Brüssel. Kommissionschefin soll den Riesenvertrag mit Biontech-Pfizer eingefädelt haben, verwehrt aber Informationen. Nun droht ihr eine Rüge.

  • Der Deal der EU mit Biontech hatte fast schon spektakuläre Ausmaße: 1,8 Milliarden Dosen des Corona-Impfstoffs
  • Volumen des Geschäfts: 35 Milliarden Euro. Die treibende Kraft hinter dem Geschäft: Ursula von der Leyen
  • Doch die Kritik an dem Deal wird immer lauter: Und das Verhalten der EU-Kommissionspräsidentin beunruhigt einige in Brüssel

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerät wegen eines milliardenschweren Mega-Vertrags für die Lieferung des Corona-Impfstoffs von Biontech-Pfizer unter Druck. Die Haushaltskontrolleure des EU-Parlaments bereiten nach Informationen unserer Redaktion eine förmliche Rüge vor, der Unmut im Parlament ist groß, erste Abgeordnete rufen nach dem Staatsanwalt.

Es geht um den mit Abstand größten Vertrag der Europäischen Union zur Beschaffung von Corona-Impfstoff: Die Kommission vereinbarte im Mai 2021, also fünf Monate nach Beginn der Impfkampagne, die Lieferung von bis zu 1,8 Milliarden Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs (davon 900 Million als Option) für die Jahre 2022 und 2023. Der Kaufpreis beträgt nach Insider-Angaben gigantische 35 Milliarden Euro.

Nicht nur das Volumen ist spektakulär. Ungewöhnlich ist auch, dass von der Leyen den Vertrag offenbar persönlich in Gesprächen mit Pfizer-Chef Albert Bourla eingefädelt hat – der Europäische Rechnungshof spricht von „Vorverhandlungen“. Trotzdem verweigert die Kommissionspräsidentin eisern jede Auskunft zu ihrem Austausch mit dem Pfizer-Chef. Jetzt gab von der Leyen sogar dem Rechnungshof eine Abfuhr – und hat damit womöglich überzogen.

Biontech-Deal: Rechnungshof bat von der Leyen vergeblich um Informationen

Die Rechnungsprüfer interessierten sich für den Deal im Rahmen eines Sonderberichts über die europäische Impfstoffbeschaffung. Nach ihrer Darstellung hat von der Leyen die Vorverhandlungen mit dem Pfizer-Chef im März 2021 geführt, ohne das gemeinsame Verhandlungsteam einzubeziehen, wie es einem Kommissionsbeschluss über das Verfahren entsprochen hätte.

Die Kommission legte laut Rechnungshof am 9. April 2021 dem Lenkungsausschuss die von der Präsidentin und dem Pfizer-Chef ausgehandelten Bedingungen vor. Danach sei eine Ausschreibung eingeleitet worden – die sich an den Vorverhandlungen orientiert haben soll. Am 19. Mai wurde der Vertrag unterzeichnet.

Die Rechnungsprüfer baten die Kommission um Informationen über die Vorverhandlungen, etwa zu beigezogenen Sachverständigen, Zeitplan, Aufzeichnungen, Details der vereinbarten Bedingungen. Schließlich werde dieser Vertrag „das Impfstoffportfolio der EU bis Ende 2023 prägen“.

Doch die Prüfer bekamen eine Absage: „Es wurden keine Informationen übermittelt“, schreiben sie. Intern zeigen sich die Kontrolleure fassungslos: „Dieses Verhalten ist höchst ungewöhnlich, so etwas hat es noch nie gegeben“, heißt es in der Behörde. Erzwingen könne der Rechnungshof in diesem Fall aber nichts.

Biontech-Deal sorgt für Ärger - Chef-Haushaltskontrolleurin hält Informationsblockade für „sehr besorgniserregend“

Den Hebel hat das EU-Parlament in der Hand. Dort droht von der Leyen Ärger. Die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, Monika Hohlmeier (CSU), nennt es „sehr besorgniserregend“, dass die Kommission dem Rechnungshof zentrale Informationen zur Bewertung der Vorverhandlungen verwehre, zumal wegen deren Einfluss auf das ordnungsgemäße Vergabeverfahren.

Die Ausschreibung habe laut Rechnungshof nur das enthalten, was zuvor informell vereinbart worden sei, sagte Hohlmeier unserer Redaktion: „Der Haushaltskontrollausschuss wird der Kommission hier eine Rüge erteilen und darauf bestehen, dass prüfungsrelevante Informationen immer und uneingeschränkt mit dem Rechnungshof zu teilen sind.“

Impfstoff von Biontech und Pfizer: Ein Mitarbeiter zieht im Impfzentrum Mainz eine Spritze mit dem an die Omikron-BA.1-Variante angepassten Impfstoff Comirnaty auf.
Impfstoff von Biontech und Pfizer: Ein Mitarbeiter zieht im Impfzentrum Mainz eine Spritze mit dem an die Omikron-BA.1-Variante angepassten Impfstoff Comirnaty auf. © DPA-BildFunk | Sebastian Christoph Gollnow/dpa +++

Die mangelnde Transparenz bei den milliardenschweren Verträgen ist im EU-Parlament schon länger ein Thema, auch weil sie den Kampagnen von Impfgegnern in die Hände spielt. Von der Leyens Blockade nährt bei Kritikern alle möglichen Spekulationen, etwa über eine vermeintliche Bevorzugung des US-Konzerns Pfizer.

