Berlin. Vor den Wahlen im Osten ähneln sich die Strategien von AfD und Linke auf gespenstische Weise. Beide kämpfen um Treuhand-Enttäuschte.

Thilo Sarrazin hat wie so oft eine klare Meinung. „Es ist ziemlich albern, jetzt, nahezu 30 Jahre später, zur Arbeit der Treuhandanstalt einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einrichten zu wollen“, sagte der ehemalige Finanzsenator von Berlin und umstrittene Bestsellerautor („Feindliche Übernahme“) unserer Redaktion.

„Wenn es dazu kommt und ich dort geladen werde, bin ich natürlich jederzeit bereit, dort zu erscheinen und Fragen – welcher Art auch immer – zu beantworten.“

Gut möglich, dass es so weit kommt. Sarrazin (SPD) steht auf der Wunschliste der Linken im Bundestag für einen Untersuchungsausschuss zur Treuhand. Zur Abwicklung der DDR-Staatswirtschaft befragt werden sollen unter anderem drei prominente Politiker, die nach der Wiedervereinigung im Finanzministerium federführend mit der Treuhand zu tun hatten: Altbundespräsident Horst Köhler, Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) – und eben Thilo Sarrazin, der zudem von 1997 bis 2000 die Treuhandliegenschaftsgesellschaft leitete. Waigel nannte einen Untersuchungsausschuss „Unfug“.

Die Linke hat im Osten viel zu verlieren

Viel Aufmerksamkeit für eine Behörde, die es seit 25 Jahren nicht mehr gibt. Neben der Linken hat auch die AfD Interesse bekundet, genauer untersuchen zu wollen, was die Anstalt zwischen 1990 und 1994 gemacht hat. Der Zeitpunkt der Forderung überrascht wenig: Im September und Oktober finden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen statt.

Die Linke, bis zum Erstarken der AfD in der Flüchtlingskrise hier Volkspartei, hat viel zu verlieren. In Thüringen sogar ihren ersten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Entsprechend nervös blickt die Partei auf die Wahltermine. Also warum kein Untersuchungsausschuss zum Treuhand-Trauma einrichten?

Dietmar Bartsch: Großes Bedürfnis nach Aufarbeitung

Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch, geboren in Stralsund, fordert eine politische Aufarbeitung. „Im Osten wurde ich in den letzten Wochen sehr häufig angesprochen“, sagte Bartsch unserer Redaktion. Auch erhalte er viele Briefe zur Treuhand, in denen beschrieben würde, was falsch gelaufen sei. „Man merkt, dass diese Zeit nicht überwunden ist und dass es ein großes Bedürfnis nach Aufarbeitung gibt.“

Die Treuhandanstalt wurde im März 1990 gegründet, noch unter der letzten Regierung der DDR. Aufgabe der Behörde war es, die ostdeutsche Wirtschaft umzustrukturieren und an das westdeutsche Modell anzupassen.

Konkret hieß das: Die mehr als 12.000 ostdeutschen Betriebe, die der Treuhand unterstanden, wurden verkauft, an ehemalige Eigentümer zurückgegeben, kommunalisiert oder aufgelöst. Von den Arbeitsplätzen, die 1990 unter der Verantwortung der Treuhand standen, existierten laut Bundeszentrale für politische Bildung bis 1994 zwei Drittel nicht mehr.

Viele frühere Linke-Wähler stimmen nun für AfD

Die Treuhand ist bis heute auch Chiffre für ein Trauma. „Diese Transformation hat sich tief in das kollektive Gedächtnis in Ostdeutschland eingegraben“, sagt Dierk Hoffmann, Historiker vom Institut für Zeitgeschichte in Berlin. Für viele, die die Umwälzungen damals miterlebt haben, seien diese Jahre fest verbunden mit „Enttäuschung und einer Erfahrung von Überwältigung“.

Um diese Enttäuschten kämpfen nun Linke und AfD. Sie liefern sich ein Duell um die Vormachtstellung im Osten. Die Linke war hier lange Volkspartei, stellt in Thüringen sogar den Ministerpräsidenten. Doch dieser Status bröckelt. Viele Menschen, die früher die Linke wählten, machen mittlerweile ihr Kreuz bei der AfD.

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Mehr als 400.000 Stimmen, viele davon aus dem Osten, verlor die Partei bundesweit bei der Bundestagswahl 2017 an die Konkurrenz von rechts außen. Viele dieser Wähler empfinden die Linke nicht mehr als Protestpartei, sondern als Teil des Establishments. Das liegt auch daran, dass die Partei schon seit 2005 im Bundestag vertreten ist. Die AfD ist erst seit 2017 dabei.

Parallelen zwischen Links und Rechts in der Außenpolitik

Programmatisch gibt es wenig Überschneidungen zwischen den Sozialisten und den Rechtspopulisten. So stimmte etwa der Linke-Parteitag im Juni 2018 in Leipzig mit großer Mehrheit für „offene Grenzen“ – die AfD steht immer noch für eine harte Flüchtlingspolitik, Teile der Partei geben sich offen völkisch-rassistisch.

Auffällig sind Parallelen in der Außenpolitik, der Antiamerikanismus und das freundliche Russland-Bild – auch wegen des autoritären Regierungsstils von Präsident Wladimir Putin. Und gerade im Osten setzt die AfD, die als wirtschaftsliberale Partei gegründet wurde, zunehmend auf Sozialpolitik. Wie die AfD in den ostdeutschen Bundesländern gewinnen will.

Entsprechend unterstützt die Partei den Vorstoß der Linken. Fraktionschef Alexander Gauland sagte, es sei „gut und richtig“, wenn sich das Parlament die Arbeit der Treuhandanstalt „noch einmal ganz genau anschaut“. Der Rest der Fraktionsspitze teile diese Position, sagt ein Sprecher, ohne auszuführen, welche Fragen die Fraktion durch einen Ausschuss beantwortet haben will.

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Linke wirbt nun um Unterstützung von den Grünen

Für die Linke ist das Schützenhilfe von der falschen Seite. Doch nur mit den Stimmen der eigenen Fraktion wird der Ausschuss nicht zustande kommen – damit ein solches Gremium eingesetzt wird, muss mindestens ein Viertel der Abgeordneten dafür stimmen. Bartsch wirbt deshalb um die Unterstützung der Grünen.

Am Donnerstag hat ein Gespräch mit Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt stattgefunden, noch gibt es keine Entscheidung. Bartsch will mit dem Untersuchungsausschuss auch erreichen, „dass überhaupt über die Treuhand-Zeit im politischen Berlin gesprochen wird und dass ein Bundestagsgremium in die Akten schaut, wenn sich jetzt die Archive öffnen“.

Richard Schröder, Fraktionschef der Sozialdemokraten in der letzten Volkskammer, bezeichnet die Theorie von einer gezielten Zerstörung der Ost-Wirtschaft zum Schutz der westdeutschen Unternehmen als längst widerlegt: „Der Golf musste nicht vor dem Trabbi geschützt werden.“

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(Alexander Kohnen und Theresa Martus)