Berlin. In den USA wurden Zwillinge aus 30 Jahre alten Embryonen geboren. Ein Rekord. Wie das möglich ist und warum die Eltern den Weg wählten.

Voller Glück strahlen die Eltern über ihre Zwillinge Lydia und Timothy. Sie wurden am 31. Oktober geboren und sind jetzt schon weltberühmt: Denn die Babys stammten laut dem National Embryo Donation Center aus den möglicherweise am längsten eingefrorenen Embryonen, die jemals zu einer Lebendgeburt geführt haben. Vor 30 Jahren – im Jahr 1992 – wurden die Embryonen eingefroren.

„Das hat etwas Verwirrendes“, sagt der Vater Philip Ridgeway (35) laut CNN, als er und seine Frau Rachel ihre Neugeborenen in ihrem Haus bei Portland, Oregon auf dem Schoß wiegten. „Ich war fünf Jahre alt, als Gott Lydia und Timothy das Leben schenkte, und er hat dieses Leben seitdem bewahrt.“ Der künstliche Weg der Fortpflanzung habe ihnen ihren Traum erfüllt.

„In gewisser Weise sind sie unsere ältesten Kinder, obwohl sie unsere kleinsten Kinder sind“, fügte Ridgeway hinzu. Die Ridgeways haben vier weitere Kinder im Alter von 8, 6, 3 und fast 2 Jahren, von denen keines durch In-Vitro-Fertisilation (IVF) oder Spender gezeugt wurde.

Philip und Rachel Ridgeway mit ihren Zwillingen Lydia Ann und Timothy Ronald, die aus 30 Jahre alten Embryonen geboren wurden.
Philip und Rachel Ridgeway mit ihren Zwillingen Lydia Ann und Timothy Ronald, die aus 30 Jahre alten Embryonen geboren wurden. © National Embryo Donation Center

USA: 30 Jahre alte Embryonen – Eltern beziehen sich auf Gott

Warum die Familie noch mehr Kinder wollte, erklärt der Vater so: „Wir hatten nie eine bestimmte Anzahl von Kindern im Sinn, die wir gerne hätten“, sagte Philip. „Wir haben immer gedacht, dass wir so viele haben werden, wie Gott uns geben möchte, und … als wir von der Embryonenadoption hörten, dachten wir, dass wir das gerne tun würden.“

Der medizinische Name für den Prozess, den die Ridgeways durchliefen, ist Embryonenspende. Wenn sich Menschen einer IVF unterziehen, können sie mehr Embryonen produzieren, als sie verwenden. Zusätzliche Embryonen können für die zukünftige Verwendung konserviert, für Forschung oder Ausbildung gespendet werden, um die Wissenschaft der Reproduktionsmedizin voranzubringen, oder an Menschen gegeben werden, die Kinder haben möchten. Lesen Sie auch: Kliniksuche für Schwangere: Wo werdende Eltern Hilfe finden

Zwillinge waren eine Embryonen-Spende

Die Embryonen, die am 22. April 1992 eingefroren wurden, waren für ein anonymes Ehepaar erzeugt worden. Der Ehemann war Anfang 50, und sie verwendeten eine 34-jährige Eizellspenderin. Fast drei Jahrzehnte lang lagerten sie auf winzigen Strohhalmen, die bei fast 200 Grad unter Null in flüssigem Stickstoff gehalten wurden, in einem Gerät, das einem Propangastank ähnelt.

Die Embryonen wurden bis 2007 in einem Fruchtbarkeitslabor an der Westküste aufbewahrt, als das Paar, das sie geschaffen hatte, die Embryonen an das National Embryo Donation Center in Knoxville, Tennessee, spendete, in der Hoffnung, dass ein anderes Paar sie verwenden könnte.

