Berlin. Er deckt Fälle auf, ohne sehen zu können: Philipp Hochmair in „Blind ermittelt“. Woher er seine Kraft nimmt, erzählt er im Interview.

Als blinder Ermittler in den Wien-Krimis (nächste Folgen „Tod im Fiaker“, 8. April, 20.15 Uhr, und „Lebendig begraben“, 15. April, 20.15 Uhr, Das Erste) und Serien wie „Charité“ wurde der Österreicher Philipp Hochmair einem breiten deutschen Publikum ein Begriff. Einige der wichtigsten Rollen seines Lebens hat der 47-Jährige, der auch schon als Jedermann zu sehen war, dem Dichterfürsten Goethe zu verdanken. Deshalb spricht er im Interview auch darüber, wie diese klassischen Texte sein Leben prägten, warum er eine faustische Seele in sich spürt und inwiefern er sich Stillstand wünscht.

Sie spielen jetzt zum fünften Mal den Titelhelden in „Blind ermittelt“. Könnten Sie sich als nicht sehender Mensch in unserer Welt zurechtfinden?

Ich glaube nicht. Sich in der Großstadt blind zu bewegen, bedarf einer bestimmten Routine und ist sehr gefährlich. Unsere Welt ist eigentlich nur für Sehende ausgerichtet. Was ich aber aus eigener Erfahrung kenne, ist das Gefühl, wie der blinde Ermittler Alexander Haller eine Art Außenseiter zu sein und eine eigene Sicht auf die Welt zu haben.

Und Sie empfinden sich immer noch wie ein Außenseiter?

Philipp Hochmair: Bevor ich zum Theater gegangen bin, habe ich mich oft so gefühlt. Im Theater und auch später beim Film hat sich dieses Gefühl zum Glück verändert.

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Was hat Ihnen dabei geholfen?

Hochmair: Ich habe noch als Schüler im Haus meiner Großeltern ein altes, zerfleddertes Reclamheft von „Faust 1“ entdeckt, und schon die ersten Sätze haben mich damals fast hypnotisiert. Überhaupt habe ich in Goethes Werken viele Antworten gefunden.

Inzwischen verbinden jüngere Generationen mit Goethe vermutlich eher den Titel deutscher Filmkomödien.

Hochmair: Ja, da haben Sie wahrscheinlich Recht! Ich habe als Jugendlicher zum Glück die legendäre „Faust“-Verfilmung von Gustaf Gründgens im Kino gesehen – das war ein besonderer Moment. Ich glaube viele Texte von Goethe geben für das Gefühlsleben eines heranwachsenden Menschen eine tolle Orientierung. Ich habe darin viele Gedanken gefunden, die für mein Leben wichtig waren. Lustigerweise habe ich auch lange Torquato Tasso, Mephisto in „Faust“ und die „Leiden des jungen Werther“ gespielt. Als „Werther“ hatte ich zum ersten Mal die Chance, zu zeigen, was ein Außenseiter ist. Dieses Buch hat mich sehr lange begleitet. Ich haben vor kurzem mit meiner Band auch eine Neuvertonung, mit elektronischem Soundtrack von Werther gemacht. Diese Platte richtet sich speziell an junge Leute, die zu dieser literarischen Welt nicht automatisch Zugang haben.

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Faust erblindet gegen Ende seines Lebens und erhält in der Konzentration auf sein Innerstes neue Einblicke. Wie gut sind Sie selbst in der Innenschau?

Hochmair: Stimmt, das Erblinden bei Faust - wie auch bei meiner Figur Alexander Haller - bedeutet mehr. Im gewissen Sinne habe ich diese Innenschau im Lockdown auch erlebt. So ruhig und nach innen gewandt war ich noch in meinem erwachsenen Leben eigentlich noch nie. Ich habe zwar die ersten Monate gebraucht, um mich zu sortieren, aber jetzt bin ich irgendwie auch dankbar für diesen Stillstand.

Kennen Sie wie er auch das Gefühl ständiger Unzufriedenheit?

Hochmair: Natürlich kenne ich das. Sehr gut sogar. Der Faust steckt in der Sackgasse, und Mephisto, als sein Widerpart, befreit ihn mit seiner Beschleunigungskraft. Mephisto sagt ja: „Ich bin der Geist, der stets verneint“. (lacht)

Brauchen Sie Geister, die verneinen, als Gegenpart in Ihrem Leben?

Hochmair: Unbedingt. Jeder braucht seinen persönlichen Mephisto. Auch in „Blind ermittelt“ hat der Kommissar Alexander Haller seinen Gegenpart in Niko, seinem zwielichtigen Chauffeur und Assistenten, gespielt von Andreas Günther. Er ist spielsüchtig, hat Kontakt zur Unterwelt und gibt damit dem Kommissar die Möglichkeit, in die Wiener Halbwelt hineinzugehen.

Und das faustische Streben haben Sie nach wie vor?

Hochmair: Ja, ich denke schon, ich will immer noch wissen, was die Welt „im Innersten zusammenhält“, wie es bei Goethe heißt, und da sind ein blinder Kommissar oder auch der Forensiker Otto Prokop, den ich in der dritten Staffel von „Charité“ gespielt habe, wichtige Mosaiksteinchen auf der Suche nach dieser Frage.

Die große Frage bei „Faust“ ist, ob er zum Augenblick sagt „Verweile doch, du bist so schön“. Sagen Sie das irgendwann mal?

Hochmair: Wenn ich eine Folge von „Blind ermittelt“ sehe, die gelungen ist, dann denke ich mir das. Und gerade weil Rastlosigkeit mein Leben prägt, suche ich grundsätzlich Augenblicke, wo alles stillsteht.

Und Sie machen weiter, bis Sie eines Tages erlöst werden wie Faust?

Hochmair: Ja, ich begreife das Leben als eine Art von Befreiung von althergebrachten Sichtweisen, und ich bin auf der Suche nach dieser Erlösung von Zwängen.

Aber es gibt eben die bewussten Zwänge. Werther und Tasso werden mit pragmatischen, bürokratischen Figuren wie Albert bzw. Antonio konfrontiert. Gibt es die bei Ihnen auch?

Hochmair: Ja, natürlich. Aber das ist doch Teil unseres Lebens, genau mit diesen Widersprüchen umgehen zu müssen. Es ist wichtig, dass man bestimme Skills und Disziplin hat, denn speziell beim Theater und Film ist man an klare Arbeitsabläufe gebunden.

Es gibt ja auch das klassische Gegensatzpaar Künstler und Bürger.

Hochmair: Ich würde mich auf der künstlerischen Seite einordnen. Interessant ist ja, dass es bei Goethe sehr häufig diese zwei männlichen Pole gibt, die einander entgegengesetzt sind. Und zwischen denen steht oft ein Frauenschicksal. Gretchen zwischen Faust und Mephisto. Oder Lotte zwischen Werther und Albert, zum Beispiel.

Was uns zum letzten Satz des „Faust“ bringt: „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.“ Was fällt Ihnen dazu ein?

Hochmair: Glücklicherweise müssen wir heute nicht mehr von klassischen Geschlechterrollen sprechen. Ich wünsche mir, dass wir auch bei diesem Thema freier werden, pluralistischer und offener denken, fühlen und handeln können.

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