Berlin. Die Entscheidung, wer der SPD in Zukunft vorsteht, fällt am 25. Oktober. Wer sind die 17 Kandidaten? Und was wollen sie verändern?
Wochenlang war der Transfermarkt der SPD so unterhaltsam wie die Spielerbörse der Bundesliga. Ein Spitzengenosse nach dem anderen sagte für den Parteivorsitz ab. Dann ging es Schlag auf Schlag. 17 Frauen und Männer machen sich an diesem Mittwoch auf den Weg nach Saarbrücken. Dort findet die erste von 23 SPD-Regionalkonferenzen statt.
Vom 14. bis 25. Oktober stimmen dann die rund 426.000 Mitglieder per Brief oder online ab, wer nach dem Rücktritt von Andrea Nahles die Partei führen soll. Das Ergebnis wird am 26. Oktober verkündet, einen Tag vor der Landtagswahl in Thüringen.
Der Vorstand wünscht sich eine Doppelspitze nach Vorbild von Grünen und Linken. Erhält kein Team im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, findet eine Stichwahl der erstplatzierten Duos statt. Das sind die Kandidaten:
Norbert Walter-Borjans & Saskia Esken
Der charismatische Rheinländer Norbert Walter-Borjans (66) war sieben Jahre Pressesprecher von SPD-Legende Johannes Rau. Als NRW-Finanzminister unter Hannelore Kraft kaufte „Nowabo“ für 19 Millionen Euro elf Steuer-CDs mit Daten über Steuersünder, die dem Fiskus 7,2 Milliarden Euro einbrachten. Die Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Saskia Esken (59) ist Digital- und Bildungsexpertin. Beide wollen den alten SPD-Markenkern polieren. Höhere Steuern für Reiche, Bildung für alle, Hartz IV weg. Mit der großen Koalition sind beide eher durch.
Chancen: Aussichtsreich. Der mächtige und größte NRW-Landesverband unterstützt das Duo, ebenso Kevin Kühnert mit den Jusos.
Michael Roth & Christina Kampmann
Mit einer professionellen Social-Media-Kampagne („Herz und Haltung“) sind der hessische Staatsminister im Auswärtigen Amt und die NRW-Landtagsabgeordnete gut gestartet. Sie wollen verkrustete Strukturen aufbrechen, zwei Plätze im Vorstand an einfache Mitglieder verlosen und für mehr Anstand in der SPD-Schlangengrube sorgen. Obwohl Michael Roth (49) oft Außenminister Heiko Maas vertritt, kennt ihn außerhalb Berlins kaum jemand. Christina Kampmann (39) war kurz Bildungsministerin in Düsseldorf, bewegte damals wenig. In Sachen GroKo sind beide noch nicht festgelegt.
Chancen: Eher gering. Sehr engagiertes Duo, aber mit wenig Durchschlagskraft und fehlendem Rückhalt in Nordrhein-Westfalen.
Karl-Heinz Brunner
Der bayerische Bundestagsabgeordnete aus Illertissen (Kreis Neu-Ulm) rutschte auf den letzten Metern als einziger Solo-Bewerber ins Kandidatenfeld. Er begründete seine Ambitionen mit einem „deutlichen Überhang der GroKo-Gegner und des linken Parteispektrums“. Der Verteidigungsexperte gehört seit 2013 dem Bundestag an. Karl-Heinz Brunner kündigt an, dass er wohl nicht auf jeder der 23 Regionalkonferenzen dabei sein wird. Sein Hauptjob sei der Bundestag: „Ich will versuchen, auf vielen Hochzeiten zu tanzen, aber nicht um jeden Preis“, sagt der 66-Jährige.
Chancen: Keine. Er könnte im Finale zur Wahl eines Duos aufrufen.
Ralf Stegner & Gesine Schwan
Die linke Allzweckwaffe und die Grande Dame der SPD wollen die Partei aus ihrer Schockstarre erlösen. Beide sind davon überzeugt, dass sich klare Kante in der Flüchtlingspolitik, bei Abrüstung, sozialer Gerechtigkeit mit höheren Steuern und im Kampf gegen rechts langfristig wieder auszahlen wird. Die große Koalition sehen sie als Bremsklotz, viel lieber würden sie mit Grünen und Linken die Republik umgestalten. Parteivize Ralf Stegner (59) und Professorin Gesine Schwan (76), die zwei Mal vergeblich versuchte, Bundespräsidentin zu werden, setzen auf ihre Bekanntheit in der SPD.
Chancen: Eher gering. Beide sind intellektuell stark, stehen aber kaum für Aufbruch.
