Amsterdam. Auf einem Hof in den Niederlanden lebte eine Familie isoliert jahrelang. Der festgenommene Vater bleibt erst einmal in Haft.
Eine siebenköpfige Familie lebte neun Jahre lang in einem isolierten Raum eines Bauernhofes im Ort Ruinderwold in den Niederlanden. Der Vater und ein Österreicher sind festgenommen worden – am Montag entschied ein Haftrichter, dass der Familienvater weiter in Untersuchungshaft bleibt. Verdacht: Freiheitsberaubung
Der Haftrichter verlängerte am Montag die Untersuchungshaft um 14 Tage. Der 67-jährige Gerrit Jan van D. wird verdächtigt, neun Jahre lang seine sechs Kinder gegen ihren Willen auf einem abgelegenen Hof im Dorf Ruinerwold festgehalten zu haben.
Wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft jetzt mitteilte, soll der Vater vor zehn Jahren bei den Behörden seine Auswanderung gemeldet haben. Er habe sich 2009 aus der niederländischen Einwohnermeldeliste streichen lassen.
Bei der weiteren Durchsuchung des Bauernhofes wurde am Samstag ein „Geldhund“ eingesetzt, der versteckte Geldscheine finden kann. „Es wurde aber kein weiteres Geld gefunden“, sagte Sprecher Bart Olmer. Zuvor war ein „substanzieller Betrag“ gefunden worden.
Neun Jahre lang hatte die Familie in einem abschließbaren isolierten Raum mit mehreren Kammern gehaust. Der Zugang zu dem Raum ist laut Polizei hinter einem Schrank versteckt gewesen. Nur ab und zu seien die Kinder im Garten gewesen, aber sie hätten das Gelände nie verlassen.
Die heute 18- bis 25-jährigen Kinder hatten nach Polizeiinformationen nie eine Schule besucht, doch sie können lesen und schreiben und würden alle niederländisch sprechen. Die Familie wurde Anfang der Woche entdeckt, nachdem ein 25-jähriger Sohn in einer Kneipe um Hilfe gebeten hatte.
Isolierte Familie – Karte zeigt Ort in Niederlanden
Der erste Verdächtige – ein 58-jähriger Österreicher – sitzt bereits in Untersuchungshaft, wie die Staatsanwaltschaft auf Twitter mitteilte. „Der Richter des Bezirksgerichts der nördlichen Niederlande hat gerade die Inhaftierung eines 58-jährigen Mannes für einen Zeitraum von 14 Tagen wegen des Verdachts der rechtswidrigen Freiheitsberaubung angeordnet“, heißt es in dem Tweet von vergangener Woche.
Er war nach Angaben der Polizei zwar Mieter des Bauernhofes und soll dort regelmäßig Reparaturen ausgeführt haben, aber dort nicht gewohnt haben. Die Familie war dem Einwohnermeldeamt nicht bekannt. In welcher Beziehung der Österreicher zu der Familie stand, ist weiter unklar.
Außerdem wurde der Vater der Kinder festgenommen. Dem Mann wird Freiheitsentzug, Misshandlung und Geldwäsche vorgeworfen. Die Ermittler suchen jetzt nach dem Motiv des Vaters. Der Mann sei ansprechbar, und auch mit den Kindern könne man kommunizieren, sagte ein Sprecher der Polizei.
In dieser Fotostrecke bekommen Sie weitere Eindrücke von dem Hof in den Niederlanden:
Familie auf Hof in Niederlanden isoliert
Die Kinder hätten heftig auf die Festnahme des Vaters reagiert, sagte die stellvertretende Polizeichefin in Drenthe, Janny Knol, im niederländischen Fernsehen. Die Polizei und auch Psychologen würden mit ihnen reden. „Dass sie nicht unbedingt dasselbe Verhalten zeigten wie wir, ist deutlich.“
Beide Männer stehen unter Verdacht, die sechs heute erwachsenen Kinder der Familie gegen deren Willen auf dem Gehöft im Dorf Ruinerwold festgehalten zu haben. Es werde untersucht, ob „eine bestimmte Lebens- oder Glaubensüberzeugung“ zu der Lebenssituation der Jugendlichen geführt habe.
Niederlande: Isolierte Familie lebt auf Hof – Das muss man wissen
- In den Niederlanden haben mehrere Menschen isoliert von der Außenwelt mehrere Jahre in einem abschließbaren Raum gelebt
- Insgesamt sieben Menschen lebten auf dem kleinen abgelegenen Bauernhof
- Ein 58-jähriger Österreicher wird der Freiheitsberaubung verdächtigt
- Die Geschichte erinnert an den Fall Natascha Kampusch und an Josef Fritzl
Es herrscht „Fassungslosigkeit und Ohnmacht“
Im 4000-Einwohner-Dorf Ruinerwold herrsche „Fassungslosigkeit und Ohnmacht“, sagte der Bürgermeister der Kommune De Wolden, Roger de Groot, in der Nacht zum Freitag. „Offensichtlich ist es möglich, dass eine Familie so lange unter dem Radar bleiben kann.“
Zu der Familie sollen noch drei weitere Kinder gehören. Sie seien bereits vor acht Jahren geflohen, hieß es in einer Erklärung von Angehörigen, die niederländische Medien veröffentlichten. Danach hatte der Vater schon vor Jahren den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen.
