Berlin. Winnie Harlow und Mario Galla sind mit Handicap längst Supermodels in der Mode-Welt. So stehen die Chancen für besondere Hobby-Models.

Ob klein oder groß, skinny oder curvy, 16 oder 68 Jahre alt: In der 17. Staffel von „Germany's Next Topmodel - by Heidi Klum“, die aktuell wieder jeden Donnerstag um 20.15 Uhr auf ProSieben über die Bildschirme flimmert, sollen alle Kandidatinnen die gleichen Chancen auf den Titel haben. Doch eine Nische ist nicht vertreten: Models mit Handicap. Eine, die es geschafft hat, ist Natalie Nußbaum, 33 Jahre alt. Sie modelt mit Unterarmprothese.

Im Trainings-Anzug der Paralympics-Kollektion stand sie Ende August 2021 in Farben der Deutschland-Fahne als Newcomer-Model für Adidas vor der Kamera. Natalie Nußbaum, die in Köln als Controllerin arbeitet, ist schon seit ihrem ersten Lebensjahr an ihre Unterarmprothese gewöhnt. Vor ihrer Geburt hat sich die Nabelschnur um ihren Arm gewickelt und sie verlor dadurch den rechten Unterarm. Dank der Prothese habe das Model aus Nordrhein-Westfalen alle Freiheiten um das zu tun, was sie sich zum Ziel setzt, sagt sie.

Models mit Handicap: Inklusion in der Modelwelt

Models im Rollstuhl oder mit Prothese waren jahrzehntelang undenkbar. Und wer sich nach der Jahrtausendwende doch traute, dem war der Gewinn längst nicht sicher: Mancher Designer wurde für seinen Versuch, Menschen mit Handicap als Models mit einzubeziehen stark kritisiert – vor allem für die Art der Darstellung.

Doch Inklusion kann auch in der Modelwelt gelingen. Schön sein reicht heute oft nicht mehr aus – perfekt ist langweilig. Daher sind neben klassischen Schönheiten auch Menschen mit besonderem Wiedererkennungswert wie Winnie Harlow oder Mario Galla von den Laufstegen der Welt nicht mehr wegzudenken.

„Mir hat es super viel Spaß gemacht“, erzählt Natalie über ihr Shooting. „Natürlich wusste ich nicht, was genau auf mich zukommt. Ich war gespannt auf das Team und darauf, was von mir erwartet wird. Alle waren super herzlich und haben sich gefreut.“

Die Mitarbeiter seien sehr aufmerksam gewesen, haben gefragt, ob sie etwas beachten müssen. In ihrem Fall war das nicht so. „Ich habe früh gelernt selbstständig zu sein. Und wenn mal etwas nicht funktioniert, frage ich gerne nach Hilfe. Sie haben mir beim Shooting Tipps gegeben und ich habe mich wirklich sehr gut aufgehoben gefühlt.“

Hobby-Model im Online-Shop von Adidas

Sich selbst im Online-Shop zu sehen, war noch einmal eine ganz neue Erfahrung. „Mein erster Gedanke war ‚ok, krass‘. Und so haben auch meine Familie und Freunde reagiert.“ Besonders die Darstellung hat ihr zugesagt: „Ich fand es super, dass wir – wie jedes andere Model auch – im Shop zu finden waren, ohne großes Tam Tam.“

Im Modeln sieht Natalie eine weitere Möglichkeit zu zeigen, dass man mit einer Prothese genauso seine Ziele erreichen kann, wie alle anderen. „Wichtig ist der Glaube an sich selbst und dass man es schaffen möchte. Es lohnt sich, ab und zu ins kalte Wasser zu springen.“

Natalie Nußbaum: „Schönheit ist vielfältig“

Sie freue sich, wenn sie Menschen inspirieren, motivieren oder dazu beitragen kann, dass die Berührungsängste mit dem Thema und zwischen den Menschen weniger werden. „Ich wünsche mir, dass wir schon kleinen Kindern beibringen, dass unsere Gesellschaft kunterbunt und alles normal ist - damit sie lernen, offen und neugierig zu sein. Persönlich glaube ich, dass aktuell ein Prozess hin zu mehr Offenheit im Gange ist. Ich wünsche mir, dass der Begriff ‚Schönheit‘ vielfältig ist.“

Dass Models mit Handicap so gefragt sind wie nie, bestätigt Giuseppe Gennaro. Mit Andreas Donat leitet er die Kölner Model-Agentur FAMEONME Casting, bei der auch Natalie in der Kartei zu finden ist.

Model-Jobs für Coca Cola oder Zalando

„Wir haben fast jeden Tag Handicap-Anfragen“, so der Inhaber der Agentur, die Models in Deutschland, Österreich und der Schweiz vermittelt. Oft werden bei ihnen Models mit Handicap in der Werbung für Produkte von Großunternehmen wie Coca Cola oder Zalando gebucht. Eine konkrete Branche, in der die Chancen für sie besonders gut stehen, gebe es aber nicht: „Das liegt schlichtweg an der jeweiligen Unternehmensphilosophie.“