Brüssel. Das Europäische Parlament reagiert auf die Korruptionsvorwürfe gegen die griechische Vizepräsidentin Eva Kaili und weitere Politiker.

Im Korruptionsskandal des EU-Parlaments haben sich die Vorwürfe der belgischen Justiz offenbar erhärtet. Ein Untersuchungsrichter ordnete am Sonntag in Brüssel nach einer Haftprüfung an, dass die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, die griechische Sozialistin Eva Kaili, in Untersuchungshaft kommt – ebenso wie ihr aus Italien stammender Lebensgefährte und zwei weitere italienische Staatsbürger.

Kaili war am Freitag festgenommen worden, nachdem die Polizei in ihrer Brüsseler Wohnung mehrere Taschen mit Bargeld beschlagnahmt hatte; ihr Vater soll noch versucht haben, einen Koffer voller Scheine in Sicherheit zu bringen.

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Die belgische Justiz ermittelt wegen mutmaßlicher Bestechung und Bestechlichkeit, Geldwäsche und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. Demnach hat der Golfstaat Katar versucht, auf Entscheidungen des EU-Parlaments Einfluss zu nehmen – „durch die Zahlung beträchtlicher Geldsummen oder durch das Anbieten bedeutender Geschenke“.

Korruptionsskandal: EU-Parlament zieht Konsequenzen

Das EU-Parlament ist nach einem ersten Schock um Schadensbegrenzung bemüht: Parlamentspräsidentin Roberta Metsola entzog der Griechin vorerst das Vizepräsidentenamt, setzte alle Befugnisse aus. Metsola und Vertreter beinahe aller Fraktionen zeigten sich entsetzt über den Fall und forderten umfassende Aufklärung.

Ein Korruptionsskandal um das WM-Gastgeberland Katar erschüttert das EU-Parlament. Die Vizepräsidentin Eva Kaili soll bestochen worden sein.
Ein Korruptionsskandal um das WM-Gastgeberland Katar erschüttert das EU-Parlament. Die Vizepräsidentin Eva Kaili soll bestochen worden sein. © Eric VIDAL / EUROPEAN PARLIAMENT / AFP

Als erste Konsequenz werden die Verhandlungen über die Visafreiheit für katarische Bürger auf Eis gelegt – halb aus Misstrauen, halb als Strafaktion. Das Parlament hätte am Montag Verhandlungen über den Vorschlag der EU-Kommission starten sollen, Bürger Katars und Kuweits für Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen ohne Visum in die EU reisen zu lassen.

Der Grünen-Abgeordnete Erik Marquardt, der den Gesetzentwurf federführend betreut, kündigte eine Prüfung an: „Man muss sicherstellen, dass es keine Beeinflussung von Abgeordneten oder Angestellten auf den Textentwurf des EU-Parlaments gibt.“

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Dass Vertreter Katars seit Jahren versuchen, Einfluss auf Entscheidungen des EU-Parlaments zu nehmen, ist offenkundig. Bislang gab es aber keine Hinweise, dass solche Versuche erfolgreich waren. Zwei sportpolitische Lobby-Organisationen Katars sind offiziell in Brüssel tätig, sie sind im Transparenzregister des EU-Parlaments eingetragen – allerdings ohne dass die Verbindung zu Katar benannt ist.

Katar soll Wahlkampf finanziert haben

Es gibt Berichte, nach denen Vertreter Katars namentlich nicht genannten Abgeordneten Angebote zur Wahlkampf-Finanzierung gemacht haben sollen – ohne Erfolg, wie versichert wird. Aber nun sind die belgischen Ermittler nach fünfmonatigen Untersuchungen überzeugt, dass tatsächlich Geld geflossen ist.

Eine zentrale Rolle spielt der Italiener Pier Antonio Panzeri, ehemaliger Abgeordneter der sozialdemokratischen Fraktion und Präsident der Menschenrechtsorganisation Fight Impunity. Der 67-Jährige, der sich jetzt ebenfalls in Untersuchungshaft befindet, soll als Teil einer kriminellen Vereinigung bei Abgeordneten für die Interessen Katars und Marokkos interveniert haben, Geldwäsche lautet ein weiterer Vorwurf.

Allein in Panzeris Brüsseler Wohnung stellten die Ermittler in einem Safe 500.000 Euro sicher, im italienischen Bergamo nahmen Polizisten auch Panzeris Frau und Tochter fest. Festgenommen wurden auch der Direktor der Menschenrechtsorganisation No Peace Without Justice, Niccolò Figà-Talamanca, sowie Luca Visentini, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB). Am Wochenende wurde das Haus eines weiteren Europa-Abgeordneten durchsucht.

Kaili: Vizepräsidentin warb für Katar

Zum Gesicht des Skandals aber ist Kaili geworden, die bislang der sozialdemokratischen S&D-Fraktion angehörte. Wenn die Bestechungsvorwürfe zutreffen, hätte Kaili ihren Teil geliefert: Als Vizepräsidentin hatte sich die Griechin bei einer Reise in den Golfstaat Anfang November voll des Lobes für Katar gezeigt und dabei den Eindruck vermittelt, sie spreche für das Parlament und sogar für die gesamte EU – eine offizielle Delegation des Parlaments war zuvor ausgeladen worden.

Die Regierung in Doha verbreitete nach Kailis Auftritt, die EU habe bestätigt, dass Katar alle notwendigen Anforderungen im Bereich der Arbeitnehmerrechte erfülle und Reformen zügig umgesetzt habe. In einer Rede im EU-Parlament warb Kaili wenig später für Katar als Vorreiter für die Rechte der Arbeiter und beklagte eine Diskriminierung des Golfstaates.

Kaili fühlte sich offenbar sicher, weil die relativ strengen Transparenzregeln des Parlaments eine Lücke lassen: EU-Abgeordnete müssen zwar öffentlich machen, mit welchen Lobbygruppen und Organisationen sie sich getroffen haben – doch Kontakte zu Drittstaaten fallen bisher nicht unter die Vorschriften.

EU-Parlament: Scharfe Kritik an Katar

Als Fürsprecher Katars trat auch der sozialdemokratische Abgeordnete Marc Tarabelia aus Belgien auf, dessen Büro am Freitag von Ermittlern durchsucht wurde. Doch die Wortmeldungen der Katar-Freunde, auch ihre gezielten Überredungsversuche bei einzelnen Abgeordneten blieben letztlich wirkungslos.

Das EU-Parlament beschloss mit großer Mehrheit eine Resolution, in der die Menschenrechtslage in Katar, der Tod von Gastarbeitern und vor allem die Vergabe der WM an den Golfstaat deutlich kritisiert werden. Der Turnier-Zuschlag für Katar sei „von glaubwürdigen Vorwürfen der Bestechung und Korruption begleitet“, so die Resolution.

Die katarische Regierung protestierte umgehend - und tut es auch jetzt wieder. In einer Erklärung hieß es am Sonntag, der Staat Katar weise alle Versuche zurück, ihn mit dem behaupteten Fehlverhalten in Verbindung zu bringen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.