Philip und Rachel Ridgeway und ihre sechs Kinder.
Philip und Rachel Ridgeway und ihre sechs Kinder. © National Embryo Donation Center

Experten streiten über Embryonen-Spende oder Embryo-Adoption

Viele nennen den Spenderprozess umgangssprachlich „Embryo-Adoption“, aber Adoption und Spende sind nicht ein und dasselbe, sagte Dr. Sigal Klipstein, ein in Chicago ansässiger Fruchtbarkeitsspezialist und Vorsitzender der Ethikkommission der American Society of Reproductive Medicine gegenüber CNN.

Die bisher bekannte Rekordhalterin war Molly Gibson, die 2020 aus einem Embryo geboren wurde, der fast 27 Jahre lang eingefroren war. Molly übernahm die Auszeichnung von ihrer Schwester Emma, ​​die aus einem Embryo geboren wurde, der 24 Jahre lang eingefroren war.

Für die Ridgeways war der Aufbau ihrer Familie immer Teil einer größeren Berufung.„Wir wollten nicht die Embryonen bekommen, die weltweit am längsten eingefroren wurden“, sagte Philip Ridgeway. „Wir wollten nur die, die am längsten gewartet haben.“

Zwillinge in USA geboren: Embryonen fanden keine Empfänger

Bei der Suche nach Spendern fragten die Ridgeways das Spendezentrum ausdrücklich nach einer Kategorie namens „besondere Berücksichtigung“, was bedeutet, dass es aus irgendeinem Grund schwierig war, Empfänger für diese Embryonen zu finden. „Als wir darauf eingingen, wussten wir, dass wir darauf vertrauen konnten, dass Gott alles tat, was er souverän geplant hatte, und dass ihr Alter wirklich keine Rolle spielte. Es war nur eine Frage, ob das in Gottes Plänen war oder nicht“, sagte Rachel Ridgeway.

Um ihre Embryonen auszuwählen, durchsuchten sie eine Spenderdatenbank. Diese listete nicht auf, wie lange Embryonen eingefroren wurden, aber die Merkmale der Spender, wie ethnische Zugehörigkeit, Alter, Größe, Gewicht, genetische und gesundheitliche Vorgeschichte, Bildung, Beruf, Lieblingsfilme und -musik. Bei manchen Dateien gibt es sogar Fotos der Eltern und ihrer Kinder, falls vorhanden.

Die Zwillinge Zwillingen Lydia Ann und Timothy Ronald.
Die Zwillinge Zwillingen Lydia Ann und Timothy Ronald. © National Embryo Donation Center

Mutter Rachel erinnert sich mit Tränen in den Augen

Rachel erinnert sich, dass ihr Arzt ihr ein Bild der drei Embryonen gab und ihr empfahl, nur zwei zu übertragen, und ihr sagte: „Mehrlinge können Probleme in der Schwangerschaft verursachen.“ Aber sie sagte, es sei für sie keine Frage, dass sie alle drei transferieren würden.

Sie erinnert sich, dass sie Tränen in den Augen bekam und sagte: „Du hast mir gerade ein Bild von meinen drei Kindern gezeigt. Ich muss sie alle haben.“ Die verbleibenden drei Embryonen wurden am 2. März, 29 Jahre und 10 Monate nachdem sie eingefroren waren, in Rachel transferiert. Zwei der Übertragungen waren erfolgreich. Studien haben ergeben, dass 25 bis 40 Prozent der Transfers von eingefrorenen Embryonen zu einer Lebendgeburt führen.

Forscher: Embryonen können unbegrenzt eingefroren werden

Embryonen können ziemlich unbegrenzt gelagert werden, sagen Experten. Wenn sie bei fast 200 Grad unter Null eingefroren sind, spiele es keine Rolle, ob sie eine Woche, einen Monat oder Jahrzehnte eingefroren sind. Lesen Sie auch: Schwanger mit 58: So erlebt diese Frau ihr Mutterglück

Die Ridgeways haben von Anfang an ihre Familie mit in den Prozess integriert:. „Unsere Kinder waren begeistert und glücklich mit uns bei jedem Schritt auf dem Weg. Sie lieben ihre Geschwister, spielen zusammen und freuten sich darauf, herauszufinden, ob Gott ihnen zwei Jungen, zwei Mädchen oder einen Bruder und eine Schwester geschenkt hat“, sagte Phillip Ridgeway.

