Oslo/Kongsberg. Bei Oslo in Norwegen hat es eine Gewalttat mit fünf Toten gegeben. Der mutmaßliche Täter war der Polizei schon vorher aufgefallen.

  • Gewalttat in Norwegen: Ein Mann hat in Kongsberg mehrere Menschen mit Pfeil und Bogen getötet
  • Die Polizei nahm ihn kurz nach der Tat fest, der Tatverdächtige hat bereits gestanden
  • Den Behörden war der 37-Jährige schon vor seinem Amoklauf bekannt
  • Die Ermittler stufen die Tat als mutmaßlichen Terrorakt ein

Es ist eine gute halbe Stunde, die der Täter Zeit hat. Um 18.13 Uhr geht der erste Notruf bei der Polizei in der kleinen Stadt Kongsberg bei Oslo ein. Ein 37 Jahre alter Mann, so rekonstruiert die Polizei später die Tat, schießt in einem Supermarkt los. Nicht mit einem Gewehr oder einer Pistole. Der Attentäter nutzt für seine Gewalt Pfeile und Bogen.

Ein Polizist ist zufällig und privat im Geschäft. Er wird laut Behörden verletzt, als er versucht, den Mann mit dem Bogen zu überwältigen. Eine Dienstwaffe hat er nicht dabei. Eine bewaffnete Streife im Dienst erreicht fünf Minuten nach der ersten Meldung den Tatort in der Stadt mit ihren gerade einmal knapp 30.000 Einwohnern. Doch der Täter flieht. Augenzeugen berichten norwegischen Medien von der Tat, erzählen dem Fernsehsender TV2 von leblosen Personen und Schreien auf der Straße. Nachbarn sehen einen Mann mit einem Pfeil im Rücken, der auf den Marktplatz läuft und anderen zuruft, sich in Sicherheit zu bringen.

Südwestlich der norwegischen Hauptstadt hat sich am Mittwochabend ein Amoklauf ereignet. Ein Mann hat im Kongsberger Zentrum mit Pfeil und Bogen auf Menschen geschossen. Laut Polizei wurden vier Frauen und ein Mann getötet, zwei weitere Menschen wurden verletzt. Auch Polizisten vor Ort wurden von dem Täter mit Pfeilen beschossen.

Attentat in Kongsberg: Behörden gehen von Terrorakt aus

Die Polizei konnte den mutmaßlichen Täter noch am Abend festnehmen. Es handele sich bei ihm um einen 37-jährigen Dänen, der in Kongsberg gelebt habe. Nach bisherigen Informationen soll der Mann alleine gehandelt haben.

In den ersten Stunden nach dem Attentat sind die Sicherheitsbehörden vorsichtig bei Fragen nach Motiv und Hintergründen der Tat. Und doch sieht die Polizei Hinweise auf eine terroristische Tat. Der Polizeisicherheitsdienst (PST) schreibt, dass die Behörden den Vorfall in Kongsberg "vorläufig als Terrorakt ansehen" würden. Die Ermittlungen des Polizeibezirks Süd-Ost müssten nun jedoch die genauen Umstände klären, heißt es in einer Pressemitteilung.

Mehrere Medien berichten am Tag nach der Tat über ein Video, das den Täter zeigen soll. Darin ist ein Mann mit kurz geschorenen Haaren zu sehen. Der Ausschnitt ist nicht einmal eine Minute lang, der mutmaßliche Täter sagt, er sei "ein Botschafter", er habe "eine Warnung". Er fragt, ob dies "wirklich das sei, was ihr wollt". Offenbar fühlt er sich zur "Tat" berufen. Am Ende sagt er: "Bezeugt, dass ich ein Muslim bin".