Die Verbraucherorganisation SumOfUs mit Sitz in Washington wirft von der Leyen vor, sie habe in ihren Gesprächen mit Bourla einer saftigen Preiserhöhung zugestimmt, obwohl bei der enormen Menge ein Rabatt nahegelegen hätte.

Tatsächlich ist mit dem Deal der Preis pro Biontech-Impfdosis von zuvor 15,50 Euro auf 19,50 Euro gestiegen – das enthüllte der damalige bulgarische Premier Boyko Borrisov aus Verärgerung über die hohen Kosten. In Brüssel wird die Größenordnung von Eingeweihten bestätigt. Offiziell herrscht Stillschweigen über den Preis.

Im zuständigen Sonderausschuss des EU-Parlaments zur Corona-Pandemie ist die Empörung über die Informationsblockade groß. Ausschusschefin Kathleen van Brempt von den Sozialdemokraten fordert schon länger, von der Leyen müsse die Informationen über ihre Gespräche vorlegen.

Bei einer der letzten Ausschusssitzungen schimpfte die Grünen-Abgeordnete Michele Rivasi: „Es ist nicht normal, dass die Kommissionspräsidentin mit dem Vorstandschef direkt verhandelt, auch über die Preise. Es gibt doch Regeln“. Die Französin regte an, jetzt die Europäische Staatsanwaltschaft oder die EU-Betrugsbehörde Olaf einzuschalten.

EU-Bürgerbeauftragte warnt: Die Geheimniskrämerei schadet der EU

Andere Ausschuss-Mitglieder klagten, von der Leyen glaube offenbar, sie könne tun, was sie wolle. Die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly warnte in der Sitzung: „Die EU-Institutionen dürfen nicht durch Geheimniskrämerei EU-Skepsis fördern. So wird großer Schaden angerichtet.“

Es sei nachvollziehbar, dass von der Leyen voriges Jahr nach Problemen mit dem Vakzin-Hersteller Astrazeneca neue Impfstoff-Lieferanten finden wollte, sagt O´Reilly. Doch öffentliches Vertrauen sei entscheidend in der Krise, deshalb sei Transparenz so wichtig. Der Bürgerbeauftragten hatte von der Leyen schon zuvor eine Abfuhr erteilt. Damals ging es um einen Antrag, die mit Pfizer-Chef ausgetauschten SMS offenzulegen. Die Kommission habe „gemauert“, rügt O´Reilly.

Von der Leyen lässt bislang alle Vorwürfe abprallen. Auf Anfrage unserer Redaktion erklärte ein Kommissionsbeamter in einer schriftlichen Stellungnahme, von der Leyen habe mit dem Pfizer-Chef nur Gespräche geführt, wie sie es allgemein auch mit den Chefs anderer Unternehmen getan habe, um deren Interesse an der Lieferung von Impfstoffen zu wecken.

Aber: „Die Präsidentin war an den Vertragsverhandlungen nicht beteiligt und hatte daher keine weiteren Informationen zu übermitteln.“ Doch folgt man dem Rechnungshof, dann standen zu Beginn der Verhandlungen schon jene Bedingungen fest, die vorab zwischen der Kommissionspräsidentin und dem Pfizer-Chef ausgehandelt wurden.

Abgeordnete fordern Aufklärung: „Von der Leyen muss reinen Tisch machen“

Der Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Rasmus Andresen, sagt: „Der Pfizer-Deal ist erklärungsbedürftig. Hier geht es um Milliarden, die aus öffentlichen Töpfen bezahlt worden sind. Wir alle haben ein Recht darauf zu erfahren, wie die Deals mit den Impfstoffherstellern zustande gekommen sind.“

Aber bis heute halte die Kommission entscheidende Informationen unter Verschluss, klagte Andresen im Gespräch mit unserer Redaktion: „Von der Leyen muss hier reinen Tisch machen, Dokumente veröffentlichen und Stellung zu den Vorwürfen beziehen.“

Der Fraktionschef der Linken im EU-Parlament, Martin Schirdewan, sagte unserer Redaktion: „Eine Institution, die Transparenz stolz als Schild vor der Brust trägt, muss auch den eigenen Ansprüchen gerecht werden. Es geht hier nicht um ein paar Euro, sondern um Milliarden Euro Steuergelder.“

Wer angesichts solcher Summen kein Verständnis für das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit habe, zeige, „dass die vermeintlich eigenen Werte nur Worthülsen sind oder hat etwas zu verbergen.“ Von der Leyen leiste mit ihrem respektlosen Verhalten der Demokratie und dem Ansehen der EU einen Bärendienst.

Europäische Union

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.