Berlin. CDU-Chef Merz zieht mit Aussagen über die AfD Empörung aus den eigenen Reihen auf sich – und muss nun zurückrudern. Wie es dazu kam.

Es ist ein einziges Kommunikationsdesaster. „Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt“, meldet sich Parteichef Friedrich Merz am Montagmorgen um kurz nach neun Uhr auf Twitter zu Wort. „Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.“ Vorher hatte Merz es geschafft, seine Partei in große Unruhe zu versetzen.

Anstatt die Sommerwochen zu nutzen, um Debatten über die politischen Fehler der Ampel-Koalition zu führen, ist die CDU tief mit sich selbst beschäftigt. Gerade erst sah sich Merz gezwungen, den von ihm zum CDU-Generalsekretär berufenen Mario Czaja gegen Carsten Linnemann auszutauschen. Nun das.

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Anstatt der kantige Oppositionsführer zu sein, als den viele in der Partei Merz gerne sehen würden, wirkt der 67-Jährige wie ein Fußballspieler, der zwar die Kapitänsbinde trägt und der Spielmacher sein will, von dem man aber nicht weiß, ob man ihn anspielen kann, weil er einen Querschläger ebenso produzieren könnte, wie einen Steilpass oder eine gefährliche Rückgabe Richtung eigenes Tor.

Merz über AfD: Es muss „nach Wegen gesucht werden“

Was war passiert? Rückblick auf den Sonntag: Sommerlich gebräunt erscheint Friedrich Merz zum ZDF-Interview in seiner Heimat Arnsberg im Sauerland. Eins der Themen: die Haltung der CDU zur AfD. Per Parteitagsbeschluss haben die Christdemokraten eine „Brandmauer“ zur AfD hochgezogen: Die CDU lehnte darin 2018 „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ mit der AfD sowie mit der Linkspartei ab. 2020 bekräftigte das Parteipräsidium noch einmal: „Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD – weder in direkter noch in indirekter Form.“

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz beim ZDF-Sommerinterview.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz beim ZDF-Sommerinterview. © dpa | Dominik Asbach

Merz bekommt während vom ZDF einen Beitrag vorgespielt, in dem CDU-Kommunalpolitiker aus Ostdeutschland nicht nur den Begriff „Brandmauer“ kritisieren, sondern auch das Verbot einer Zusammenarbeit mit der AfD auf ihrer Ebene für unsinnig erklären. Merz bezieht die Brandmauer daraufhin in dem Interview ausdrücklich auf „gesetzgebende Körperschaften“ wie Bundestag, Landesparlamente und das Europaparlament sowie auf „Regierungsbildungen“.

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Auf kommunaler Ebene aber sei die „Parteipolitisierung ohnehin ein bisschen zu weit vorangeschritten“, fährt der CDU-Vorsitzende fort. Im Hinblick auf erste AfD-Politiker in Kommunalämtern in Thüringen und Sachsen-Anhalt fügt Merz hinzu, das seien demokratische Wahlen gewesen: „Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“ Eine Unterscheidung zwischen der Lokalpolitik und den höheren politischen Ebenen hatte es bisher in den CDU-Beschlüssen nicht gegeben.

Dem CDU-Chef schlägt Entrüstung aus der eigenen Partei entgegen

Was nach der Ausstrahlung des Interviews am frühen Sonntagabend folgt, ist ein Sturm der Entrüstung. Der kommt nicht allein von der politischen Konkurrenz, die eine Chance zur Kritik an dem Oppositionsführer sieht. Vor allem auch aus den eigenen Reihen schlägt Merz Widerspruch entgegen: „Die AfD kennt nur Dagegen und Spaltung“, twittert Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner. „Wo soll es da ZUSAMMENarbeit geben?“

Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister von Berlin, meldet sich nach dem Merz-Interview als einer der ersten zu Wort.
Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister von Berlin, meldet sich nach dem Merz-Interview als einer der ersten zu Wort. © dpa | Fabian Sommer

Die CDU-Vizevorsitzende Karin Prien erklärt: „Die Beschlusslage ist klar und ich kann mir für meine Partei nichts anderes vorstellen.“ Es müsse aber eine Diskussion darüber geführt werden, wie die CDU „im Osten mit diesem Dilemma“ umgehen könne. Die Chefin der Frauen Union, Annette Widmann-Mauz, warnt, es dürfe keine Zusammenarbeit mit der AfD geben „egal auf welcher Ebene“. Die Vizepräsidentin des Bundestages, Yvonne Magwas schreibt auf Twitter: „Ob Ortschaftsrat oder Bundestag, rechtsradikal bleibt rechtsradikal. Für Christdemokraten sind Rechtsradikale IMMER Feind!“

