Berlin. Riccardo Simonetti hat ein Kinderbuch geschrieben. Eine Junge geht darin im pinken Tutu zur Schule. Es ist ein Plädoyer für Akzeptanz.

Der Berliner Riccardo Simonetti ist mit einer positiven Lebenseinstellung zu einem der beliebtesten deutschen Influencer geworden – und will seine Prominenz dafür nutzen, die Gesellschaft toleranter zu machen. Nun erscheint sein erstes Kinderbuch: „Raffi und sein pinkes Tutu“.

Sein Ansatz: Je früher Kinder lernen, dass Menschen ganz unterschiedlich sind, und dass auch Jungen mit vermeintlichen Mädchensachen spielen können, desto größer die Akzeptanz für Minderheiten und Randgruppen. Und die ist wichtig. Denn er glaubt: Auch heute werden zum Beispiel Schwule nur akzeptiert, wenn sie sich bloß nicht zu auffällig verhalten.

Zuletzt hatte er sich auch empört zu Barbara Schöneberger geäußert, die sich gegen Männer aussprach, die sich schminken. Darüber will Simonetti gar nicht mehr reden, keine künstliche Fehde erzeugen. Sondern lieber dafür werben, dass jeder so sein darf, wie er will.

Simonetti: „Zeigen, dass es okay ist, wenn das eigene Kind anders ist“

Sie haben keine Kinder, warum schreiben Sie ein Kinderbuch?

Riccardo Simonetti: Ich engagiere mich seit Jahren sehr gegen Mobbing. Dabei fiel mir auf, dass viele Formen des Mobbings auf Unwissenheit und Unsicherheit beruhen. Mein Schluss daraus war: Man sollte, so früh es geht, über bestimmte Dinge sprechen – vor allem darüber, dass nicht alle Menschen gleich sind, das aber kein Grund für Mobbing sein kann. Es soll aber auch den Eltern zeigen, dass es okay ist, wenn das eigene Kind anders ist.

Sie sind schwul – auch im Buch tauchen neben Raffi, dem Jungen im Tutu, schwule Charaktere auf. Warum war Ihnen das wichtig?

Simonetti: Weil so viele Menschen das Wort „schwul“ noch abwertend verwenden. Auch auf Schulhöfen heißt es „der Song ist aber schwul, dein Shirt ist schwul, dies, das, jenes ist schwul“. Wenn man Kindern früh erklärt, dass es erstens nichts Schlechtes ist, schwul zu sein, und zweites ohnehin etwas ganz Normales, dann nimmt es dem Wort als Beleidigung die Kraft. Das Buch soll auch in der Hinsicht ein Beitrag für Toleranz sein.

Wie haben Sie Ihre Themen ausgewählt?

Simonetti: Ich habe mir Gedanken gemacht, welche Welt ich zeigen will. Um möglichst viele Menschen anzusprechen. Das heißt, ich habe mir authentische Einblicke in das Leben in Kindergärten geholt. Und wollte zeigen, dass es diverse Welten sind. Ich wollte, dass Kinder mit verschiedenen Hautfarben und Körperformen vorkommen.

Und zum Beispiel auch Mädchen mit Kopftuch. Da habe ich gelernt: Das wäre unauthentisch, da sie in der Regel erst später von älteren Mädchen getragen werden. Also keine Kopftücher. Toll war, dass mein Verlag mir absolut freie Hand ließ. Ich habe Geschichte, Texte, erste Skizzen gemacht. Bis so schlussendlich „Raffi und sein pinkes Tutu“ entstanden ist.

„Ich musste ständig heterosexuelle Paare beim Geschlechtsverkehr sehen“

Manche Menschen nervt die politische Korrektheit – jede Gruppe soll sich überall repräsentiert fühlen. Können Sie das nachvollziehen?

Riccardo Simonettis Buch „Raffi und sein pinkes Tutu“.
Riccardo Simonettis Buch „Raffi und sein pinkes Tutu“. © Community Editions | Community Editions

Simonetti: Menschen, die solche Dinge sagen, sind Menschen ohne Diskriminierungserfahrung. Es muss nicht immer alles absolut korrekt sein. Zumal sich heutzutage ja wirklich immer viel ändert und immer neue Fragen aufkommen, was überhaupt korrekt ist.

Richtig ist aber auch: Jeder lebt in seiner Blase.

Ich lebe in einer sehr queeren Blase. Viele andere in einer sehr heterosexuellen, sehr weißen, sehr homogenen. Da fällt einem nicht auf, wie es ist, wenn man anders ist – wenn man schon als Kind ohne Identifikationsfiguren aufwächst.

Wie haben Sie das in Ihrer Kindheit erlebt?

