London. Prinz William gilt spätestens seit Harrys Enthüllungsbuch als leicht reizbar – doch öffentlich wahrt der Thronfolger die Contenance.

Sein Image ist bisher fast makellos: Prinz William (40), seit kurzem Prince of Wales und damit nach seinem Vater King Charles (74) der nächste König von Großbritannien. Dieser Mann soll ein Wüterich sein, ein brodelnder Vulkan?

Ausgerechnet William. Seine Ehe mit Kate (41) und sein Familienleben mit den drei gemeinsamen Kindern gilt als glücklich und skandalfrei, die Beliebtheitswerte von William sind höher als die seines Vaters. Und nun behauptet Bruder Harry (38) in seinen Memoiren und verschiedenen TV-Interviews, der Ältere habe ihn tätlich angegriffen: Einmal habe ihn William in der Küche zu Boden geschubst, Harry sei gefallen und der Hundenapf dabei zerstört worden. Damals lebte Harry noch in einem Nebengebäude des Londoner Kensingtons Palastes.

Und nach der Trauerfeier für Prinz Philip (1922-2021) sei es erneut zu einem Streit gekommen, bei dem William seinen jüngeren Bruder am Kragen gepackt haben soll. Außerdem habe William Harrys Gattin Meghan (41) mit ausgestrecktem Zeigefinger zurechtgewiesen, als diese bei einem – eigentlich als Konfliktlösungstreffen geplanten – Tee wiederum Kate unterstellt hätte, sie hätte ein „Baby-Hirn“ und kurz nach ihrer Schwangerschaft spielten ihre Hormone verrückt. Kann es sein, dass William eine verborgene, dunklere Seite besitzt?

Prinz William war der Musterschüler der Queen

Gerade in jüngeren Jahren war William – allerdings nur im privaten Umfeld – dafür bekannt, dass er manchmal reizbar war und auch unwirsch reagierte. Aber William gilt auch als Musterschüler seiner Großeltern Queen Elizabeth (1926-2022) und Prinz Philip. Mit beiden verbrachte er viel Zeit und nahm gern ihre Ratschläge an. Deren goldene Regeln, nur einen engen, seit Jahren bewährten Freundeskreis mit 100 Prozent zuverlässigen Menschen zu pflegen, hat er ebenso glänzend adaptiert wie den Grundsatz, bei öffentlichen Auftritten nicht die Contenance zu verlieren.

Prinz William (l.) und sein Bruder Prinz Harry: Der Thronfolger habe ein Aggressionsproblem, impliziert der Jüngere in seinen Memoiren.
Prinz William (l.) und sein Bruder Prinz Harry: Der Thronfolger habe ein Aggressionsproblem, impliziert der Jüngere in seinen Memoiren. © dpa | Martin Meissner

Wäre da nicht das Verhältnis zu Bruder Harry – ein über viele Jahre ungewöhnlich enges Verhältnis, das gerade nach dem Tod von Mutter Diana (1961-1997) unkaputtbar schien. Die Brüder verbrachten viel Zeit miteinander, auch außerhalb familiärer Pflichttermine. Sie versuchten gemeinsam, die Projekte von Diana weiterzuführen. Außerdem gründeten sie eine Charity namens „Heads Together“, die Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen ansprechen und unterstützen soll.

Ein perfektes Team, sogar ein Dreier-Team der Brüder mit Kate. Bis Meghan auftrat. Die emotional stark verbundenen Brüder haben sich auch als Jungs gerne mal gekloppt – William sei immer noch dazu bereit, behauptet Harry.

Enge Bindung der Brüder: William wollte Harry einbinden

Das mag auch daran liegen, dass Williams Welt und Harrys Welt nicht mehr zusammenpassen. Der Ältere hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass Harry in der Zukunft des Königshauses eine wichtigere Rolle spielen sollte als der wenig brauchbare Prinz Andrew (52) an der Seite von Charles. Harry und seine Familie war, allen Sparplänen zum Trotz, ein sicheres Auskommen als hauptberufliche Royals sicher. Er sollte wichtige Patronagen im Militär übernehmen und die Heimat in den Ländern des Commonwealth als eine Art royaler Außenminister repräsentieren.

Top-Aufgaben, die in der Vergangenheit niemals für die jüngeren Geschwister reserviert waren. William hätte zweifellos keine Auseinandersetzung mit seiner eigenen Familie, Politikern und Medien gescheut, um Harry diese Rolle zu sichern.

William ist, auch wenn er das ursprünglich nicht beabsichtigt haben mag, in die Rolle des inoffiziellen Familienoberhauptes gerückt. Eine Position, die sich die Queen und Prinz Philip jahrzehntelang in bewährter Weise teilten: Die Queen war das Staatsoberhaupt, aber klug genug, um Philip die Rolle des Familienoberhauptes zu überlassen, der auch die unpopulären Entscheidungen in der Familie durchzusetzen hatte – etwa Queen-Schwester Margaret (1930-2001) eine Liebesehe mit einem geschiedenen Mann zu verbieten oder die Verhandlungen mit Diana über die Abfindung nach der Scheidung zu führen.

Andy Englert, Adels-Experte der FUNKE Mediengruppe, befasst sich seit mehr als 30 Jahren mit Königshäusern und ihrer Geschichte, derzeit als stellvertretender Chefredakteur der Zeitschriften
Andy Englert, Adels-Experte der FUNKE Mediengruppe, befasst sich seit mehr als 30 Jahren mit Königshäusern und ihrer Geschichte, derzeit als stellvertretender Chefredakteur der Zeitschriften "Frau im Spiegel" und "Frau im Spiegel ROYAL" sowie als Royal-Experte des Schweizer Fernsehens SRF.

William lässt Harry einfach reden

Die Queen stand stets dahinter, hielt sich aber immer zurück und ging offen ausgetragenen Konflikten aus dem Weg. William wurde zu einer Art neuer Familienchef, wohl weil Charles von seinem Naturell wie von seinem Lebensalter her wenig Ambitionen dazu hat – und zu Lebzeiten seiner Eltern auch nie eine Chance besessen hätte, die Rolle zu übernehmen.

Die hat jetzt William. Die Frage ist, ob Harrys Vorwürfe sein Image beschädigen werden. Die Schlagzeilen wird er nicht kommentieren, auch wenn es ihm vermutlich extrem schwer fällt. Auch das hat er von Großeltern gelernt. Und auch, dass negative Schlagzeilen manchmal einen positiven Nebeneffekt haben. In seinem eigenen Land hat die Popularität kaum gelitten.

Im Gegenteil: vielen königstreuen Briten gefällt offenbar, wie emotional William die Krone und die Royals verteidigt. Auch wenn es dabei manchmal unköniglich rustikal zuzugehen scheint.