Terror nahe Oslo: Angreifer war potenziell radikalisierter Muslim

Der Mann war der Polizei bereits bekannt, wie die Ermittler am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Oslo mitteilten. Bei dem Tatverdächtigen handele es sich um einen "Konvertiten zum Islam", sagte der Polizeibeamte Ole Bredrup Saeverud bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. "Es gab schon früher Befürchtungen einer Radikalisierung", sagte Saeverud. Diesen Befürchtungen sei im vergangenen Jahr und davor nachgegangen worden. In diesem Jahr habe es bei dem Mann aber keine Hinweise mehr auf Auffälligkeiten gegeben.

Mehrfach war er der Polizei auch bereits anderweitig aufgefallen: Im Jahr 2012 mit schwerem Diebstahl sowie Kauf und Konsum von kleinen Mengen Haschisch. Damals sei er bereits zu 60 Tagen auf Bewährung verurteilt worden, teilte die Polizei in einer Pressekonferenz am Donnerstag mit.

Anschlag in Kongsberg: Täter wird psychiatrisch untersucht

Der mutmaßliche Täter lebt nach Angaben der Polizei seit der Geburt in Norwegen. Schon längere Zeit, seit Beginn der 2000er-Jahre, soll er arbeitslos sein. Die Tat hat der Mann laut Polizei in einem ersten Verhör gestanden. Der Übertritt zum Islam, die Radikalisierung, die Gewaltbereitschaft, die mögliche psychische Erkrankung – es ist ein Puzzle aus mehreren Faktoren dieser brutalen Tat, das die Ermittler nun zusammenfügen müssen, um ein Gesamtbild des Täters zu erlangen. Die leitende Staatsanwältin bestätigt, dass der Beschuldigte psychia­trisch untersucht werde.

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Polizisten ermitteln im Zentrum von Kongsberg nach einer Gewalttat mit Toten und Verletzten.
Polizisten ermitteln im Zentrum von Kongsberg nach einer Gewalttat mit Toten und Verletzten. © Håkon Mosvold Larsen/NTB/dpa

Kongsberg: Tat ereignete sich am Vorabend des Regierungswechsels

"Das ist eine Tragödie für alle Betroffenen. Mir fehlen die Worte", sagte Kongsbergs Bürgermeisterin Kari Anne Sand gegenüber "Verdens Gang". Auch Norwegens scheidende Ministerpräsidentin Erna Solberg hat den Betroffenen der Gewalttat in der Kleinstadt Kongsberg ihre Anteilnahme ausgedrückt. "Unsere Gedanken gehen zuallererst an die Betroffenen und ihre Angehörigen", sagte Solberg. Sie wird am Donnerstag nach ihrer Wahlniederlage vor einem Monat von dem Sozialdemokraten Jonas Gahr Støre an der Regierungsspitze abgelöst.

Auch die Premiere eines skandinavischen Films wird nun wegen der Gewalttat verschoben. Der "Nordische Film" verschiebt die Feier für "Vildmænd", in dem eine Figur mit Pfeil und Bogen in Norwegen herumläuft.

Norwegen hatte vor zehn Jahren den schwersten Terroranschlag seiner modernen Geschichte erlebt. Der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik tötete am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen.

Polizeieinsatz hinterlässt offene Fragen

Im Fokus steht nun in Kongsberg auch der Einsatz der Polizei. Beim Terrorattentat von Breivik waren die Behörden massiv kritisiert worden, weil der Neonazi viel zu lange ohne große Gegenwehr töten konnte. Nun waren am ersten Tatort in Kongsberg erste Streifen der Polizei bereits nach fünf Minuten. Laut Angaben der Behörden folgten unmittelbar Bereitschaftspolizisten, Helikopter und die Bombengruppe. Krankenhäuser wurden alarmiert, die Kommune und das Justizministerium richteten Krisenteams ein.

Und doch bleiben Fragen: Der leitende Polizist vor Ort musste in einer ersten Pressekonferenz einräumen, dass der Täter alle Opfer noch töten konnte, als die Polizei ihn schon durch die Stadt verfolgte. Einsatzkräfte wurden selbst mit Pfeilen beschossen, gaben offenbar Warnschüsse ab. Der Täter konnte weiterziehen.

(mit cu/bekö/afp/dpa/fmg)