Washington. Gut zehn Minuten sollen Polizisten Irvo Otieno am Boden gehalten haben – dann erstickte der Afroamerikaner. Der Fall schlägt Wellen.

Wieder werden die USA von einem extremen Fall von Polizeigewalt erschüttert. Knapp elf Minuten lang sollen Polizisten und Krankenhausmitarbeiter einen Schwarzen im US-Bundesstaat Virginia auf dem Boden fixiert haben. Dabei erstickte der 28-Jährige Irvo Otieno. Der Vorfall geschah bereits vor eineinhalb Wochen. Die Familie des Opfers durfte sich nun ein Video des Vorfalls anschauen – und erhebt schwere Vorwürfe.

"Mein Sohn wurde wie ein Hund behandelt, schlimmer als ein Hund", wird die Mutter des Getöteten, Caroline Ouko, von US-Medien zitiert. "Mein Sohn wurde gefoltert", sagte sie, nachdem sie sich das Überwachungsvideo zusammen mit anderen Familienmitgliedern angeschaut hatte. Laut der Mutter des Getöteten strebte Otieno eine Hip-Hop-Karriere an. Gleichzeitig litt er an einer psychischen Erkrankung.

Das erkennbar dramatische Fehlverhalten der Staatsgewalt sorgt nun landesweit für Entsetzen. Ann Cabell Baskervill, Chef-Anklägerin in Dinwiddie County in Virginia, hat in der Folge sieben Polizisten und drei Krankenpfleger wegen Totschlags angeklagt.

Die Mutter des Getöteten Irvo Otieno hält ein Porträt ihres Sohnes. Otieno erstickte unter dem Griff von sieben Polizisten.
Die Mutter des Getöteten Irvo Otieno hält ein Porträt ihres Sohnes. Otieno erstickte unter dem Griff von sieben Polizisten. © Daniel Sangjib Min/Richmond Times-Dispatch/AP/dpa

Otieno starb demnach am 6. März in einer psychiatrischen Klinik südlich von Richmond. Er befand sich wegen eines mutmaßlichen Einbruchs seit 3. März in Polizeigewahrsam und wurde wegen einer psychischen Erkrankung in die Klinik überwiesen. Beim Aufnahmeprozess sei er angeblich "kämpferisch" geworden, wie die Staatsanwältin schilderte.

USA: Afroamerikaner elf Minuten lang auf den Boden gepresst

Der Afroamerikaner soll nach Angaben des Anwalts der Familie von seinen Peinigern, obwohl bereits mit Handschellen und Fußfesseln bewegungsunfähig gemacht, auf grausame Weise binnen knapp elf Minuten auf den Boden gepresst worden sein. „Sie haben ihn erstickt”, sagt die Juristin Baskervill. Lesen Sie auch: Warum Kritiker Ron DeSantis gefährlicher finden als Trump


Außer Polizei und Justiz haben bisher nur Otienos Mutter Caroline Ouko und der in solchen Fällen regelmäßig engagierte Strafverteidiger Benjamin Crump die Video-Aufnahmen von dem Vorfall gesehen. Das Video zeige, wie unmenschlich Strafverfolgungsbehörden Menschen behandeln, die eine psychische Krise haben, kommentierte Crump laut CNN. Für die Polizei seien das Kriminelle, statt Menschen, die Hilfe brauchen. Crump hatte bereits die Familie des durch Polizeigewalt getöteten Afroamerikaners George Floyd vertreten und sieht in der Tötung Otienos Parallelen.

Ein Plakat mit einem Bild von George Floyd hängt an dem Zaun vor einem Regierungsgebäude von Hennepin County.
Ein Plakat mit einem Bild von George Floyd hängt an dem Zaun vor einem Regierungsgebäude von Hennepin County. © dpa

Floyd war vor drei Jahren in Minneapolis vor laufender Handy-Kamera von einem Polizisten, der sein Knie auf den Hals des Schwarzen drückte, getötet worden. Obwohl Floyd um Nachsicht flehte und zig Mal rief: „Ich kann nicht atmen.” Danach setzte teils gewalttätiger Protest der Bewegung „Black Lives Matter” ein. Und eine breite Debatte darüber, was in den 18.000 Polizei-Direktionen in den Vereinigten Staaten schiefläuft. Gerade im Umgang mit gesellschaftlichen Minderheiten, die überproportional oft Opfer von unverhältnismäßiger oder sogar tödlicher Gewalt durch Ordnungshüter werden. US-Kommentatoren sagen, der gewaltsame Tod Otienos sei gerade vor dem Hintergrund des Falls von George Floyd ein Anlass, „an der Reformfähigkeit der US-Polizei zu zweifeln”.

USA: Schreckliche Aufnahmen – Ermittler zögern mit Herausgabe des Videos


Das Otieno-Video ist nach Angaben von Insidern so schrecklich, dass die Behörden bisher die Freigabe hinauszögern. Wie bei Floyd sollen die Polizisten dem Mann das Knie auf den Hals gedrückt haben; eine Technik, die seit dem Tod George Floyds vielerorts zur Ruhigstellung von Gefangenen verboten ist.

Der Anwalt Mark Krudy, der ebenfalls die Mutter des Opfers vertritt, sagte einer Lokalzeitung, dass die sieben Cops nach dem Aussetzen der Atmung bei Irvo Otieno keinerlei Hilfe geleistet hätten – auch das kein Einzelfall bei solchen Vorgängen. Die Polizisten hätten tatenlos um ihr Opfer herumgestanden, Hände in den Taschen.

Alle zehn Angeklagten müssen sich Anfang nächster Woche einer Geschworenen-Jury stellen. Wann der Prozess beginnt, ist noch nicht klar. Mehrere US-Medien verlangen die Herausgabe des Videos. Zwei Anwälte der Polizisten erklärten, die schweren Anschuldigungen von Staatsanwältin Baskervill kämen zu früh. Ihre Mandanten hätten nach Stand der Dinge ihren Job getan. Der Tod Otienos sei tragisch. (mit Material von dpa)