Berlin. Die jüngste Reaktion von Wladimir Putin auf einen Mord in Berlin klingt wie eine Billigung. Ein ungeheuerlicher Verdacht liegt im Raum.

Er war Kämpfer, Krieger, Separatist. Manche sagen lieber Verbrecher, Mörder, Terrorist. Eine Frage der Perspektive. Wladimir Putin nennt ihn einen „Banditen“. In Berlin sei „ein blutrünstiger und brutaler Mensch“ getötet worden. In der Nacht zu Dienstag machte Russlands Präsident am Rande des Ukraine-Gipfels in Paris klar, dass der Georgier Zelimkhan Khangoshvili, alias Tornike K., der am 23. August ermordet wurde, seinen Tod auch verdient hat.

„Sollen die Anschuldigungen über den Ermordeten etwa nahelegen, der Mord sei gerechtfertigt?“, fragt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU). Ob der Mord nicht nur erwünscht, sondern vielmehr bestellt wurde, untersucht Peter Frank. Für den Generalbundesanwalt bestehen zureichende Anhaltspunkte dafür, dass die Tötung „entweder im Auftrag von staatlichen Stellen der Russischen Föderation oder solchen der Autonomen Tschetschenischen Republik als Teil der Russischen Föderation erfolgt ist“.

Ein Auftragsmord? „Ein Anfangsverdacht“, relativierte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Paris, „nicht mehr und nicht weniger“.

Die Kanzlerin hofft, dass die russischen Behörden bei der Aufklärung helfen. „Ich gehe davon aus, dass die russische Seite ihre Informationen uns zur Verfügung stellt.“ Dann wechselt sie ins Konjunktiv: „Jedenfalls fände ich das gut.“

Killerkommandos in staatlichem Auftrag

Selten wurde die Rachsucht eines Staatslenkers so unverhohlen zur Schau gestellt wie von Putin in Paris. „Ich bin erschrocken über diese Wortwahl“, sagt SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. Röttgen fiel auf, wie gut Putin die Identität des Ermordeten bekannt zu sein schien. „Umso bedauernswerter ist die bisherige Verweigerung der Kooperation Russlands bei der Aufklärung des Falles.“

„So genannte Killing Operations gab es schon immer“, erzählt ein ehemaliger Geheimdienstchef. Es gibt keine Statistik darüber, ob sich Killerkommandos in staatlichem Auftrag häufen. Von unserer Redaktion darauf angesprochen, gaben gleich zwei ehemalige Geheimdienstchefs unabhängig voneinander zu Protokoll, es falle aber auf, dass derartige Operationen weniger professionell als früher durchgeführt würden.

Beamte der Spurensicherung untersuchen im August 2019 den Kleinen Tiergarten in Berlin. Dort wurde ein Tschetschene ermordet.
Beamte der Spurensicherung untersuchen im August 2019 den Kleinen Tiergarten in Berlin. Dort wurde ein Tschetschene ermordet. © picture alliance / dpa | Christoph Soeder

Der auffälligste Fall war der Mord am Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 durch den saudischen Geheimdienst. Es ist denkbar, dass die schnelle Enttarnung von Geheimdiensten keine Panne ist, sondern beabsichtigt ist. Als Abschreckung.

Die Ehefrau des im Berliner Tiergarten ermordeten Zelimkhan Khangoshvili, Manana Zatijewa, sagte in der „Deutschen Welle“, ihr Mann sei von russischen Geheimdiensten verfolgt worden, „und es war klar, dass sie nicht damit aufhören, bevor er nicht vernichtet wurde.“ Es habe mit seiner Teilnahme am zweiten Tschetschenien-Krieg zu tun. „Alle Probleme begannen, als er aus dem Krieg zurückkehrte.“

Putin macht Deutschland Vorwürfe

Laut Putin hatte er im Kaukasus-Konflikt allein bei einem Anschlag den Tod von 98 Menschen verschuldet. Zudem sei er an einem Anschlag auf die Moskauer Metro beteiligt gewesen. Den deutschen Behörden warf Putin vor, den „Verbrecher und Mörder“ trotz entsprechender Gesuche nicht ausgeliefert zu haben.

