RKI) von BA.5 dominiert.

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In ihrem Wochenbericht formulieren die RKI-Experten es vorsichtig. Die Spike-Proteine von BA.4 und BA.5 weisen laut RKI im Vergleich zu BA.1 und BA.2 bestimmte Aminosäure-Veränderungen auf, "die mit erhöhter Übertragbarkeit und/oder Immunflucht in Zusammenhang gebracht werden." Was wie eine Vermutung, ein Indiz klingt, glaubt ein Team von amerikanischen Medizinern längst bewiesen zu haben.

Immunflucht: Wie tückisch neue Omikron-Sublinien sind

In der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine fasst das Team um Dan Barouch vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, das Ergebnis einer Testreihe zusammen: Gegen die aktuellen Omikron-Subtypen BA.4 oder BA.5 schützen Impfung und Genesung bis zu 20 Mal schwächer als gegen den Ursprungstyp des Virus.

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Zugegeben: Die Zahl der Probanden war klein. Die Forscher haben die Antikörper von zwei Gruppen mit jeweils 21 Patientinnen oder Patienten miteinander verglichen. Die erste Gruppe war drei Mal mit RNA-Vakzinen von Biontech/Pfizer geimpft worden und hatte sich nie mit Corona angesteckt. Die zweite Gruppe hatte sich mit den Omikron-Varianten BA.1 und BA.2 angesteckt, wobei fast alle Teilnehmer auch geimpft waren.

Immunflucht: Wettrennen zwischen Virus und Vakzin

Nun musste die Mediziner im Labor nur beobachten, wie sich die Antikörper verhielten, wie gut sie das Virus neutralisieren konnten. Selbst Geboosterte hatten 21 Mal weniger neutralisierende Antikörper gegen BA.4 und BA.5 als gegen den ursprünglichen Wuhan-Typ. Vergleichbare Beobachtungen machten auch andere Forscher, so etwa am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Was folgt daraus?

  • Der Erreger hat sich angepasst. Die Immunflucht erklärt, warum sich auffällig viele Genesene erneut mit dem Coronavirus anstecken; wie es zur Sommerwelle kommen konnte, vor der Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mehrfach gewarnt hatte.
  • Es gibt keinen absoluten Schutz. Wer sich einmal mit Masern ansteckt, ist für den Rest des Lebens geschützt. Bei Corona sind Reinfektionen hingegen immer wieder möglich.
  • Die Impfung schützt in erster Linie vor schweren Verläufen.
  • Eine rasche Anpassung der Impfstoffe und der Antikörper-Therapien wäre notwendig.

Am Ende ist es wie ein Wettrennen zwischen Virus und Impfstoff-Entwicklern. Und es kann passieren, dass die Impfstoffe auf BA.4 und BA.5 angepasst werden, aber eine weitere Variante wie die aktuell in Indien beobachtete Linie BA.2.75 die Entwickler quasi ins Leere laufen lässt.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.