Berlin. Touristenmagnet Teneriffa leidet unter Massenandrang und Bauwut. Hotels bedrohen das letzte Fischerdorf im Süden. Widerstand regt sich.

Die Kanarischen Inseln zählen dank ihres subtropischen Klimas, spektakulärer Vulkane und der vielfältigen Natur zu den beliebtesten Reisezielen Europas. Die Wirtschaft der spanischen Inselgruppe vor der Westküste Afrikas beruht zum Großteil auf Tourismus. Die Branche ist reich, mächtig und international – und schert sich kaum um das Kultur- und Naturerbe. Doch gegen das Ende des "letzten Fischerdorf" regt sich nun ernsthafter Widerstand.

Teneriffa : Luxus-Resort schluckt "letztes Fischerdorf"

El Puertito de Adeje liegt an der malerischen Südküste der kanarischen Hauptinsel Teneriffa, eingekeilt zwischen zwei der bestbesuchten Bade-Hotspots der Insel. Dem winzigen Fischerdorf "ist es gelungen, sich seine Ursprünglichkeit und seinen kanarischen Charme zu bewahren", wie die Reise-Website "teneriffa.de" schreibt. Nun wollen belgische Investoren das uralte Fischerdorf für 350 Millionen Euro in ein Luxus-Resort verwandeln. "Cuna del Alma" soll das 420 Apartments umfassende Resort heißen - "Wiege der Seele".

Inmitten eines Naturschutzgebiets gelegen, pflegen die Bewohner von Puertito einen traditionellen Lebensstil, der sich auf das stützt, was der Atlantik zum Übeleben bietet: Fisch und Meeresfrüchte. Rund zehn Kilometer entfernt bietet die Touristenhochburg Playa de las Americas einen möglichen Ausblick in die Zukunft: Dicht an dicht gedrängte Hotelkomplexe, importierte Palmen und hunderte motorisierte Boote.
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350 Millionen Euro für Ferienkomplex – Jeder Dritte Kanare lebt in Armut

Dafür, dass der spanische Staat in den 1960er-Jahren begann den Archipel zum Urlaubs-Hotspot auszubauen, zahlen die Kanaren heute einen hohen Preis. Während die traditionelle Lebensweise leidet, lebt der Massentourismus nach Corona wieder auf. 90 Flugzeuge landen durchschnittlich pro Tag auf der Insel. Mehr als 15 Millionen Urlauber verzeichneten die Kanaren vor der Pandemie jährlich – bei einer Bevölkerung von 2,2 Millionen.

Die Inseln hängen am Tropf der Tourismusindustrie. Dabei bietet das Monopol den Einheimischen angesichts von etwa 19 Prozent Arbeitslosigkeit kaum genug zum Leben. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Immer mehr Flächen werden versiegelt, einheimische Kiefern und Drachenbäume weichen eingeschleppten Palmen. Zudem leidet Teneriffa unter Wassermangel infolge von Dürren. Infolgedessen war es in diesem Sommer zu verheerenden Waldbränden gekommen.

Jetskis und Motorboote bedrohen den Lebensraum von Walen und Delfinen

Meeresbiologe Pablo Martín entwirft im Gespräch mit "Deutschlandfunkkultur" ein finsteres Zukunftsszenario: "Ich möchte mir gar nicht vorstellen wie diese Inseln in 20 Jahren aussehen werden, wenn sie bis in den letzten Winkel zugebaut sind, wenn sie alle Kiefern und Drachenbäume durch tropische Palmen ersetzt haben, wenn alle Strände künstlich angelegt und mit Sonnenliegen übersät sind." Er hat sich dem Protestzug angeschlossen, der mit 8.000 Teilnehmern im Juni in der Inselhauptstadt Santa Cruz de Tenerife demonstrierte.

Der 26-jährige Kanare sorgt sich um die seltene Fauna der Insel. Spezielle Strömungsdynamiken machen die Gewässer vor Teneriffa jährlich zum Ort für Paarungen von Grindwalen und Delfinen. Die vielen Wal-Spotter, Jetskis und privaten Motorboote gefährden die natürliche Lebensräume der Tiere. Darum wirbt Martín auch bei der eigene Bevölkerung um mehr Verständnis: "Die Inseln sind einzigartig und gehören nicht uns, sondern wir gehören ihnen, also müssen wir sie erhalten und schützen.“
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Ironie des Schicksals: Helfen verdrängte Ureinwohner der heutigen Bevölkerung?

Sorge gibt es auch um die pechschwarzen Strände aus Lavasand. Auf der Homepage von "Cuna del Alma" wirbt das Projekt nicht nur mit geplanten Privatkinos, Pools und Restaurants, sondern auch mit goldenen Sandstränden. Eine Protestgruppe geißelte gegenüber der "Canarian Weekly" die Umweltgutachten der Inselverwaltung, die den Bau der Luxusanlage befürworten als "technisch und professionell" nicht stringent, da "jeder Einfluss auf das angrenzende Marinebiotop bestritten wird."

Hoffnung machen den Demonstranten derzeit keine Naturschutzgesetze, sondern das Erbe von Ureinwohnern des "kleinen Hafens", wie Puertito übersetzt heißt. Kurz nach Baubeginn im Mai 2022 entdeckte ein Spaziergänger Überreste einer altertümlichen Siedlung. Bisher wurden Keramiken, Handwerkzeuge und Schmuckgravuren zutage gefördert. Die Regionalregierung erließ für den betroffenen Küstenstreifen vorerst ein Bauverbot. Die Wendung entbehrt nicht ein gewissen Ironie. So helfen womöglich die Hinterlassenschaft der einst von Spaniern verdrängten Ureinwohner den Zuzug weiterer Auswärtiger zu verhindern.

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