Hongkong. Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam bestreitet, dass sie amtsmüde sei. Eine geheime Tonaufnahme erweckt jedoch diesen Eindruck.

Im Zuge der Massenproteste in Hongkong gerät Regierungschefin Carrie Lam immer stärker unter Druck. Lam bestritt am Dienstag, ihren Rücktritt erwogen zu haben. Sie habe auch nicht die chinesische Regierung um Erlaubnis für einen Rücktritt gebeten, um die politische Krise zu beenden.

Damit reagierte die Regierungschefin auf einen Bericht über eine kompromittierende Tonaufnahme. Lam soll bei einem Treffen mit Geschäftsleuten in der vergangenen Woche gesagt haben, wenn sie die Wahl hätte, würde sie nach einer aufrichtigen Entschuldigung zurücktreten. Da die Unruhen zu einer nationalen Sicherheits- und Souveränitätsfrage geworden seien, habe sie aber nur noch sehr begrenzten Spielraum, die Krise in der chinesischen Sonderverwaltungszone zu lösen – sie diene „zwei Herren“.

Regierungschefin enttäuscht über die Tonaufnahme

Drei Teilnehmer der Gesprächsrunde hatten Lams Äußerungen bestätigt. Lam zeigte sich auf einer Pressekonferenz am Dienstag enttäuscht darüber, dass bei einem privaten Treffen gemachte Äußerungen an die Öffentlichkeit geraten seien. Der Tonaufnahme zufolge hatte sie vor den Managern eingeräumt, mit dem mittlerweile auf Eis gelegten Gesetzentwurf zur Auslieferung Beschuldigter an China „unverzeihliches Chaos“ in der Finanzmetropole verursacht zu haben.

An dem Entwurf hatten sich die Massenproteste entzündet, da Bürgerrechtler einen zunehmenden Einfluss Chinas in Hongkong befürchten.

Demonstranten fordern Rücktritt der Regierungschefin

Inzwischen richten sich die Proteste auch gegen Lam – die Demonstranten fordern ihren Rücktritt. Die Führung in Peking verurteilt die Proteste und wirft ausländischen Regierungen vor, die Unruhen zu schüren.

Lam hat den Auslieferungsgesetzentwurf zwar für tot erklärt, weigert sich aber, explizit von einer Rücknahme zu sprechen. Studenten und Schüler setzten den Protest am Dienstag fort und boykottierten auch den zweiten Tag nach den Sommerferien den Unterricht.

900 Festnahmen in drei Monaten

Am Wochenende hatten sich Demonstranten und Sicherheitskräfte einige der bislang schwersten Zusammenstöße geliefert. Seit Beginn der Proteste vor mehr als drei Monaten kam es zu rund 900 Festnahmen, darunter ist auch der prominente Bürgerrechtler Joshua Wong, der vor fünf Jahren zu den Anführern der sogenannten „Regenschirm“-Protestbewegung gehörte.

Möglicherweise als Warnung berichteten chinesische Staatsmedien, dass Chinas Militär neue paramilitärische Kräfte nach Shenzhen an der Grenze zu Hongkong verlegt habe. In Videoaufnahmen, die von Bürgern aufgenommen worden sein sollen, waren Militärwagen zu sehen, die am Samstagmorgen in der Grenzstadt einrollten. Details über Stärke und Zweck der Truppenverlegung wurden nicht genannt. Nach Angaben der „Gobal Times“ soll es sich um „Spezialkräfte“ und Personal der „Wujing“ genannten paramilitärischen Elitetruppe handeln.

Demonstranten setzen in Hongkong am Samstag Barrikaden in Brand.
Demonstranten setzen in Hongkong am Samstag Barrikaden in Brand. © dpa | Kin Cheung

Die politische Atmosphäre in Hongkong ist aufgeheizt, da mehrere führende Mitglieder der Demokratiebewegung festgenommen wurden. Am Freitag wurden zuletzt noch die oppositionellen Abgeordneten des Legislativrates, Au Nok-hin und Jeremy Tam, aufgegriffen. Ihnen wird Behinderung der Polizei vorgeworfen. Der Abgeordnete Au soll außerdem einen Polizisten angegriffen haben. Gegen insgesamt neun prominente Köpfe der Bewegung wurde inzwischen Anklage erhoben.

Neue Stufe der Gewalt in Hongkong erreicht

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    Mit dem (verbotenen) Protestzug wollte die Demokratiebewegung eigentlich den fünften Jahrestag des Scheiterns der Wahlreform 2014 begehen, die die kommunistische Führung in Peking nicht erlauben wollte. „Es ist ein Gedenktag für uns“, sagte die Demonstrantin Beatrix Wong. „Deswegen haben wir uns versammelt, um gemeinsam für unser Recht zu kämpfen. Wir tun es ohne Erlaubnis, weil es ein Menschenrecht ist.“

    Dutzende Personen in Hongkong festgenommen

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      Nach dem Verbot nahmen die Organisatoren der Civil Human Rights Front (CHRF) ihren Aufruf zu der Demonstration zurück. Es wäre eine illegale Versammlung gewesen, so dass Teilnehmer mit rechtlichen Konsequenzen hätten rechnen müssen. Früheren Aufrufen der Gruppe waren jeweils Hunderttausende gefolgt – nach CHRF-Angaben einmal sogar bis zu 1,7 Millionen.

      (dpa/fmg)