Berlin. Berlin-Korrespondenten großer Medienhäuser zwischen den USA und China berichten über die Wünsche ihrer Länder an die neue Regierung.

In vielen Teilen der Welt waren 16 Jahre Bundeskanzlerin Angela Merkel gleichbedeutend mit deutscher Stabilität. Nun geht eine Ära zu Ende. Was erwartet und was befürchtet das Ausland von der neuen deutschen Regierung? Ein Überblick.

Sébastien Vannier (Ouest-France):

Frankreich ist zwar mittlerweile mit seinem eigenen Wahlkampf beschäftigt, der bis Mai 2022 andauern wird, beäugt aber neugierig die politischen Geschehnisse bei seinem wichtigsten Partner Deutschland. Auch in Frankreich wird man Angela Merkel vermissen. Als Kontrast zur tumultuösen französischen Politik avancierte die Kanzlerin für viele Franzosen zum Symbol der Ruhe und Stabilität in Europa.

Die drei aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten verfolgen tendenziell einen moderaten, proeuropäischen Kurs, was aus französischer Sicht eher als positives Zeichen gewertet wird. Olaf Scholz und Armin Laschet sind in der französischen Politszene keine Unbekannten.

Der deutsche Finanzminister steht in engem Kontakt mit seinem Pendant Bruno Le Maire. Der CDU-Chef ist deutsch-französischer Kulturbevollmächtigter und ebenfalls bestens mit Frankreich vernetzt. Annalena Baerbock gehört zwar zur Generation Macrons, die beiden könnten jedoch in außenpolitische Auseinandersetzungen geraten, etwa beim Thema Nord Stream 2.

Tonia Mastrobuoni (La Repubblica):

Die Italiener erwarten von der nächsten Bundesregierung Ähnliches wie die Deutschen: Stabilität. Das Land, das schon immer als Symbol für fragile Politik steht, schaut mit Bewunderung auf die 16 Merkel-Jahre und auf die traditionell soliden Regierungen in Berlin. Denn Stabilität in Deutschland ist auch für die Zukunft Europas wichtig.

Besuch im Élysée-Palast: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Besuch im Élysée-Palast: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. © picture alliance / photothek | Thomas Imo

Ein großes Thema, bei dem mein Land immer wusste, dass es in Berlin ein offenes Ohr findet – vor allem seit der Flüchtlingskrise 2015 –, ist Migration. Aber es ist leider das „Unvollendete“ der Merkel-Jahre. Grund sind einige unsolidarische EU-Partner, die nicht verstehen, dass Italien ununterbrochen mit Migrationswellen konfrontiert ist.

In Italien schaut man gespannt auf die nächste Regierung. Auch in der Hoffnung, dass sie hilft, in Europa eine europäische, gerechtere Lösung für diese epochale Herausforderung zu finden.

Tomasz Lejman (TV Polsat News):

In ihrer 16-jährigen Amtszeit wurde die Bundeskanzlerin zwar sehr scharf kritisiert, sie genießt aber wegen ihrer in Brüssel errungenen Kompromisse, die auch Polen zugutegekommen sind, ein hohes Ansehen. Schafft das eventuell Armin Laschet auch? Das wissen wir noch nicht. Aber Laschet war bereits als Kanzlerkandidat in Polen auf Werbetour und hat signalisiert, dass die Beziehungen mit Warschau wichtig für ihn sind.

Und was ist mit Russland? Das ist eine sehr wichtige Frage, insbesondere für Polen. Berlin darf nicht einerseits mit dem Kreml wirtschaftlich kuscheln und sich andererseits politisch distanzieren. Die polnische Regierung wünscht sich hier eine klare Linie – und: dass Deutschland gegenüber Russland Europa repräsentiert.

Für Spannungen sorgte in der Vergangenheit immer wieder das Thema Reparationen. Warschau bereitet derzeit einen Bericht über Reparationen für den Zweiten Weltkrieg vor. Es wünscht sich von der deutschen Seite endlich einen Dialog, denn bisher wurden solche Gespräche rigoros abgelehnt. Der Bericht zu Reparationen wird zu weiteren Spannungen führen.

Vendeline von Bredow (The Economist):

Nach 16 Jahren als deutsche Kanzlerin haben die Briten sich an Angela Merkel gewöhnt. Sie haben „Mutti“ sogar ins Herz geschlossen. Trotz ihrer Versuche, den Brexit zu verhindern – oder nicht genug zu tun, um Großbritannien in der EU zu halten. Da „Mutti“ nun bald abtritt, verfolgt man die Wahlen jenseits des Ärmelkanals mit ungewohntem Interesse.

Die beiden Kandidaten, die als ihre wahrscheinlichsten Nachfolger gehandelt werden, scheinen sich nicht sehr von der Kanzlerin zu unterscheiden. Man kommentiert das mangelnde Charisma der Kandidaten und schüttelt den Kopf über die vielen komplizierten Variationen der nächsten Regierungskoalition.