Die AfD jubelt – Merz fühlt sich missverstanden

Die Liste prominenter CDU-Vertreter, die an dem Abend mit Ablehnung, Kritik oder Entsetzen auf das Interview ihres Parteichefs reagieren, ließe sich fortsetzen. Jubel kommt hingegen von der AfD: „Nun fallen erste Steine aus der schwarz-grünen Brandmauer“, freut sich Parteichef Tino Chrupalla. „In Ländern und Bund werden wir die Mauer gemeinsam niederreißen.“

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Hat Merz einen Testballon gestartet, um vor Kommunal- und Landtagswahlen im Osten im kommenden Jahr neue Machtoptionen vorzubereiten? Oder ist der CDU-Chef von den vielen bekannten Vertretern seiner Partei einfach nur missverstanden worden, wie er es am Montagmorgen mit dem Halbsatz „und ich habe es nie anders gesagt“ zu suggerieren versucht?

CDU und AfD? Um kurz nach Mitternacht muss Linnemann ran

Auf die Unruhe in der CDU reagiert das Team von Merz am Sonntagabend zunächst eigenwillig. Auf Wegners kritischen Tweet antwortet der persönliche Pressesprecher von Merz mit den Worten: „Exakt das sagt auch Friedrich Merz, die klare Ansage steht. Danke für die Unterstützung!“ Dabei kann von Unterstützung keine Rede sein.

Im Laufe des Abends reift in der Parteizentrale offenbar die Erkenntnis, dass die Situation aus dem Ruder läuft. Generalsekretär Linnemann muss ran, kurz nach Mitternacht verbreitet die CDU ein Statement von ihm: „Keine Zusammenarbeit mit der AfD, egal auf welcher Ebene. Das sieht auch Friedrich Merz so, wenngleich er zu Recht auf die schwierige Umsetzung vor Ort hinweist.“ Dass die Äußerungen von Parteichefs in Fernsehinterviews noch einmal klargestellt werden müssen, ist unüblich.

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Um 8.30 Uhr meldet sich CSU-Chef Söder zu Wort

Am nächsten Morgen hat sich die Lage nicht beruhigt. Aus CDU-Landesverbänden kommen weitere Stimmen, die sich gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD aussprechen. Um 8.30 Uhr meldet sich schließlich der CSU-Vorsitzende und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu Wort: „Die CSU lehnt jede Zusammenarbeit mit der AfD ab – egal auf welcher politischen Ebene. Denn die AfD ist demokratiefeindlich, rechtsextrem und spaltet unsere Gesellschaft“, erklärt Söder auf Twitter. Das sei mit christsozialen Werten nicht vereinbar.

CSU-Chef: Markus Söder und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz (rechts).
CSU-Chef: Markus Söder und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz (rechts). © dpa | Peter Kneffel

Hatten Söder und Merz sich zuletzt bemüht, die enge Zusammenarbeit zwischen ihnen und den beiden Unionsparteien zu betonen, hinterlässt diese Wortmeldung einen ganz anderen Eindruck. In einer CSU-Vorstandssitzung sagt Söder am Montag nach Teilnehmerangaben: „Wir machen keine Rechtsaußen-Schlenker im Ton wegen ein oder zwei Prozent.“

Merz scheint stetig mit anderen Dingen und sich selbst beschäftigt

Die Ampel-Koalition schwächelt, davon profitiert aber in den Umfragen nicht die Union, sondern die AfD. Kantige Vorschläge kommen von Generalsekretär Linnemann, der Schnellverfahren gegen Gewalttäter in Freibädern fordert. Oder von Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei, der das Individualrecht auf Asyl abschaffen will. Merz scheint stetig mit anderen Dingen und sich selbst beschäftigt.

Mal stellen prominente CDU-Ministerpräsidenten wie Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen und Daniel Günther aus Schleswig-Holstein den Kurs der Partei unter Merz infrage. Mal schürt Merz Zweifel an seiner Strategie zur Bekämpfung der AfD, indem er die CDU als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ nennt. Nun muss Merz sich von seinem eigenen Interview distanzieren – oder es zumindest nachträglich erklären.

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