Berlin. Vintage ist in, Ebay Kleinanzeigen hoch im Kurs. Für mich ist es Shoppen wie „Hans im Glück“. Am Ende bleibt nur das gute Gefühl.

Neuerdings finden sich seltsame Kleidungsstücke in unserer Familienwäsche. Ein grauverwaschener Hoodie etwa in XXL. „Sieht aus, als käme das Ding direkt aus dem Altkleidersack“, sage ich und reibe an dem eurostück-großen Fleck in anthrazit. „Nicht reiben“, ruft die Teenie-Tochter, „ich habe Fleckensalz gekauft“. Sie reißt mir das Altkleider-Ungetüm aus der Hand und kippt weißes Pulver drauf.

Der Hoodie, erklärt sie, stamme aus dem Laden Picknweight, wo, wie der Name schon sagt, abgetragene Kleidung an der Kasse abgewogen und der Preis nach Gewicht definiert wird. Den Laden gibt es nur in Metropolen wie London, Berlin, Hamburg, Köln und München; ist also mega-cool.

Mit viel Glück lassen sich Shirts mit dem Polospieler-Label für ein paar Euro ergattern. Oder diese gewachsten Jacken, die bei Jura-Studenten so beliebt sind.

„Picknweight“ verkauft Klamotten per Kilo, nicht per Stück

„Den willst du doch nicht anziehen“, frage ich entgeistert unser Teenie-Kind. Viel zu groß, viel zu alt, dann noch der Fleck, der niemals rausgeht. Sie will und presst den Hoodie, der so schwer ist, dass er ihre Schultern beim Tragen nach unten zieht, unter ihre aufgepuffte Steppweste. Als Accessoire klemmt sie sich für das Party-Wochenende ein Fake-Kroko-Täschchen unter den Arm und schnürt dazu derbe Stiefel.

Seltsamer Look. Ich überlege, ob ich das kommentieren soll und erinnere mich an Omas und Tanten, die meine geliebten Ohrgehänge als „Christbaumschmuck“ abkanzelten und an eine Karottenjeans, die ich mir wünschte, aber nie bekam, weil sie als nicht tragbar befunden wurde.

Ich sollte also schweigen, um die empfindliche Seele zu schützen, die in dem ausgewachsenen Körper noch suchend nach Haltung, Stil und Meinung umherschwirrt. Dann sage ich es doch: „Der Hoodie ist grässlich. Wenn du den in den Altkleidercontainer zurückwirfst, wo er mutmaßlich herkommt, dann wird er gleich zu Putzlappen verarbeitet“.

Kolumnistin Birgitta Stauber erinnert sich noch gut an eigene modische Jugendsünden.
Kolumnistin Birgitta Stauber erinnert sich noch gut an eigene modische Jugendsünden. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Ist etwa wieder Partykeller-Zeit? Mit Bier, Nackenmatte und Mettbrötchen?

Das war natürlich keine erzieherische Glanzleistung. Die zerbrechliche Teenie-Seele ist beleidigt, die Studentenkinder schimpfen mit mir. „Die Riesenpullis mit Handtäschchen sind in“, klärt mich die große Tochter auf.

„Alles muss Vintage sein“, sagt der Sohn, der seinen Hausstand bei ebay Kleinanzeigen zusammengekauft hat. Einen Ikea-Schreibtischstuhl aus den 80ern zum Beispiel. Oder den Hocker aus verrostetem Draht, der als Nachtkästchen dient. Und eine Schreibtischlampe, original 60er, weiß mit Schwenkarm.

Neuerdings teilt er sich mit dem Teenie-Kind einen Strickpulli, rostrot-braun-ockergelb gemustert, V-Ausschnitt, weiter Schnitt, enger Bund. Mich schüttelt es als würde Styropor auf meiner Haut zerrieben und ich erinnere mich plötzlich an eine Geburtstagsfeier in einem elterlichen Partykeller mit Bar aus echter Eiche, hinter der ein strumpfsockiger Gastgeber mit Strickpulli, Nackenmatte und Schnauz Bier zapft, während seine Mutter für die Jugendlichen Mettbrötchen und mayonnaise-getränkten Kartoffelsalat hereinschleppt.

Secondhand: Kleiderkreisel saugt die Brandy-Klamotten auf

Beim zufälligen Blick ins Teenie-Zimmer fällt mir schließlich eine riesige KaDeWe-Tüte aus Kartonage auf, die bis oben mit Kleidungsstücken gefüllt ist. „Das verkaufe ich alles“, erklärt die Tochter. Kleiderkreisel, heißt das Stichwort, eine Online-Vintage-Börse, die Social Media und Kummerkasten vereint. Der Inhalt der Tüte: Die Highlights vom letzten Geburtstag, als noch nicht Vintage, sondern das Mädchen-Label Brandy Melville hoch im Kurs stand.

Ausgemustert, hochgeladen, weiterverkauft: So funktioniert Kleiderkreisel.
Ausgemustert, hochgeladen, weiterverkauft: So funktioniert Kleiderkreisel. © iStock | istock

Irgendwie habe ich das Gefühl, das läuft hier wie bei Hans im Glück: Das Beste wird so lange getauscht, bis aus Markenklamotten Lumpen werden, die sich schließlich in Luft auflösen.

Was ist das bloß für ein Lebensgefühl?

„Das ist nachhaltig“, rufen die Kinder und sprechen von gruseligen Lieferketten, den menschenverachtenden, wasserzehrenden und -verschmutzenden Produktionsprozess von Jeanshosen, von Kinderarbeit und Ausbeutung.

Batikwindeln gegen Waldsterben und Ozonloch

Es ist jugendlich, sage ich nun. Ich hatte auch mal so eine Phase irgendwann nach den Christbaum-Ohrringen und Karottenjeans, zwischen Abi und Studium. Damals, als Vintage noch Second Hand hieß, trug ich eine speckige Wildlederjacke mit aufplatzenden Nähten und batikte mir Halstücher aus Stoffwindeln.

Es gab zwar noch keinen Klimawandel, aber Waldsterben und Ozonloch. Ich hatte den Nato-Doppelbeschluss hinter mir und den Kalten Krieg und wollte eine friedliche und umweltfreundliche Zukunft.

Der Vintage-Trend ist jedenfalls besser als das Lebensgefühl aus vor-Corona-Zeiten, als die Shirts in Einheitsgröße gekauft werden mussten, die jedem Teenager mit Speckrolle das Gefühl geben, in eine Art Wursthülle gepresst zu werden. Ok, Kind, ich ziehe mein Fazit: Dann zieh’ doch den Hoodie an!

Kleiner Epilog: Neulich, an Halloween, verwandelte sich unser Teenager in eine elfengleiche Abendschönheit mit Hexenhut: Das kleine kleine Schwarze musste als Grusel-Kostüm herhalten. Habe ich auch nicht verstanden. Ganz ehrlich: Der Hoodie hätte es auch getan.

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