Iskenderun. Christian Unger und Reto Klar berichten aus dem Erdbeben-Gebiet in der Türkei. In einem Reporter-Tagebuch schildern sie ihre Eindrücke.

Plötzlich bremsen sie unseren Wagen. Ein Mann mit Weste und Helm zieht eine Pistole, richtet sie vor uns auf den Boden. Andere laufen an unser Auto, rufen, schimpfen. Hektik. Wir verstehen nichts, unsere Dolmetscherin sagt: „Wir sollen aussteigen.“

Die Männer in Uniform reden laut, fragen unsere Dolmetscherin, wer wir sind, was wir machen. Wir haben kaum eine Chance zu antworten. Die Situation ist angespannt, gereizt. Und wir verstehen kaum, was die Männer uns vorwerfen. Unser Puls schiesst in die Höhe. Das Gesicht unserer Dolmetscherin wird blass.

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Wir haben Glück. Es sind auch Männer dabei, die ruhig bleiben. Die uns danken, dass wir da sind. Und dass Deutschland der Türkei in dieser Krise hilft. Sie erklären uns, dass offenbar vor einigen Augenblicken ein Auto, das so aussah wie unseres, durch die Straße gefahren war und Rettungskräfte gefilmt habe. Das Auto sei dann abgerauscht.

Jetzt aber sind wir Objekt der Wut der Helfer und Ordnungskräfte. Sie wollen unsere Akkreditierung als Journalisten sehen, machen Fotos davon. Wollen Drehgenehmigungen. „I will check!“ Ihre wütenden Blicke weichen nicht. Dann rufen sie die Polizei.

Von einem auf den anderen Moment fühlen wir uns nicht mehr frei. Nicht in unserer Arbeit als Berichterstatter. Aber auch nicht mehr als Gäste in diesem Land.

Reto Klar (links) und Christian Unger in Iskenderun im türkischen Erdbebengebiet.
Reto Klar (links) und Christian Unger in Iskenderun im türkischen Erdbebengebiet. © Reto Klar/FUNKE | Reto Klar/FUNKE

Wir hatten es am Vorabend schon gemerkt, als wir in der vom Beben schwer getroffenen Stadt Antakya recherchierten und Menschen interviewten: Eine knappe Woche nach dem Beben kippt die Stimmung. Schock und Trauer weichen Wut und Frust.

Wir hören, dass es immer wieder Plünderungen geben soll. Oder Menschen in fremden Häusern nach Essen und Kleidung suchen, vielleicht auch nach Habseligkeiten. Und wir hören von Selbstjustiz durch Anwohner, wenn sie die Diebe stellen. Ein Polizist zeigt uns auf seinem Handy Fotos von Menschen, blutend, zusammengeschlagen.

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Abends rät uns unsere Dolmetscherin: Lass uns gehen. Es gebe viele Menschen mit Waffen. Wir selbst empfinden die Stimmung in Antakya an dem Abend nicht als aggressiv, sehen selbst keine Gewalt, nicht einmal einen Streit. Stattdessen erleben wir viel Hilfsbereitschaft, viel Offenheit, auch gegenüber Journalisten.

Aber Meldungen über deutsche Hilfsorganisationen, die nach Tumulten ihre Hilfe unterbrechen und sich in ihr Camp zurückziehen, lassen uns aufhorchen.

Auf dem Rückweg, es ist schon Nacht, sehen wir immer mehr Militär in der Stadt. Tagelang waren kaum Soldaten zu sehen, aber nun scheint die Armee zu mobilisieren. Vor allem auch, weil die Sicherheitslage angespannt ist. Weil sich Chaos mit Wut mischt. Auch über das Krisenmanagement der Regierung.

Eine halbe Stunde nachdem uns die Ordnungskräfte mit einer Knarre in der Hand und Wut im Gesicht aus dem Wagen holen, fährt die Polizei vor. Drei Männer steigen aus, sprechen mit den anderen, zeigen in unsere Richtung.

Sie sind freundlicher, aber bestimmt. Sie wollen unsere Fotos auf unseren Handys kontrollieren. Auch die Chipkarte aus der Kamera. Wir bleiben ruhig, Kooperation ist unsere Strategie. Und die Gedanken kreisen zwischen „Wird schon“ und „Keine Lust auf Gewahrsam in der Wache“. Wir wissen, dass die türkischen Behörden in der Vergangenheit repressiv gegen freie und kritische Journalisten vorgehen. Auch staatliche Willkür trifft Reporter.

Wir aber dürfen gehen. Keine verdächtigen Fotos, und auch die Akkreditierung ist in Ordnung. Es war am Ende wohl ein gemeiner Zufall, dass sie unser Auto verwechselt hatten. Uns für Leute hielten, die illegal Filmaufnahmen machen. Für uns aber war der Vorfall auch ein Signal: Die Stimmung ist angespannt.

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