Berlin. Die Bundesregierung strebt eine europäische Finanztransaktionssteuer an. Warum Österreichs Sebastian Kurz hier deutliche Einwände hat.

Angela Merkel und Sebastian Kurz üben sich in Harmonie. Die Bundeskanzlerin lobt die „gemeinsamen Ziele“ beider Länder in der Klimapolitik. Ihr österreichischer Amtskollege bedankt sich für das „sehr gute Gespräch“ und preist Deutschland als „wichtigsten Nachbarn und Partner“ der Alpenrepublik. Er im dunkelblauen Anzug, sie im dunkellila-farbenen Blazer: Auch bei der Farbabstimmung geben beide ein einträchtiges Bild ab.

Doch der erste Eindruck täuscht. Die Pressekonferenz im Kanzleramt am Montag dauert nur wenige Minuten, da werden handfeste Unterschiede deutlich. In Deutschland könne man sich vorstellen, die EU-Operation „Sophia“ vor der libyschen Küste wieder aufzulegen, sagt Merkel.

Die Marine-Mission, die 2019 eingestellt wurde, wollte in erster Linie Schlepper und Schleuser bekämpfen, nahm aber auch Flüchtlinge in Seenot auf. Die Kanzlerin klagt, dass aktuell sehr viele private Rettungsschiffe unterwegs seien. Eine staatliche Mission, die zudem auch das Thema Waffenschmuggel in das Bürgerkriegsland Libyen im Blick habe, sei besser.

Sebastian Kurz und Angela Merkel sind bei der Migrationspolitik unterschiedlicher Meinung

Kurz widerspricht sofort. „Wir müssen verhindern, dass sich Schiffe überhaupt auf den Weg machen“, fordert er. „Sophia“ habe Schlepper ermuntert, von Libyen aus mehr Migranten Richtung Europa zu schicken. „Unser Ziel muss es sein, das Sterben im Mittelmeer zu beenden.“

Im Zeitungsinterview hatte er zuvor klipp und klar formuliert: „Es wäre sinnvoll, wenn illegale Migranten erst gar nicht nach Europa kommen, sondern schon gleich aus den Transitländern in Nordafrika in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.“ Kurz redet ruhig, vermeidet jedwede polemische Schärfe und hat oft ein leises Lächeln in den Mundwinkeln. Doch die Botschaft ist knallhart. Das merkt auch die Kanzlerin, die aber keine Miene verzieht.

Merkel und Kurz stehen für zwei unterschiedliche Ansätze in der Migrationspolitik: Die Kanzlerin will eine europäische Lösung mit einem fairen Verteilungsschlüssel, der Gast aus Österreich steht für konsequenten Grenzschutz. Kurz sieht sich durch aktuelle Zahlen bestätigt. Nach Angaben der Bundespolizei kommen pro Tag im Schnitt 450 Flüchtlinge nach Deutschland – vor allem aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan sowie Zen­tral- und Westafrika.

Sebastian Kurz legt Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer von Olaf Scholz ab

Dieter Romann, Chef der Bundespolizei, schlägt Alarm: „Die Mi­grationszahlen, die Asylzahlen, die Zahlen der unerlaubten Einreisen in die EU zeigen deutlich auf, dass wir keinen sicheren Schengen-Außengrenzschutz haben. Wir haben eine ernstzunehmende grenzpolizeiliche Situation.“ Hinzu kommt, dass die Balkanroute – 2016 von Österreich und seinen Nachbarstaaten geschlossen – teilweise wieder offen ist.

Nicht nur bei der Flüchtlingspolitik, auch beim Thema Börsensteuer legt sich Kurz quer. Zu den Plänen von Finanzminister Olaf Scholz (SPD), EU-weit eine sogenannte Finanztransaktionssteuer auf Aktienkäufe zu erheben, sagt er: „Das lehnen wir ab.“ Der Österreicher kritisiert, dass spekulative Finanzinstrumente wie Derivate – die auf die Entwicklung von künftigen Kursen wetten – von der Steuer ausgenommen seien.

„Wir wollen die Spekulanten besteuern, nicht die Sparer, die in Zeiten einer Niedrigzinspolitik zur Altersvorsorge in Aktien investieren.“ Merkel reagiert prompt auf das Nein: „Das bedauern wir.“

Laut Scholz sieht die zusammen mit Frankreich vorgeschlagene Börsensteuer eine Abgabe von 0,2 Prozent auf Aktienkäufe vor. Der Finanzminister rechnet mit Einnahmen von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Das Geld ist für die Finanzierung der Grundrente vorgesehen, bei der Union und SPD aber über Kreuz liegen.

Kurz berichtet über seine Erfahrungen mit Schwarz-Grün

Beim EU-Haushalt bemüht sich Merkel um einen Schulterschluss mit Kurz, der Schulden scheut wie der Teufel das Weihwasser. Durch den Austritt Großbritanniens aus der EU seien die „Erwartungen an Nettozahler noch größer geworden, aber die Möglichkeiten nicht unbedingt“, betont die Kanzlerin. Sie spricht von „Restriktionen“. Ihr Amtskollege hat den Vorschlag der EU-Kommission, das nächste Budget der Gemeinschaft von derzeit 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung auf 1,11 Prozent zu erhöhen, rundweg abgebügelt.

Ausgerechnet beim Thema Schwarz-Grün bewegen sich Merkel und Kurz am Ende aufeinander zu. Der Mann aus Wien, der bis Mai 2019 mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert hatte, gibt den Flexi-Kanzler. In der kürzlich vereinbarten Koalition mit den Grünen habe er eine „neue Form der Kompromissfindung“ festgezurrt, schwärmt der Chef der konservativen ÖVP.

Merkel nimmt den Ball auf. Bis zur nächsten Bundestagswahl fließe zwar „noch ziemlich viel Wasser die Spree oder die Havel herunter, oder auch die Donau“, meint sie. Aber klar sei: Union und Grüne hätten seit dem Scheitern der Jamaika-Gespräche „bestimmte Barrieren der Sprechfähigkeit abgebaut“.