Washington. Ex-US-Vizepräsident Joe Biden hat kaum noch Chancen auf die Präsidentschaftskandidatur. Aber auch Bernie Sanders ist nicht am Ziel.

Er ist kein Sozialist – wie der momentan im Rennen führende Bernie Sanders. Und er ist nach allen Kategorien von Charakter über Weltanschauung bis hin zur Natürlichkeit der Gesichtsfarbe auch kein Donald Trump. Joe Biden dachte lange Zeit, das reicht aus, um sich bei den demokratischen Wählern Amerikas im Vorbeigehen als Kandidat der Vernunft für die Wahl im November durchzusetzen.

Joe Biden hat sich offenbar geirrt.

War seine Niederlage in Iowa ein erstes Warnsignal, Biden selber sprach von einem „Schlag in die Magengrube“, so ist nach dem desaströsen Abschneiden des Alt-Vizepräsidenten bei der Vorwahl in New Hampshire der letzte Zweifel ausgeräumt: Der Mann, der glaubt, qua Lebenswerk und Bekanntheitsgrad als Donald-Trump-Bezwinger prädestiniert zu sein, hat sich etwas vorgemacht.

Auf der Suche nach einem Mitte-Links-Kandidaten, der die links-progressiven Extreme meidet, Versöhner-Qualitäten und zugleich Zukunftsperspektive hat, ist bei demokratischen Anhängern der Mitte die Lust auf unverbrauchte Gesichter (Pete Buttigieg, 38, Amy Klobuchar, 59) größer. Biden wird dagegen als alter Hase wahrgenommen, der das Hakenschlagen verlernt zu haben scheint. „Er ist mein Held und ein feiner Kerl“, sagte ein 70-jähriger Landwirt in Mar­shalltown/Iowa unserer Redaktion, „aber ich glaube, er hat es hinter sich.“

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Joe Biden landete in New Hampshire nur auf Platz 5

Dass Bidens Kampagne auf den Hund gekommen ist, hat sich der Polit-Profi selbst zuzuschreiben. Sein Wahlkampf gehört nach Ansicht vieler Demokraten und weiter Teile des US-Kommentariats organisatorisch und inhaltlich zu den schwächsten. Der Zuschauerzuspruch hält sich in ernüchternd überschaubaren Grenzen.

Außerdem ist die von Kommt-schon-Leute-ich-war-schließlich-Obamas-Vize-Nostalgie dominierte Erzählung, die der Arbeitersohn aus Scranton/Pennsylvania rhetorisch nicht immer unfallfrei vom Stapel lässt, für viele langweilig und uninspirierend geworden. Mag Biden im Vier-Augen-Gespräch auch noch so sehr Empath und Kümmerer sein.

Mit dem 5. Platz (8,5 Prozent der Stimmen, null Delegiertenstimmen) in New Hampshire nach Platz 4 in Iowa bewegt sich der 77-Jährige bereits in der „Todeszone“ der Vorwahlen. Die Luft vor den nächsten Wahlterminen in Nevada (22. Februar) und South Carolina (29. Februar) wird immer dünner, die Nervosität wichtiger Geldgeber größer. „Joe Biden wird nun jeden Tag gegen das Urteil anreden müssen, dass er ein Mann von gestern ist, der nicht einmal im eigenen Lager Euphorie entfachen kann“, sagte ein Analyst im TV-Sender MSNBC. Was nun?

Ganz anders stehen Vorzeichen bei Bernie Sanders

Der Grandsei­gneur im demokratischen Bewerberfeld, der bereits in Washington als Senator amtierte, als der junge Shootingstar Pete Buttigieg noch gar nicht geboren war, vermittelt den Eindruck, spätestens in South Carolina werde sich das Bild zu seinen Gunsten verändern.

Im Palmetto State stellen Afroamerikaner den Löwenanteil demokratischer Wähler. Biden genießt hier hohes Ansehen, das aus der Zeit als Vize an der Seite von Barack Obama geliehen ist. Um Fühlung aufzunehmen, suchte Biden mit seiner Frau Jill noch am Wahlabend in New Hampshire das Weite und flog nach Columbia/South Carolina, um dort die nächste Etappe der Vorwahlen zu eröffnen.

Doch könnte er auch hier die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. 2008 haben Afroamerikaner in South Carolina erst dann Barack Obama gewählt, als der das Gewinner-Image bereits weghatte. Nach zwei Bauchlandungen ist das Gegenteil bei Biden der Fall. Die Auswirkungen: Seine Zustimmungswerte in der „black community“ dort sind seit Dezember von fast 60 Prozent auf unter 30 Prozent zurückgegangen.

Lässt ihn diese Wählerklientel am 29. Februar im Stich, weil die politisch ähnlich moderat tickenden Bewerber Buttigieg und Klobuchar bis dahin Sieger-Aura entwickeln, ginge Biden als „lahme Ente“ in den „Super Tuesday“. Am 3. März stimmen Demokraten in 15 Bundesstaaten, Auslands-Territorien und in Übersee darüber ab, wer den Zuschlag auf dem Nominierungsparteitag im Juli in Milwaukee bekommen soll. Ohne einen nennenswerten Anteil der hier zu vergebenden 1350 Delegiertenstimmen wäre Bidens Kandidatur am Ende.

Trump kanzelt Sanders als „verrückt“ ab

Ganz anders stehen die Vorzeichen bei Bernie Sanders. Nach dem toten Rennen mit Pete Buttigieg in Iowa (beide verlangen hier eine Nachzählung) hat sich der links-progressive Senator aus Vermont in New Hampshire knapp gegen den jungen Ex-Bürgermeister aus Indiana durchgesetzt. Allerdings hat er seine Wählerschaft nicht ausbauen können. Seine Stimmenausbeute fiel entschieden geringer aus als noch 2016 gegen Hillary Clinton.

Bernie Sanders.
Bernie Sanders. © AFP | TIMOTHY A. CLARY

Seine Botschaft von einem grundsätzlichen Politikwechsel (Reichensteuer, kostenlose Unis, allgemeine Krankenversicherung, Zurückdrängung großer Geldgeber aus den politischen Prozessen etc.) verfängt vor allem bei Wählern unter 25. Ob sein „Momentum“ reicht, um das Ticket gegen Trump zu ergattern, steht heute noch in den Sternen.

Was dagegen klar ist: Auf den parteilosen 78-Jährigen, der seit Jahrzehnten im Senat als Beiboot mit den Demokraten segelt, warten lange vor der ersten Feindberührung mit Trump hohe innerparteiliche Hürden. Das Establishment will ihn partout nicht.

Dahinter steht bis hin zum großen Unbekannten (Milliardär Michael Bloomberg, der erst am 3. März in den Wettbewerb einsteigt) und Barack Obama die Überzeugung, dass Bernie Sanders nur für eine auf 25 Prozent taxierte Minderheit im demokratischen Wählerspektrum spricht und Trumps Wiederwahl massiv begünstigen würde.

Der Präsident kanzelt Sanders nahezu täglich als „verrückt“ ab und prophezeit seinen Anhängern, dass die Vereinigten Staaten unter Führung des weißhaarigen Polterers in einen Sozialismus à la Venezuela abgleiten würden.

Das Schreckgespenst ist ursächlich mit dem Etikett „Sozialist“ verbunden, das sich Sanders selbst gegeben hat, obwohl seine Politik nach europäischen Maßstäben bestenfalls sozialdemokratisch zu nennen wäre. In Führungskreisen der Demokratischen Partei wird bereits darüber sinniert, wie man Sanders spätestens auf dem Nominierungsparteitag im Juli mit Verfahrenstricks noch verhindern kann.