Berlin. Die Migrationspolitik steht wieder im Zentrum der Debatte – zu Recht. Doch einige Politiker streuen den Bürgern Sand in die Augen.

Kann sich noch jemand an Innenminister Horst Seehofer erinnern? Der CSU-Politiker bezeichnete die Migrationsfrage einst als „Mutter aller politischen Probleme“ und Angela Merkels Flüchtlingspolitik als „Herrschaft des Unrechts“. Kurz nach der Neuauflage der Großen Koalition brach er 2018 einen Streit über die Asylpolitik vom Zaun, das Regierungsbündnis stand kurz vor der Implosion. Es gab dann einige Reformen und Formelkompromisse. Gebracht hat es wenig: Seehofer konnte weder den Aufstieg der AfD stoppen noch die ungeregelte Migration nach Deutschland dauerhaft begrenzen.

In diesen Wochen diskutiert das Land wieder aufgeregt über die Migrationspolitik – so auch am Freitag im Bundestag. Und das ist nicht nur den anstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen sowie dem Höhenflug der AfD geschuldet.

Der EU-Partner Italien sieht sich mit einer neuen Welle von Bootsflüchtlingen aus Afrika konfrontiert. Hierzulande sind die meisten Kommunen längst an der Belastungsgrenze angelangt: Mehr als eine Million ukrainische Kriegsflüchtlinge haben Schutz in Deutschland gefunden. Hinzu kommen zahlreiche Asylbewerber aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak. Bis Ende August nahmen die Behörden mehr als 200.000 Asyl-Erstanträge entgegen, was gegenüber dem Vorjahreszeitraum einer Zunahme um zwei Drittel entspricht.

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Flüchtlinge: Der Zuzug verschärft bestehende Probleme des Landes

All das stellt das Land vor gewaltige Herausforderungen, da gibt es überhaupt nichts zu relativieren. Die Menschen müssen ja nicht nur registriert und versorgt und – im Falle der Asylbewerber – durch ordentliche Verfahren gebracht werden. Der massenhafte Zuzug verschärft auch Probleme, die ohnehin existieren in diesem Land, etwa den dramatischen Mangel an Wohnungen oder Kindergartenplätzen.

Politik-Korrespondent Thorsten Knuf
Politik-Korrespondent Thorsten Knuf © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Es gibt also eine Menge zu tun und zu diskutieren. Und dazu gehört auch die Frage, wie die ungeregelte Migration begrenzt werden kann. Dabei geht es um Asylbewerber, nicht um ukrainische Kriegsflüchtlinge. Das Problem ist nur, dass vieles, was gerade als vermeintlich großer Wurf präsentiert wird, in Wahrheit keiner ist.

Wenn etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Seehofer’sche Idee einer Flüchtlings-Obergrenze wiederbelebt und die Zahl 200.000 nennt, dann muss er erklären, wie ab Flüchtling Nummer 200.001 das Grundrecht auf Asyl außer Kraft gesetzt werden soll. Wenn die Union im Bundestag und inzwischen sogar die SPD-Innenministerin fordern, Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz einzuführen, dann stellt sich die Frage, wie man fast 1.600 Kilometer Staatsgrenze überwachen will. Engmaschige Kontrollen würden überdies den freien Verkehr von Personen, Waren und Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt empfindlich stören.

Auch die Forderung, Staaten wie Algerien, Marokko und Tunesien auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu setzen, kommt beeindruckender daher, als sie ist. Auf diese drei Länder zusammen entfielen in den ersten acht Monaten dieses Jahres knapp 4.000 Asyl-Erstanträge, also nur ein Bruchteil aller neuen Verfahren.

Asyl: Die schnelle Lösung gibt es nicht

Migration ist ein globales Phänomen, Migrationspolitik ist ein unfassbar kompliziertes Geschäft. Mit ein paar neuen Gesetzen ist es nicht getan. Wenn Deutschland rascher als bisher abgelehnte Asylbewerber abschieben will, dann muss es dafür Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern aushandeln. Das ist leichter gesagt als getan. Wenn die EU ihre Außengrenzen besser schützen und die Asylverfahren weitgehend dorthin verlagern will, dann braucht es neben einem politischen Konsens aller Mitgliedstaaten eine entsprechende Infrastruktur sowie einen bindenden Verteil-Mechanismus. Das aufzubauen, wird Jahre dauern.

Die Wahrheit ist: Schnelle und einfache Lösungen gibt es nicht. Wer das nicht glauben mag, kann ja mal bei Horst Seehofer nachfragen.