Berlin. Gewerkschaftschef Werneke geißelt das Auftreten der Ampel-Koalition – und will mit einer Reihe von Maßnahmen Energie bezahlbar machen.

Die Berliner Ampel-Koalition ist bei den Wählern in Deutschland gerade ziemlich unten durch. Auch im Gewerkschaftslager blickt man zunehmend kritisch auf das Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und FDP. Frank Werneke, der Chef der mächtigen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, erläutert im Interview, warum das so ist – und was die Bundesregierung seiner Meinung nach jetzt tun sollte.

Laut ARD-Deutschlandtrend sind vier Fünftel der Deutschen mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden und nur ein Fünftel zufrieden. Welcher Gruppe gehören Sie an?

Frank Werneke: Ich bin vor allem mit der Außendarstellung völlig unzufrieden. Das ist zwar erst mal das Problem der Bundesregierung und nicht der Gewerkschaften. Ich beobachte jedoch eine wachsende allgemeine Politikverdrossenheit in der Gesellschaft. Die führt auch dazu, dass extreme Kräfte wie die AfD gestärkt werden. Wenn ich auf das Regierungsgeschehen an sich schaue, so hat die Ampel einiges sehr ordentlich gemacht seit ihrem Amtsantritt – zum Beispiel bei den Energiepreisbremsen, an denen ja auch wir mitgewirkt haben. Das jüngste Hickhack um das Heizungsgesetz hingegen war einfach nur unwürdig.

Hat Sie mehr der Inhalt oder der Stil der Debatte genervt?

Werneke: Mich stört die Unfähigkeit der Ampel, Prozesse zu organisieren, ohne dass ein Bild der Zerrissenheit entsteht. Es ist vollkommen normal, dass es in einer Dreierkoalition mit sehr unterschiedlichen Partnern Meinungsverschiedenheiten gibt. Aber die Debattenkultur, die SPD, Grüne und FDP an den Tag legen, ist überhaupt nicht in Ordnung.

Wie bewerten Sie den nun gefundenen Kompromiss zum Heizungsgesetz?

Werneke: Beim jetzt gefundenen Kompromiss kommt es uns als Gewerkschaft vor allem darauf an, ob die Lösung praktisch umsetzbar ist und für Haushalte, die neue klimafreundliche Heiztechnik installieren, ein sozialer Ausgleich stattfindet. Der Kompromiss der Ampel sieht jetzt vor, wo immer möglich die Fernwärme auszubauen – das halte ich für richtig.

Dennoch werden in dem kommenden Jahr viele Haushalte einen Heizungstausch vornehmen müssen. Dafür braucht es eine umfassende Förderung für Haushalte mit mittleren und niedrigen Einkommen – dazu finden sich im Kompromiss keine konkreten Vorschläge. Und das ist nicht akzeptabel.

Wünschen Sie sich grundsätzlich mehr politische Führung durch den Bundeskanzler?

Werneke: Ich finde einen Regierungsstil, bei dem der Chef ständig ein Machtwort spricht, nicht mehr zeitgemäß. Das Kanzleramt hat die Aufgabe, die Dinge zusammenzuführen. Das macht es auch ganz gut. Aber es kann natürlich nicht einen vernünftigen Umgangsstil zwischen den beteiligten Ministerien und Ministern herbeimoderieren. Das ist ein Mangel. Sicherlich wäre es auch hilfreich, wenn der Kanzler häufiger mal Dinge öffentlich einordnen und erklären würde.

Deutschland befindet sich in einer Rezession. Die Wirtschaft schrumpft, die Inflation ist weiterhin hoch. Was sollte die Regierung jetzt tun?

Werneke: Ich sehe nicht, dass wir in einen langanhaltenden Abschwung hineingeraten. Es gibt alle Möglichkeiten, ein Schrumpfen der Wirtschaft in diesem Jahr zu vermeiden und womöglich sogar ein leichtes Plus zu erreichen. Die Inflation geht mittlerweile zurück, das ist positiv. Ich fände es problematisch, wenn immer weitere Leitzinserhöhungen der EZB stattfinden würden. Denn das würde die Konjunktur belasten. Von der Politik wünsche ich mir mehr Klarheit und Orientierung mit Blick auf die großen Herausforderungen – Klimaschutz, Digitalisierung, demografischer Wandel.

