Berlin. Habeck will den Strompreis für die energieintensive Industrie deckeln. Einem Gutachten zufolge wäre der Plan mit EU-Recht vereinbar.

Schon vor der Energiekrise gehörte Deutschland zu den Ländern im europäischen Vergleich, bei denen der Strom für industrielle Großkunden besonders teuer war. Im Zuge der Preisexplosionen des vergangenen Jahres wird vor einer Deindustrialisierung gewarnt. Befürchtet wurde, dass Unternehmen dorthin abwandern würde, wo es günstiger sei.

Um diese Entwicklung zu verhindern, plant Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), den Strompreis für besonders energieintensive Unternehmen zu deckeln. Für 80 Prozent des Jahresverbrauchs sollen energieintensive Industriezweige nur noch 6 Cent pro Kilowattstunde zahlen. Gelten soll die Regelung nach Habecks Vorstellung bis 2030. Sie dürfte mit bis zu 30 Milliarden Euro zu Buche schlagen – finanziert aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds, Zum Vergleich: Die Strompreisbremse für die Industrie deckelt aktuell 70 Prozent des Jahresverbrauchs bei 13 Cent pro Kilowattstunde.

Industriestrompreis: Gutachten hält Instrument für konform mit EU-Recht

Neben viel Zustimmung aus der Industrie hat der Grünen-Politiker mit seinem Vorschlag auch Gegenwind erhalten – nicht zuletzt aus der eigenen Koalition. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hält ihn für verteilungspolitisch ungerecht, da er von Steuerzahlern und kleineren Verbrauchern wie etwa mittelständischen Handwerksbetrieben finanziert werden müsste. Zudem würde Unternehmen der Anreiz zum Sparen genommen.

Hinzu kommt noch ein weiteres Argument, das häufig ins Feld geführt wird: Ein in Deutschland eingeführter Industriestrompreis könnte gegen EU-Recht verstoßen: Deutsche Unternehmen würden unverhältnismäßig stark bevorzugt.

Diesen dritten Punkt sieht zumindest die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) widerlegt: Ein Gutachten der Kanzlei Becker Büttner Held (BBH) im Auftrag der IGBCE-Stiftung Arbeit und Umwelt kommt zu dem Schluss, dass ein Industriestrompreis mit geltendem EU-Recht vereinbar wäre. Das Gutachten liegt unserer Redaktion vor.

Industriestrompreis erfüllt laut Gutachten klimapolitischen Zweck

Zwar sei im Ergebnis die Einführung eines Industriestrompreises als Beihilfe einzustufen, heißt es darin. „Diese wäre aber (…) mit dem Binnenmarkt vereinbar, weil sie einen legitimen klimapolitischen Zweck verfolgt, wegen der internationalen Wettbewerbssituation der betreffenden Branchen erforderlich ist und angesichts der angedachten Ausgestaltung auch geeignet und angemessen wäre.“

Ines Zenke, Rechtsanwältin und Mitautorin des Gutachtens, fasst zusammen: „Unsere juristische Prüfung zeigt, dass das EU-Beihilferecht nicht gegen die Einführung des Industriestrompreises sprechen muss. Natürlich kommt es auf die Ausgestaltung an: Die Transformation muss im Mittelpunkt stehen, einfach nur Prinzip Gießkanne geht nicht.“

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Gutachten: Industriestrompreis wäre eine Beihilfe – aber für einen „legitimen Zweck“

Laut des Gutachtens handele es sich bei dem vorgeschlagenen Industriestrompreis um eine Beihilfe, da er nur einem begrenzten Adressatenkreis zugänglich,, aus staatlichen Mitteln bestritten werden soll und einen wirtschaftlichen Vorteil begründe. Zugleich sei er allerdings mit dem Binnenmarkt vereinbar und daher beihilfekonform, da er einen „legitimen, wichtigen Zweck“ verfolge, heißt es in dem Gutachten.

Er ziele darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie mittel- und langfristig zu erhalten. Wolle man die Klimaziele erreichen, müsse verhindert werden, dass Branchen „wegen übermäßiger Energiekostenbelastungen in Drittstaaten mit geringeren Klima- und Umweltschutzstandards abwandern“, heißt es in dem Gutachten.

Erforderlich sei der Industriestrompreis, solange kein anderes, kurzfristig umsetzbares Mittel zur Verfügung stehe. Die Begrenzung der Stromkosten sei zudem geeignet, da sie den Unternehmen Planungssicherheit verschaffe. Auch sei das Instrument angemessen, da es den Strompreis auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau bringe und durch die Ausgestaltung, dass er auf 80 Prozent des gebenchmarkten Stromverbrauchs beschränkt sein soll, zudem Anreize zum Stromsparen biete.

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Gewerkschaftschef Vassiliadis dringt auf Umsetzung

Laut des Rechtsgutachtens würde es zudem keine „übermäßigen negativen“ Auswirkungen auf den Wettbewerb und Handel geben. Stattdessen gebe es sogar eine positive Bilanz, da der Industriestrompreis einen Beitrag zu den klimapolitischen Zielen leiste und Arbeitsplätze erhalte. „Die genannten Vorteile wiegen bei Weitem die voraussichtlich überschaubaren Beeinträchtigungen des Wettbewerbs und Handels im Binnenmarkt auf“, heißt es in dem Papier.

IGBCE-Chef Michael Vassiliadis bewertete das Ergebnis des Gutachtens positiv. „Das Gutachten zeigt deutlich: Rechtliche Bedenkenträgerei ist Unsinn, juristisch ist der Industriestrompreis für energieintensive Industrien möglich“, sagte Vassiliadis unserer Redaktion. Es komme nun auf den politischen Willen an, ob man die energieintensive Industrie in Deutschland halten wolle. „Der Industriestrompreis bietet den energieintensiven Industrien Sicherheit“, betonte der Gewerkschaftsvorsitzende. Deutschland werde ihn so lange brauchen, bis die Erneuerbaren Energien und Netze so weit ausgebaut seien, dass der heimische Strompreis ohne Hilfe wettbewerbsfähig sei.