Das lässt sich deuten: Wenn der vermeintliche Staatsfeind nicht ausgeliefert wird, wird er dann ausgeschaltet? Die Indizien sind erdrückend. Viele Spuren führen nach Russland, speziell zum Militärgeheimdienst GRU, etwa Dokumente und Tarnadressen des Tatverdächtigen Vadim S. Schon seine erste Reaktion nach der Verhaftung fiel auf. Mit wem wollte er reden? Nicht mit einem Anwalt. Mit der russischen Botschaft.

Die Frau des Opfers hat befürchtet, dass der Fall „vergessen“ wird und gedacht, „wegen so eines einfachen Mannes will Deutschland nicht seine Beziehungen zu Russland riskieren“. Für sie ist es eine Genugtuung, dass der Generalbundesanwalt auf den Plan getreten ist und zwei russische Diplomaten ausgewiesen wurden. Ein Signal nach Moskau.

Noch hoffen die Behörden, dass die Russen ihre Fragen beantworten. „Wir werden in der Bundesregierung über weitere Reaktionen beraten und entscheiden müssen“, kündigte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Wochenende an. „Die russische Seite muss jetzt endlich ihren Beitrag zur Aufklärung dieses Verbrechens leisten.“

Erleben wir eine „Renaissance der gezielten Tötungen“?

Mit zwei Ausweisungen bleibt das Auswärtige Amt hinter der Reaktion im Fall des russischen Ex-Spions Sergej Skripal zurück, der 2018 in Großbritannien von Agenten des russischen Militärgeheimdienstes mit einem chemischen Kampfstoff vergiftet wurde. Damals wies die Bundesregierung vier Diplomaten aus. Zu jener Zeit war Amtschef Heiko Maas (SPD) noch aufrichtig enttäuscht darüber, dass Russland nicht bereit zu sein scheine, zur Aufklärung beizutragen. „Das darf nicht ohne Folgen bleiben.“

Ein Jahr später werden nur zwei Diplomaten ausgewiesen, da sind Gegenmaßnahmen schon eingepreist. Tatsächlich kündigte Putin eine „spiegelgenaue“ Reaktion an. Man rechnet jeden Tag mit Reaktionen gegen deutsche „Diplomaten“. Bloß: Die Residentur des Bundesnachrichtendiensts in Moskau ist relativ klein. Hätte man vier Russen ausgewiesen, bekäme der BND Probleme. Da haben die russischen „Diplomaten“ in Berlin schon mehr Personalreserven.

Angehörige und Aktivisten erinnern vor der deutschen Botschaft in der georgischen Hauptstadt Tiflis an den in Berlin ermordeten Zelimkhan Khangoshvili.
Angehörige und Aktivisten erinnern vor der deutschen Botschaft in der georgischen Hauptstadt Tiflis an den in Berlin ermordeten Zelimkhan Khangoshvili. © ZURAB KURTSIKIDZE / EPA-EFE / Shutterstock

Patrick Sensburg (CDU) vom parlamentarischen Kontrollgremium der Geheimdienste fühlt sich an den Kalten Krieg erinnert „In Russland scheint nicht erst seit diesem Mord oder dem Fall Skripal eine Renaissance der gezielten Tötungen zu beginnen“, sagte er unserer Redaktion. Es würden durch russische Geheimdienste anscheinend nicht nur unliebsame Personen umgebracht, sondern auch Zeichen gesetzt. „Wer gegen das russische Regime vorgeht, verliert im Zweifel sein Leben. Das sind Morde als Warnungen.“

Für Januar kündigte sich Sensburg für eine Diskussion im Spionagemuseum an. Der Titel ist so martialisch wie aktuell: „Boom, du bist tot! Gezielte Tötungen durch Geheimdienste.“