Lydia wurde mit fünf Pfund geboren und Timothy wog sechs Pfund. „Sie waren ziemlich große Babys“, sagte Rachel Ridgeway. „Es ist wirklich Gottes Gnade, weil er uns einfach bei jedem Schritt des Weges unterstützt hat“, so die Mutter laut CNN.

Embryonenspende – die Rechtslage in Deutschland

„In Deutschland ist die Embryonenspende eine rechtliche Grauzone“, erklärt Dr. Dunja Baston-Büst, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (DGRM). Im sogenannten Embryonenschutzgesetz ist klar geregelt, dass kommerzielle und altruistische Spenden verboten sind.

Die Eizellenspende ist grundsätzlich verboten – nicht nur bei unbefruchteten Eizellen, sondern auch im sogenannten Vorkernstadium, wenn der Samen bereits eingedrungen ist, es aber noch nicht zu einer Zellteilung kam. Baston-Büst: „In diesem Stadium an Tag eins werden die befruchteten Eizellen in Deutschland bei der Kinderwunschbehandlung meist eingefroren. Weltweiter Standard ist das Einfrieren als Embryo an Tag fünf bis sieben.“

Das bedeutet: Die nichtkommerzielle Embryonenspende ist unter gewissen Voraussetzungen hierzulande zwar grundsätzlich möglich – aber Bedarf einer komplexen Planung. In diesem Fall bekommt eine Frau den bereits entwickelten gespendeten Embryo einer anderen Frau eingepflanzt, den ein Paar aus dessen eigener Kinderwunschbehandlung quasi übrig hatte. „Die Empfängerin darf dafür aber maximal 50 Jahre alt sein“, so Baston-Büst, die die Kryobank des Universitätsklinikums Düsseldorf stellvertretend leitet. „Und sie muss körperlich in der Lage sein, eine Schwangerschaft austragen zu können.“

Ein Kältetank mit gefrorenen Eizellen und Embryonen in einer Fruchtbarkeitsklinik.
Ein Kältetank mit gefrorenen Eizellen und Embryonen in einer Fruchtbarkeitsklinik. © Alamy Stock Photo

Embryonenspende ist in Deutschland wegen abschreckender Rechtslage selten

Das dies passiert, ist in Deutschland laut Baston-Büst auf Grund der abschreckenden Rechtslage selten. „Es gibt das Netzwerk Embryonenspende in Bayern, die tatsächlich gespendete Embryonen vermitteln“, sagt die Reproduktionsbiologin. Der Rest laufe auf Grund der Grauzone inoffiziell. Genaue Zahlen kenne man für Deutschland nicht.

Den Fall aus den USA sieht Baston-Büst daher als guten Anlass, dass Thema auch in Deutschland wieder aufzugreifen. Hier sieht sie dringenden Handlungsbedarf seitens der Politik. „In meinen Augen ist es wichtig, dass nicht nur die Embryonenspende, sondern auch die Eizellspende endlich offiziell erlaubt werden, so wie im Rest der Welt“, sagt Baston-Büst. Es brauche auch in Deutschland Geschlechtergerechtigkeit. Schließlich sei bei uns auch die Samenspende offiziell möglich.

„Das Embryonenschutzgesetz ist dreißig Jahre alt“, gibt Baston-Büst zu bedenken, „so alt wie Embryos, die jetzt als Babys in den USA zur Welt kamen.“ In dieser Zeit habe sich in der Reproduktionsmedizin und in der Gesellschaft viel getan. Eine Überarbeitung des Gesetzes hält sie daher für überfällig. „Im Moment sind deutsche Patientenfamilien im Fall der Fälle auf Reproduktionstourismus angewiesen und lassen sich im Ausland helfen“, so die Biologin. „Ein Tabu-Thema, dass Betroffene in einer ohnehin schweren Zeit unnötig zusätzlich belastet.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.