Die Ampel streitet auch über die Finanzpolitik, Minister Lindner will im kommenden Jahr unbedingt wieder die Regeln der Schuldenbremse einhalten. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Werneke: Ich halte diesen Ansatz für falsch. Angesichts eines Krieges in Europa sowie der immensen Herausforderungen in Sachen Klima und Energie brauchen wir eine moderate Neuverschuldung und eine Steuerpolitik, die starke Schultern stärker belastet, als das derzeit der Fall ist. Wir brauchen mehr Investitionen – andernfalls droht die Gefahr, dass unser Gemeinwesen gegen die Wand gefahren wird. Zumindest für den Bundeshaushalt 2024 wäre es angemessen, die Schuldenbremse abermals außer Kraft zu setzen.

Wirtschaftsminister Habeck macht sich im Verein mit Industrie und Industriegewerkschaften für einen Industriestrompreis stark. Die Rede ist von 6 Cent je Kilowattstunde. Was sagt eigentlich die Dienstleistungsgewerkschaft dazu?

Werneke: Auf einem Bein kann man nicht stehen.

Wie meinen Sie das?

Werneke: Aus der Perspektive der Industrie und der Industriegewerkschaften kann ich das Projekt gut nachvollziehen. Es geht darum, Wertschöpfung und Jobs in energieintensiven Branchen in Deutschland zu halten. Doch das wird nicht reichen. Wir brauchen auch Entlastung bei den Strompreisen für Privatkunden, Gewerbe und öffentliche Unternehmen. Deshalb sollten wir jetzt überlegen, welche Nachfolgeregelung greifen kann, wenn die Strom- und die Gaspreisbremse wie geplant im Jahr 2024 auslaufen.

Es wäre nicht vermittelbar, wenn einige wenige Unternehmen mit hohem Strombedarf mit Milliardensummen subventioniert würden, der Rest der Wirtschaft und die normalen Verbraucher aber in die Röhre gucken.

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Wer soll das bezahlen?

Werneke: Im Wirtschaftsstabilisierungsfonds ist genügend Geld übrig. Der Gesetzgeber hat für die geltenden Energiepreisbremsen Kreditermächtigungen in Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro erteilt, Stichwort Doppelwumms. Dieser Rahmen wird wegen der sinkenden Großmarktpreise für Strom und Gas voraussichtlich aber bei weitem nicht ausgeschöpft.

Wie könnte die von Ihnen geforderte Anschlussregelung für die Strom- und Gaspreisbremse denn aussehen?

Werneke: Solange noch keine belastbaren Konzepte vorliegen, wäre das Mindeste, die bestehenden Energiepreisbremsen über das Jahr 2024 hinaus fortzuschreiben, inklusive des Fonds für soziale Einrichtungen im Umfang von acht Milliarden Euro.

Und wie lange soll das gehen?

Werneke: Das wird von der Ausbaugeschwindigkeit der Erneuerbaren abhängen, insbesondere bei Offshore-Windparks und der erforderlichen Netze. Das ist der notwendige Weg zu einem günstigen Strompreis.

Christian Lindner würde jetzt sagen, es sei nicht sinnvoll, immer neue Subventionstatbestände zu schaffen. Was entgegnen Sie dem?

Werneke: Zu viele Schocks auf einmal führen auch zum Tod. Wenn energieintensive Unternehmen entscheiden, wegen der hohe Stromkosten hierzulande im Ausland zu investieren und wenn Kliniken oder sozialen Einrichtungen aus demselben Grund finanziell die Luft ausgeht, dann kann das auch dem Finanzminister nicht egal sein.

Die Ampel hat sich vorgenommen, die Tarifbindung wieder zu stärken. Von dem Projekt hört man bislang wenig. Was ist da los?

Werneke: Ich weiß, dass es intensive Gespräche dazu gibt und die auch schon recht weit gediehen sind. Uns sind drei Dinge wichtig: Öffentliche Aufträge des Bundes soll es nur bei Tarifschutz geben. Der Zugang der Gewerkschaften zum Betrieb muss nicht nur physisch, sondern auch digital gewährleistet sein. Und bei Betriebsübergängen müssen bestehende Tarifverträge kollektiv nachwirken, sodass sich Unternehmen nicht mehr mit Abspaltungen oder dergleichen aus der Tarifbindung mogeln können. Ich habe die Erwartung, dass es noch vor der parlamentarischen Sommerpause einen abgestimmten Gesetzentwurf der Regierung dazu geben wird.

Erwartung im Sinne von „ich rechne damit“ oder von „liebe Leute, macht mal bitte“?

Werneke: Liebe Leute, macht mal bitte.