Berlin. Antibiotikum? Ausverkauft. Fiebersaft für Kinder? Nicht lieferbar. Die Ärztekammer schlägt Arznei-Flohmärkte vor. Das Echo: Verheerend.

Für den Ruf nach Flohmärkten für Arzneimittel und Nachbarschaftshilfe mit Medikamenten erntet der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, viel Kritik: Von den Apotheken, von den Krankenkassen und nicht zuletzt aus den eigenen Reihen.

Andreas Gassen, Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), warnt davor, gebrauchte oder abgelaufene Arzneimittel im Nachbarschafts- oder Freundeskreis zu tauschen. „Das Risiko ist einfach zu groß, dass durch solch eigentlich gut gemeinten Solidaritätsaktionen mehr Schaden als Nutzen bis hin zuGefahren für Leib und Leben angerichtet werden.“

Er nimmt den Staat in die Pflicht. Jetzt sei das Bundesgesundheitsministerium gefragt, „so schnell wie möglich die fehlenden Arzneimittel zu beschaffen“. Die Probleme mit Reinhardts unkonventioneller Idee sind vielfältig und gipfeln in Haftungsfragen. Wer ist in der Verantwortung bei

  • Unverträglichkeiten von Medikamenten?
  • abgelaufenen Arzneien?
  • Unkenntnis über den Ursprung der angebotenen Mittel und Tabletten?

Flohmarkt für Medikamente: Offener Streit zwischen Kassen und Apotheken

Wegen der Engpässe seien die Apotheken und ihre Kompetenzen gefordert, meint Doris Pfeiffer, Vorsitzende des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (GKV). Das wiederum empfindet Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL), als „Zumutung“. Die Gesundheitsbranche ist in heller Aufregung. Es scheint, als habe Reinhardt mit seinem Vorschlag in ein Wespennest gestochen.

Hintergrund: Ob Fiebersaft für Kinder, ob Antibiotikum, in Deutschland herrscht gerade Medikamentenmangel. Dabei galt Deutschland mal als Apotheke der Welt. Reinhardt sagte dem „Tagesspiegel“: „Jetzt hilft nur Solidarität. Wer gesund ist, muss vorrätige Arznei an Kranke abgeben. Wir brauchen so was wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft.“

Für solche Medikamenten-Flohmärkte könnten auch Arzneimittel infrage kommen, deren Haltbarkeitsdatum bereits einige Monate abgelaufen sei, erklärte Reinhardt. In der Not könnten zahlreiche Medikamente immer noch gefahrlos verwendet werden.

Was bei einem solchen „Flohmarkt“ zu beachten wäre: Kaufen Sie Medikamente nur bei Personen, denen Sie auch vertrauen. Und natürlich sollten Sie nur Arzneien erwerben, die nicht verschreibungspflichtig sind, beispielsweise Fiebersaft gegen Schmerzen (Dosierung nach Körpergewicht beachten). Aber: Kein Antibiotikum. Gerade bei diesen ist eine gewissenhafte Einnahme streng nach Vorgaben der Ärztin bzw. des Arztes vorgesehen. Antibiotika gibt es nur auf Rezept.

„Flohmarkt“-Idee stößt auf Widerstand bei Apotheken

Aber genau wegen der möglicherweise falschen Anwendung von Medikamenten gab es zu dieser „Flohmarkt“-Idee von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände (ABDA) scharfen Widerstand. Deren Präsidentin Gabriele Regina Overwiening sagte am Montag zum Vorschlag der Bundesärtzekammer: „So treibt man Menschen in gefährliche Arzneimitteleinnahmen, löst aber keine Lieferengpässe.“

Einzelne Politiker hatten den Apotheken vorgeworfen, durch Hamstern zu den Engpässen beigetragen zu haben. Auch hier widersprach Overwiening deutlich: „Wir helfen, die Engpässe zu lösen, wir produzieren sie nicht. Von der Politik ist für diesen Einsatz längst ein spürbarer Dank überfällig.“

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Auch Notfall-Medikamente und Antibiotikum fehlen

Für Reinhardt hingegen geht es auch darum, dass die deutsche Gesellschaft wieder lerne, „Krisenzeiten pragmatisch und standfest abzuwettern“. Erst danach könne man wieder Grundsätzliches wie die Reform der Arzneimittelproduktion angehen. Die Politik müsse Anreize dafür schaffen, dass Medikamente wieder in Deutschland hergestellt werden und nicht in China oder Indien.

Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). © Marcus Brandt/dpa

Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), machte zuletzt noch auf einen anderen Engpass aufmerksam: bei Notfallmedikamenten. Demnach fehle bereits seit April der Wirkstoff Alteplase. Er findet als lebensrettende Maßnahme bei Schlaganfällen oder Herzinfarkt Anwendung. Bei den derzeit grassierenden Atemwegserkrankungen fehlt laut Gaß das Breitband-Antibiotikum Amoxicillin.

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Erst am Donnerstag hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) der Kindermedizin schnelle Unterstützung zugesichert. Denn: Es fehlt nicht nur an Medikamenten, sondern auch an freien Terminen beim Kinderarzt und freien Betten in den Krankenhäusern. Der SPD-Politiker sagte: „Wir werden es nicht zulassen, dass die Kinder, die in der Pandemie so viel aufgegeben haben, jetzt nicht die Versorgung bekommen, die sie brauchen.“ Kinderarztpraxen sollen besser honoriert werden, in den Kinderkliniken sollen zusätzliche Honorarkräfte kurzfristig das Pflegepersonal entlasten.

Fiebersaft nicht hamstern

Overwiening hatte Eltern schon vor einigen Tagen darum gebeten, bei fehlendem Fiebersaft nicht panisch zu werden: „Diejenigen, die hamstern, machen das ja meistens, wenn sie gesund sind. Dann fehlt denen, die gerade krank sind, das Arzneimittel. Das ist ein Teufelskreis.“ (dw)