Petra Köpping & Boris Pistorius
Ein Ost-West-Landesminister-Duo. Er verschafft sich seit 2013 in Hannover als Innenminister Respekt. Für Glamour sorgt seine Beziehung mit Ex-Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf. Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (61) schrieb eine kluge Analyse („Integriert doch erst mal uns!“) zur ostdeutschen Seelenlage, nutzte aber nichts. Die Sachsen-SPD stürzte auf 7,7 Prozent ab. Bei der GroKo-Gretchenfrage sind beide pragmatisch: „Man steigt nicht einfach aus, weil man die Nase voll hat“, sagt Boris Pistorius (59).
Chancen: Außenseiter mit Überraschungspotenzial.
Olaf Scholz und Klara Geywitz
Erst wollte Bundesfinanzminister Olaf Scholz gar nicht antreten, weil er die Doppelbelastung durch den Vorsitz scheute. Jetzt ist er der prominenteste Kandidat. Der 61-Jährige ist ein Vollprofi, der die große Koalition bis 2021 fortsetzen will und als Kanzlerkandidat bereitsteht. An seine Seite holte er sich Klara Geywitz (43). Die Potsdamerin sagt, sie sei nicht das Salatblatt auf dem Büffet des Vizekanzlers. Bei der Brandenburg-Wahl flog die dreifache Mutter und Politologin nach 15 Jahren aus dem Landtag.
Chancen: Aussichtsreich mit Fragezeichen. Bei Scholz wissen SPD-Mitglieder, dass sie ruhig schlafen können. Emotionen weckt er keine. Bekommen Geywitz und er eine Mehrheit für ein gefühltes Weiter-so?
Nina Scheer & Karl Lauterbach
Der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (56) ist ein bekanntes Talkshow-Gesicht. Der Mann mit der Fliege arbeitet gut mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zusammen, sieht die GroKo dennoch über ihrem Zenit und mehr Chancen für seine Partei in einem Linksbündnis. Der Umweltpolitikerin Scheer (47) wurde die Sorge um den Planeten lange vor Greta in die Wiege gelegt. Ihr Vater war der Klima-Pionier Hermann Scheer, der für die SPD drei Jahrzehnte im Bundestag saß. Das Duo will die Mitglieder über eine Fortsetzung der Koalition abstimmen lassen. Lauterbach sagte nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen, die GroKo nutze nur noch der AfD.
Chancen: Eher gering, aber mit Klimakompetenz.
Hilde Mattheis & Dierk Hirschel
Die Bundestagsabgeordnete aus Ulm und der Chefökonom der Gewerkschaft Verdi umwerben mit einer klaren Botschaft die SPD-Mitglieder: Raus aus der großen Koalition. Die Gesundheitsexpertin Hilde Mattheis (64) ist seit Jahren ruhelose Streiterin für mehr soziale Gerechtigkeit, in der Partei aber umstritten. Dierk Hirschel (48) kennen nur Insider. Das Duo fordert zwölf Euro Mindestlohn, weniger Minijobs, Leiharbeit und Werkverträge, keine sachgrundlosen Befristungen mehr und die Abschaffung von Hartz IV.
Chancen: Keine. Möglich, dass beide später zur Wahl eines anderen Gespanns aufrufen, um die Siegchancen des linken Flügels zu stärken.
Simone Lange & Alexander Ahrens ziehen Kandidatur zurück
Oberbürgermeister-Duo mit GroKo-Allergie: Die Flensburgerin Simone Lange (42) sorgte im April 2018 für Furore, als sie Andrea Nahles beim Parteitag fast 28 Prozent der Stimmen klaute. Der Sinologe und Jurist Alexander Ahrens (53) wuchs in Berlin in einer Platte auf, wurde 2015 Rathauschef in der sächsischen AfD-Hochburg Bautzen, moderierte dort umsichtig die aufgeheizte Anti-Flüchtlingsstimmung. Beide würden gern die GroKo beerdigen und fielen mit scharfer Kritik an Olaf Scholz auf. Ihren von vorneherein geringen Chanen kamen sie zuvor: Lange und Ahrens zogen bei der ersten Regionalkonferenz in Saarbrücken ihre Kandidatur zurück und wollen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken unterstützen.
Die Sieger müssen von einem Parteitag Anfang Dezember in Berlin bestätigt werden. Dort – und nicht zuvor im Mitgliederentscheid – fällt die Entscheidung, ob die SPD die Koalition bis 2021 fortsetzt oder sie zur Halbzeit beendet.