Wir würden uns wünschen, dass sich die drei Spitzenkandidaten mehr auf Inhalte konzentrieren – Klimapolitik, Chinas Machtgelüste, das Absacken Russlands in eine Autokratie oder das Debakel in Afghanistan – und weniger darauf, ob Laschet Gummistiefel trägt oder Annalena Baerbock ihren Lebenslauf frisiert hat. Es gibt substanzielle Unterschiede in den Positionen von Union, SPD und Grünen, aber sie werden den Wählern nicht klar genug gemacht.

Ahmet Külahci (Hürriyet):

Die Türken in der Türkei, die Euro-Türken und die türkische Regierung erwarten von der neuen Bundesregierung zweierlei: dass die deutsch-türkischen Beziehungen besser werden und dass sie das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei stärkt. Die Türken fühlen sich sehr verbunden mit Europa und den Europäern.

2005 begannen offiziell die Beitrittsverhandlungen. Aber seit Jahren gibt es keine Bewegung. Deshalb sind sowohl die Türken in der Türkei als auch die Euro-Türken sehr enttäuscht. Nun hoffen sie, dass eine von einem Sozialdemokraten geführte Bundesregierung eine positivere Haltung einnehmen wird.

In der Bundesrepublik leben rund drei Millionen türkeistämmige Menschen. Mehr als die Hälfte von ihnen hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Viele von ihnen sind in Deutschland geboren. Diese Menschen betrachten dieses Land als ihre Heimat. Obwohl die türkische Migration vor 60 Jahren begann, fühlen sie sich immer noch benachteiligt. Die Türkeistämmigen sind mehr von Fremden- und Islamfeindlichkeit betroffen als andere Gruppen. Sie erwarten von der neuen Regierung, dass etwas dagegen getan wird.

Erik Kirschbaum (Los Angeles Times):

Der deutsche Wahlkampf schafft es in den USA nicht auf die Titelseiten und findet kaum Erwähnung in den Nachrichten. Noch verwirrender wird das Ganze durch die zahlreichen Koalitionsmöglichkeiten – für Amerikaner, die nur zwei Parteien kennen, ist das alles furchtbar kompliziert.

Dennoch verfolgt die Biden-Regierung den Wahlkampf. Oben auf Bidens Wunschliste steht, dass Deutschland weiterhin ein Verfechter demokratischer Prinzipien ist. Biden braucht Deutschland als verlässlichen Verbündeten.

Genau wie seine Amtsvorgänger setzt Biden darauf, dass Deutschland sein Versprechen an die Nato, zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die eigene Verteidigung auszugeben, einhält. Von außen betrachtet scheint Deutschland nicht bereit zu sein, sich selbst zu verteidigen: Panzer, die nicht einsatzbereit sind, Kampfjets und Hubschrauber, die nicht fliegen können. Wenn Deutschland sich nicht verteidigen will, warum sollte es Amerika weiter tun?

Mikhail Antonov (Rossija 1):

Es mag überraschend klingen, doch Deutschland ist für die Russen historisch gesehen das am nächsten liegende und verständlichste Land Europas. Aus diesem Grund interessiert sich das russische Publikum für die Bundestagswahl.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet in Königswinter.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet in Königswinter. © picture alliance/dpa/TASS/POOL | Alexander Shcherbak

Wir kennen uns schon lange, unsere gemeinsame Geschichte reicht weit in die Vergangenheit zurück. Deutsche waren in Russland Bauern, Feldmarschälle, Händler, Wissenschaftler und Fabrikanten. Eines ist seit Jahrhunderten unverändert geblieben: Die Annäherung von Russen und Deutschen bedeutete Frieden und Wohlstand in Europa, während Entfremdung mit enormen Risiken und Unsicherheit verbunden ist.

Seit Willy Brandts Ostpolitik hat jede darauffolgende deutsche Regierung einen Kurs der ruhigen Geschäftsbeziehungen mit Moskau bekräftigt. Die wichtigste Erwartung Russlands dürfte sein, dass das Wahlergebnis vom 26. September diese Tradition zumindest fortsetzen wird.

Yuan Zhang (Xinhua):

Ich habe viele strategische Gespräche zwischen China und Deutschland in der Politik miterlebt. Auch die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern werden immer enger – mit vielen neuen und sich ergänzenden Kooperationen in Bereichen wie Digitalisierung, Elektromobilität, künstliche Intelligenz und autonomes Fahren.

Viele Chinesen wünschen sich, dass die neue Bundesregierung ideologische Differenzen weiter überwindet, den Dialog und die Zusammenarbeit mit China mit pragmatischer Haltung beibehält, sich nicht von externen Einflüssen irreführen lässt und an der strategischen Autonomie der EU sowie Deutschlands festhält.

Mit dem soliden Fundament der bilateralen Beziehungen können die beiden Länder neue Erfolge in Wirtschaft und Handel erzielen. Sie können einen größeren Beitrag für die Welt in Bereichen wie Klimawandel und dem Schutz der biologischen Vielfalt leisten und die Zusammenarbeit in multilateralen Gremien wie den UN und den G20 verstärken.

(fmg)