Familie lebte isoliert in Niederlanden: War es eine Sekte?
„Wir denken, dass die sechs Personen dort nicht aus freiem Willen gelebt haben“, sagte Polizeisprecherin Nathalie Schubart der Deutschen Presse-Agentur. Die Gründe sind zwar weiter unklar. Aber nach der eingehenden Durchsuchung des Hofes und Vernehmungen schließt die Polizei nicht aus, dass die Hintergründe in einer Art Sekte liegen könnten.
Zumindest der Vater war Mitglied einer Sekte. Ein Sprecher der sogenannten Vereinigungskirche des selbst ernannten und bereits verstorbenen koreanischen „Messias“ Sun Myung Moon bestätigte, dass der Mann vor Jahren Mitglied gewesen sei.
Man sei in der Vereinigungskirche zutiefst betroffen gewesen, als man von dem Fall gehört habe, teilte eine Sprecherin mit. Im Bezug auf den Familienvater heißt es, dass „wir bestätigen können, dass eines der Opfer (...) Mitte der 80er Jahre kurz Mitglied unserer Bewegung war, ist bekannt, dass er an psychischen Problemen litt und 1987 unsere Organisation verlassen hat.“ Der mutmaßliche Entführer habe keine bekannten Verbindungen zu der Glaubensgemeinschaft.
Isolierte Familie – Polizei erfasst alle Räume
„Wir erfassen alle Räume digital, so dass wir eine vollständige Übersicht bekommen“, teilte die Polizei der Provinz Drenthe am Donnerstag mit. Es gibt Hinweise, dass beide Männer einer Sekte angehört haben.
Der Österreicher und der Vater der Familie waren nach Angaben einer früheren Nachbarin bereits seit gut 15 Jahren befreundet. Sie waren auch gemeinsam Inhaber eines Spielzeugladens im nahe gelegenen Zwartsluis. Das Geschäft, das seit 2010 geschlossen ist, war am Mittwochabend von der Polizei durchsucht worden. Auch ein weiterer Betrieb des Vaters war durchsucht worden. Ergebnisse der Durchsuchungen wollte die Polizei zunächst nicht mitteilen.
Der Fall Natascha Kampusch
Hinweise zu der Familie kommen auch von den Einträgen eines Sohnes in den sozialen Medien. Der 25-Jährige hatte am Montag in der Dorfkneipe um Hilfe gebeten und so den Stein ins Rollen gebracht. Er war nach einer Pause von mehr als neun Jahren plötzlich wieder aktiv im Internet. Seinen Einträgen nach zu urteilen hatte er den Auszug aus dem Hof lange geplant. Die Mutter der Familie soll nach seinen Angaben bereits 2004 gestorben ein.
Niederlande: Verwirrter 25-Jähriger bat in Kneipe um Hilfe
„Er sagte, dass er Jan heiße, weggelaufen sei und Hilfe brauche“, sagte der Wirt des Lokals der „Bild“-Zeitung. Wie niederländische Medien berichten, habe die Familie kaum richtig sprechen können, Wörter hätten sich mehr nach Fantasie als nach richtiger Sprache angehört.
Dass es sich bei dem einen Festgenommenen um einen Österreicher handelt, erinnert an zwei Fälle, die sich ebenfalls in Österreich zu getragen hatten.
Da ist die Geschichte von Josef Fritzl, der seine Tochter über Jahre in einem Keller gefangen hielt und sieben Kinder mit ihr zeugte. Und da ist die Geschichte von Natascha Kampusch, die als Zehnjährige entführt und in einem Verließ gefangen gehalten wurde. Zuletzt machte sich Kampusch mit einem eigenen Buch gegen Mobbing im Internet stark. Bei „Markus Lanz“ erzählte die Frau vor wenigen Tagen, dass ihr auch heute noch von vielen Menschen Abscheu entgegenschlägt.
Isolierte Familie – Was über den 58-jährigen Österreicher bekannt ist
- Der 58-jährige Österreicher hatte den Hof gemietet, aber wohnte dort wahrscheinlich nicht
- Der Österreicher wohnt wohl schon seit Jahren in den Niederlanden
- Der Mann sitzt in Untersuchungshaft
Familie haust in isoliertem Raum – Mutter ist verschwunden
Der Hof liegt versteckt hinter Bäumen und etwa 200 Meter vom Rande des Dorfes entfernt. Dazu gehören nach Aussagen von Reportern ein großer Gemüsegarten und eine Ziege. Möglicherweise habe sich die Familie Jahre lang selbst versorgt.
Niederlande: Folterkammer für Entführte entdeckt
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In Deutschland hatte im Juni der Fall von mutmaßlich rechtsextremen „Preppern“ für Aufsehen gesorgt. Die Mitglieder der Vereinigung „Nordkreuz“ sollen sich Waffen besorgt und auf den „Tag X“ vorbereitet haben.
(bekö/mbr/ba/dpa/ac/Annette Birschel)