Simonetti: Ich komme aus einem kleinen Ort. Da gab es keine Schwulen, zumindest nicht bekannt. Wenn ich mit meinen Eltern Fernsehen sah, sah ich da meist keine Schwulen. Dafür wurde ich mit Popsongs überhäuft, in denen es um Mann und Frau geht. Ich musste ständig heterosexuelle Paare beim Geschlechtsverkehr im Fernsehen sehen. Beim Sexualunterricht in der Schule ging es nur um Heterosexuelle. Viele Gruppen werden – oder wurden, es ändert sich ja ganz langsam – in den Medien kaum repräsentiert.

Simonetti: „Niemand bricht sich einen Zacken aus der Krone“

Und wenn stereotyp – hat der Schwule entweder Aids oder ist die schrille Tunte.

Simonetti: Genau. Und nun beschweren sich Menschen, dass sich andere Menschen darüber Gedanken machen, dass auch Menschen wie ich endlich vernünftige Identifikationsfiguren finden. Oder die mit anderen Körperformen oder äußerlichen Merkmalen. Figuren, die sie in ihrem Tun bestärken. Und da frage ich mich, warum das so ist. Niemand bricht sich einen Zacken aus der Krone, wenn etwas Platz für alle anderen geschaffen wird.

Die Reaktionen auf Veränderungen sind teils heftig, oder?

Simonetti: Sie sind teilweise unglaublich. Ich war in New York bei der Premiere des „Harry Potter“-Musicals. Und da ist Hermine schwarz. Es ist absurd, welche Anfeindungen es gab, gegen die Macher, die Schauspielerin, alle Beteiligten. Denn im Film spielte ja Emma Watson, eine Weiße, die Rolle.

Die Schauspielerin selbst sagte, in ihrem Kopf war Hermine schwarz, als sie das Buch gelesen hat. Es wird ja auch nie irgendwo beschrieben, welche Hautfarbe sie hat. Die weißen Zuschauer sind mehrheitlich davon ausgegangen, dass sie dann eben auch weiß sein muss, wie sie selbst es sind. Das ist arrogant.

Einen ähnlichen Aufschrei gab es, als Disney verkündete, in der Real-Verfilmung sei Arielle schwarz.

Simonetti: Ja, das ist das gleiche Problem. Aber man möge sich doch einfach mal in ein asiatisches oder schwarzes Mädchen hineinversetzen. Die hatten in den Massenmedien seit Ewigkeiten kaum ein Vorbild, keine Heldin, kein Idol, das aussah wie sie. Das ist deprimierend und gerade für Kinder schwer. Die deutsche „Vogue“ postete neulich auch ein Bild zweier sich küssender Disney-Prinzessinnen.

Da war die vermeintlich so offene Gesellschaft schnell auf dem Baum: Die Leute beschwerten sich, dass ihre Kindheitserinnerungen zerstört würden. Dabei sehen sie nicht, dass sie froh sein können, diese überhaupt zu haben. Das ist alles noch eine große Baustelle.

Schwule nur akzeptiert, „solange sie sich dem Mainstream anpassen“

Deutschland ist also noch weit weg von Akzeptanz?

Simonetti: Ich kann hier vor allem für Schwule sprechen: Die werden in Deutschland soweit akzeptiert, solange sie sich dem Mainstream anpassen. Und sich nicht „aufführen“, oder die Menschen aus ihrer Komfortzone holen. Klar, es gibt einige, die nie Probleme haben. Aber ich weiß, dass ein queerer Lifestyle auch von jenen oft diskriminiert wird, die „ja nichts gegen die Schwulen haben“.

Auch deswegen mein Buch – ich will alles ein bisschen normaler machen, was die Abweichung von einer Norm ist, die nach wie vor kaum Raum zur persönlichen Entfaltung lässt. Das passiert nämlich, wenn Raffi sein Tutu trägt.

Sie haben neulich in einem Kindergarten aus dem Buch vorgelesen – in einem Tutu. Wie war das?

Simonetti: Ich war unglaublich aufgeregt. Kinder sind ja doch sehr, sehr ehrlich. Und die fanden den Mann im Tutu sicher auch erstmal irritierend. Aber sie haben nicht mit Bauklötzen nach mir geworfen, sondern das ganz schnell einfach für sich abgehakt und gebannt zugehört. Jetzt wissen sie: Auch ein Mann im Tutu kann nett und cool sein.

Aber ich weiß, dass die Kritik kommen wird, dass ich Kinder verwirre mit sowas, oder ihnen einen Lifestyle aufzwinge. Es gab aber in Summe vor allem tolles Feedback. Letztlich geht es doch genau darum: Verwirrung in Wissen ummünzen – dass Menschen ganz verschieden sind. Und man sie genau so einfach akzeptieren kann. Tutu oder nicht.