Berlin. Der Ärger über die Politik scheint im Osten besonders groß. Doch fatal wäre es, jetzt nur dorthin zu starren, warnt unsere Autorin.

32 Jahre sind eine lange Zeit. Doch diese Zeit hat nicht gereicht, um das Trennende zwischen Ost und West zu überwinden. Das sichtbarste Zeichen: Deutschland braucht immer noch einen Ostbeauftragten. Die Politik sieht noch immer Handlungsbedarf. Aktuell wächst er sogar.

Julia Emmrich, Politik-Korrespondentin
Julia Emmrich, Politik-Korrespondentin © Anja Bleyl | Anja Bleyl

Die Liste der Unterschiede zwischen Ost und West ist lang – von den Durchschnittslöhnen über den Anteil Ostdeutscher in Führungspositionen bis zu Parteipräferenzen bei Wahlen. Dazu kommt die politische Grundstimmung: Der aktuelle Jahresbericht des Ostbeauftragten beschreibt eine wachsende Politikverdrossenheit in ganz Deutschland, zeigt aber, dass der Glaube an die Demokratie gerade im Osten besonders dramatisch erodiert. Knapp 40 Prozent sind hier noch zufrieden, im Westen sind es immerhin knapp 60 Prozent. Die Ostdeutschen reagieren im Schnitt deutlich skeptischer, enttäuschter, ablehnender als die Westdeutschen.

Giffey warnt bereits vor einer Re-Traumatisierung der Ostdeutschen

Das hat viele Ursachen. Historische Prägungen, bittere Erfahrungen, bei manchem aber auch eine eigenwillige „Wir-im Osten“-Haltung. Aus der vermeintlichen Opferrolle, aus dem Gefühl, bei der Wiedervereinigung zu kurz gekommen oder vom Westen kolonialisiert worden zu sein, hat sich bei einigen ein identitätsstiftendes Lebensgefühl entwickelt.

Wenn jetzt gerade in Ostdeutschland Demonstrationen gegen die Regierungspolitik Zulauf haben, sollte sich also niemand wundern. Berlins ostdeutsche Bürgermeisterin Franziska Giffey warnt bereits vor einer Re-Traumatisierung der Ostdeutschen durch die existenzbedrohende Energiekrise. Existenzängste gibt es aber auch in vielen westdeutschen Regionen. Jetzt nur auf den Osten zu starren, wäre fatal.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de