Pößneck. Einstige Kontrahenten wollen nach Diskussionsrunde in Pößneck schauen, wie der Ausbau erneuerbarer Energien vorankommen könnte.

Viele Ziele von Fridays for Future und der Grünen Jugend Thüringens würde er unterschreiben, sagte André Kerl (parteilos), Bürgermeister aus Kirschkau und Mitstreiter der Bürgerinitiave „Unser Wald bleibt stehen“ Löhma.

„,Jeder Mensch hat Anspruch auf eine grüne, ruhige Umgebung’: Nichts anderes fordern wir für Einwohner unserer Ortschaften. ,Den Raubbau an der Natur nicht länger akzeptieren, mehr Aufmerksamkeit für Bodenschutz’: Wir versuchen seit drei Jahren Windkraft und Bodenversiegelung im Wald zu verhindern. ,Artenschutz, um dem Insekten- und Bienensterben entgegen zu wirken’: Wir haben in unseren Reihen einen Imker. Seine Bienenkästen stehen bei mir auf dem Grundstück, er hat auch an der Schule in Tanna eine AG Imkerei ins Leben gerufen. ,Dezentrale Energieversorgung’: In unserem 211-Einwohner-Ort geht Anfang 2020 eine Photovoltaik-Anlage mit 2100 Modulen ans Netz, die pro Jahr mindestens eine Million Kilowattstunden Strom erzeugen wird“, so André Kerl. Er habe einen Anspruch: was vor Ort passiert, will er demokratisch mit seinen Leuten bestimmen und sich nicht aus Erfurt, erst recht nicht von einer 5,2-Prozent-Partei diktieren lassen.

Auch interessant

Der Kirschkauer bekam für seine Worte am Samstagabend großen Applaus auf der von rund 40 Gästen besuchten Podiumsdiskussion „Windstille in der Energiewende? Probleme und Lösungen im Saale-Orla-Kreis“ im Gymnasium „Am Weißen Turm“ in Pößneck. Nachdem Florian Demmler von Fridays for Future Jena später noch sagte, „wir sind für erneuerbare Energien; doch wenn man in dem Dorf keine Windkraft will, dann wäre ich mit dem Ausbau von Photovoltaik einverstanden“, stimmte die Chemie zwischen beiden. „André“ und „Florian“ duzten sich nicht nur. Das Ziel von Fridays for Future Pößneck, das auch Moderatorin Karoline Jobst (Grüne Jugend) anstrebte, war erreicht: Miteinander reden. Nicht nur das: Florian Demmler nahm André Kerls Einladung an, gemeinsam mit den Menschen vor Ort nach Lösungen zu suchen.

Dabei prallten lange Zeit die Argumente der beiden Lobbygruppen aufeinander. Frank Groß, Landesvorsitzender des Bundesverbandes Windenergie, beklagte einen massiven Einbruch, da in Thüringen in diesem Jahr nur neun neue Windräder gebaut und 25 genehmigt worden seien. Nach Worten Thomas Heßlands, dem Landesvorsitzenden des Verbandes Energiewende mit Vernunft, sei es weder gelungen, andere Länder vom deutschen Weg zu begeistern, noch die Energiewende sozial zu gestalten. Deutschland habe mit die höchsten Strompreise weltweit mit der Folge, dass es sechs Millionen Ankündigungen und 300.000 Stromabschaltungen im Jahr wegen unbezahlter Stromrechnungen gäbe.

„Das Argument ist an den Haaren herbeigezogen“, konterte der Pößnecker Energieberater Gerd-Rainer Habenicht. „Die meisten Stromsperren oder Androhungen gibt es, weil es die meisten Hartz-IV-Haushalte nicht gebacken kriegen, zum Amt zu gehen, damit dieses die Rechnungen übernimmt“, meldete sich der ehemalige Mitarbeiter der Stadtwerke Jena-Pößneck, Guido Stelzle, aus dem Publikum zu Wort. Nachdem der einst in der Energiebranche tätige Pensionär Wolfgang Kleindienst und Diplom-Physiker Dieter Böhme ihre Zweifel unter anderem zur Grundlastfähigkeit der Windenergie äußerten, meldete sich der ebenfalls im Publikum sitzende Pößnecker Unternehmer und Elektroautofahrer Mario Franke zu Wort: „Ich finde die Diskussion abartig, sie ist die gleiche wie zur Elektromobilität. Deutschland hat im Norden kontinuierlich Wind. Unsere Politiker haben es verpennt, Stromleitungen zur Industrie im Süden bauen zu lassen.“

Landrat Thomas Fügmann (CDU) erklärte, dass im Saale-Orla-Kreis gut 70 Prozent des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien hergestellt werde und sich Menschen immer wieder bei ihm beschweren, wenn wie bei Triptis noch mehr und dann gleich rund 240 Meter hohe Windräder entstehen sollen. Er und André Kerl dankten Fridays for Future und speziell Moderatorin Jobst, dass sie sich mit ihren Anliegen in die Politik einmischen. Grünen-Kreischef Steve Richter forderte Landrat Fügmann auf, baurechtlich die Möglichkeiten zu schaffen, damit vor allem in den Städten im Landkreis mehr Photovoltaikanlagen auf die Dächer gebaut werden könnten.